Ich seh' dich. Neue Gadgets und Apps ermöglichen Eltern, ihre Kinder überall zu finden. Illustration: istockphoto/Julia Riedel

Die Kinderfinder

Per App überwachen Helikopter-Eltern ihren Nachwuchs. Die Nutzung solcher Geräte boomt – Datenschützer warnen.

Zu wissen, wo sich der Nachwuchs gerade aufhält, ist ein Grundbedürfnis der meisten Eltern. So auch bei Frank Hasenleder. Sein 5-jähriger Sohn Paul trägt deshalb eine besondere Uhr: Die Cat Carl Kids, eine GPS-Uhr für Kinder. Per Echtzeitortung kann sie auf Abruf den Aufenthaltsort ihres Trägers an das elterliche Handy senden. Dort zeigt die App auf einer Karte den genauen Weg, mit der sich der Nachwuchs fortbewegt – und die Geschwindigkeit. „Uns gibt das ein Stück Sicherheit, ein besseres Gefühl“ so Hasenleder.

Ein digitaler Zaun für die Kleinen

Für Katzen und Kinder. Toni Löffler und Sebastian Pladwig von Cat Berlin entwickeln Tracker. Foto: promo

Auf die Idee kamen die Eltern, nachdem ein Kind aus dem Bekanntenkreis für eine Stunde verloren ging. Es hatte sich im Wald verlaufen. Da haben Pauls Eltern überlegt, wie sie selbst so etwas verhindern könnten – und stießen auf die GPS-Uhr. Neben der Ortung kann Paul darüber im Notfall jederzeit per Knopfdruck Vater oder Mutter anrufen oder ein SOS-Signal mit Standort senden. Zudem können die Eltern in der App einen sogenannten „Geo-Zaun“ einrichten. Das ist eine Sicherheitszone mit einem Radius von maximal fünf Kilometern, in der sich das Kind aufhalten darf. Beim Verlassen der Zone schlägt die App bei den Eltern Alarm.

Entwickelt hat die Uhr das Berliner Startup Cat Berlin in den letzten vier Jahren. Die Gründer Toni Löffler und Sebastian Pladwig wollten ein Kommunikationsgerät für Kinder bauen, das, im Gegensatz zum Smartphone, mit weniger Funktionen ausgestattet ist: „Es gibt gewisse Altersstufen, die noch kein Smartphone haben sollen, weil es schädlich für ihre Entwicklung ist“, sagt Löffler. Tatsächlich zeigt eine Studie der RFH Köln einen Zusammenhang zwischen intensiver Mediennutzung und kindlichen Entwicklungsstörungen. Trotzdem, so der Gründer, wollen die Eltern mit ihren Schützlingen in Kontakt treten und nach dem Aufenthaltsort fragen können – nicht nur in Notfällen. „Es geht auch um einfache Sachen“, sagt Pladwig, zum Beispiel, wenn das Kind sich ausgeschlossen oder den falschen Bus genommen habe. Wo bei den Eltern lange Ungewissheit herrschte, soll die GPS-Uhr für mehr Austausch und Sicherheit sorgen. Zum weiteren Sortiment der Firma gehören SOS-Tracker für Erwachsene und Haustiere.

Wachstumsmärkte und Peter Maffay

Ortungssender als Spielzeug. Die Uhren von Cat Berlin können im Notfall Hilfe rufen. Foto: Cat Berlin/promo

Die Tracking-Sender scheinen eine Marktlücke im Bereich der Kindererziehung zu treffen. Seit letztem Jahr verzeichnet Cat Berlin nach eigenen Angaben eine Umsatzsteigerung von über 70 Prozent: „Die Nachfrage ist sehr groß und wird definitiv weiter zunehmen“, prophezeit Töffler. Einer Bitkom-Studie zufolge nutzen elf Prozent der Befragten GPS-Geräte. Während der Anteil der Nutzer, die ihre Kinder orten, mit fünf Prozent relativ gering ist, halten 74 Prozent der Befragten derartige Geräte für eine geeignete Möglichkeit, Kinder zu schützen. Mit ihren Trackern für Hunde, Katzen und Kinder steht Cat Berlin nicht alleine da. Unternehmen wie Lokato aus München, bembu aus Österreich, Weenect aus Frankreich oder Vidimensio aus Großbritannien bieten ähnliche Produkte für dieselben Zielgruppen an. Auch aus China sind einige Hersteller wie TK-Star und Rupse auf dem europäischen Markt vertreten.

Wenn sich Eltern doch entscheiden, dem älteren Kind ein Smartphone zu kaufen, sind solche Tracker gar nicht mehr nötig. Denn mit dem Handy haben sie schließlich schon einen Peilsender bei sich. Um den zu nutzen, reicht der Download einer App. So lässt sich die App Pocket Nanny mit denselben Funktionen wie die Tracking-Uhr schon für 7,99 Euro im App Store erwerben und für die ähnliche „Familienapp Tabaluga SOS“ wirbt sogar Peter Maffay. Jeder Kauf unterstützt seine Stiftung.

»Ein Symptom des Optimierungswahns«

Weniger enthusiastisch äußert sich die Psychotherapeutin und Mediatorin Christiane Zießler, Leiterin der Familienberatungsstelle Familie im Zentrum in Lichtenberg. Die ständige Kontrolle wecke falsche Erwartungen. „Es kann für Eltern natürlich eine Entlastung sein, wenn sie alles über ihr Kind wissen. Aber es erhöht auch den Druck, ständig kontrollieren zu müssen.“ Sie sieht solche Geräte sogar als Symptom des Optimierungswahns der heutigen Gesellschaft. Dies sei jedoch der falsche Weg, der mitunter mehr schaden als nutzen kann. Sie empfiehlt stattdessen klare Vereinbarungen. Diese schaffen Vertrauen, weil das Kind sich ernst genommen fühlt und trotzdem in seinem Unabhängigkeitsstreben gefördert wird. Und das ist eine wichtige Bedingung für das Lernen von Eigenverantwortung. Spätestens bei Teenies sei der Einsatz von Tracking-Geräten und -Apps nicht sinnvoll. Sie fänden immer einen Weg, dem zu entgehen. Aufklärung statt Zwang sei die bessere Vorgehensweise.

Zu einer ähnlichen Beurteilung kommt auch Susanne Schmitt vom Netzwerk Medienerziehung und Elternberatung in Brandenburg. Als Referentin informiert sie auf Elternabenden regelmäßig über den richtigen Umgang mit Medien und Kindern. „Ich rate den Eltern wirklich zu überlegen, ob man solche Apps braucht.“ Es könnten zwar technische Hilfsmittel sein, solange der persönliche Kontakt nicht eingeschränkt werde. „Wir befinden uns jedoch noch mitten in der Entwicklung der digitalen Kindererziehung.“ Die Langzeitfolgen seien nicht absehbar.

Verletzen die Geräte Kinderrechte?

Eine Sprecherin der Berliner Beauftragten für Datenschutz schlägt härtere Töne an. Sie sieht einen klaren Konflikt zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und elterlichem Sorgerecht. „Der Schutz der Privatsphäre von Kindern ist ausdrücklich in der UN-Kinderrechtskonvention niedergelegt. Demzufolge greift die Nutzung von Überwachungs-Tools zweifelsfrei in die Persönlichkeitsrechte von Kindern ein.“ Jedoch lasse sich der Gebrauch nicht verbieten. Dazu komme eine mögliche Kommerzialisierung der Bewegungsdaten, sagt sie: „Je nach Anbieter wird der Standort dann über das Internet, unter Umständen über ausländische Cloud-Dienste, oder per SMS übermittelt.“ Und dort können die Daten im Zweifel gespeichert sein, noch lange nachdem das Kind volljährig ist. Cat-Berlin-Geschäftsführer Löffler wehrt sich gegen solche Vorwürfe: „Natürlich ist es zum Teil Überwachung, denn die App zeigt, wo das Kind sich gerade aufhält. Auf der anderen Seite haben die Eltern natürlich jederzeit das Recht, dies zu wissen.“ Sein Kollege Pladwig betont, dass ihre Server, auf denen die Daten gespeichert werden, die höchsten Sicherheitsstandards erfüllen. Außerdem handle Cat Berlin nicht mit den Daten seiner Nutzer. „Das beste Gerät zur Überwachung ist immer noch das Smartphone, welches wesentlich mehr Daten sammelt als unsere GPS-Uhr.“

Auch der Vater von Paul sieht die GPS-Uhr nicht als Kontrollorgan: „Mittlerweile tracken wir gar nicht mehr, weil es keine Notwendigkeit dafür gab.“ Für den Sohn sei es eine normale Uhr, mit der er die Uhrzeit lernt. „Und für uns ist sie einfach ein Lebensretter.“