Arbeiten wie zu Hause? Wo Tischkicker üblich sind, fehlt es oft an Mitarbeiterführung und Bescheidenheit. Foto: Jacob Ammentorp Lund/Getty Images/iStockphoto

»In Startups zu arbeiten ist die Hölle«

Die Berliner Gründerszene stellt sich gerne als effizient, mitarbeiterfreundlich und offen dar. Unser Gastautor hat das Gegenteil erlebt. Eine persönliche Abrechnung.

Kostenloses Frühstück. Bier im Kühlschrank. Ein Tischkicker. Das sind einige der Versprechen, mit denen meine Firma um neue Angestellte wirbt. Auch ein attraktiver Lohn wird versprochen – und „die Gelegenheit, die Technik-Industrie zu revolutionieren“. Startups geben sich gerne als Arbeitnehmerparadies. Ich habe in den letzten Jahren für mehrere Berliner Startups gearbeitet. Was ich stattdessen erlebt habe, sind Ausbeutung und absichtlich unterentwickelte Produkte am Rande der Legalität.

Falsche Effizienzversprechen

Startups arbeiten mit zwei grundsätzlichen Prämissen. Erstens, es gibt Lücken bei der Bereitstellung von Dienstleistungen durch klassische Geschäftsmodelle. Zweitens, digitale Technologie steht zunehmend im Mittelpunkt des Alltags von Konsumenten und Firmen. Weil diese Lücken zwischen fehlenden Services und digitalen Möglichkeiten groß sind, ist es oft schnell möglich, sie durch innovative Angebote zu schließen. Zum Beispiel kann jeder sein Auto in ein Taxi verwandeln, indem eine App Fahrer und Kunden zusammenbringt, wie es Uber tut. Warum eine Taxiflotte aufbauen, wenn die Kunden nur schnellstmöglich eine Fahrgelegenheit wollen?

Da solche Angebote anfangs recht simpel sind, reichen einige Leute mit Computern, um sie aufzubauen. Es gilt, den schnellstmöglichen Weg von der Idee zur Umsetzung zu gehen. So ist Facebook entstanden – oder Google – oder Spotify. Klingt doch super, oder?

Das Problem ist die Art und Weise, wie Startups erwarten, Geld zu machen. Flexibilität und Effizienz sind zwar große Vorteile gegenüber schwerfälligen Großkonzernen. Aber die Art, wie Startups geführt werden, hinkt hinterher. Zwar reichen anfangs einige Leute mit Laptops. Aber dann braucht es auch welche, die das Produkt verkaufen oder die Webseite bauen, kurz: Angestellte. Um diese schnellstmöglich zu bekommen, werden Jobbezeichnungen erschaffen, die aufregend und cool klingen. „User Experience Guru“ zum Beispiel, oder „Java Guru“. Das bedeutet aber auch, das Angestellte keinerlei klare Aufgabenbeschreibung haben. Sie kommen an einen regellosen Ort und versuchen das einzig Sinnvolle: eine normale Firma zu formen. Das aber braucht Zeit – was fundamental der Logik der Startups widerspricht, so schnell wie möglich zu wachsen. Das Ergebnis ist Verwirrung, Erschöpfung und hohe Personalfluktuation.

Der gescheiterte Guru

Ich selbst wurde einst als „Marketing Genie“ angestellt. Weil ich mich gleich in meinem ersten Monat beweisen wollte, erstellte ich einen Bericht darüber, dass die Markenidentität der Firma auf ihrer Internetseite nicht klar wird. Statt das Produkt anzupreisen, machte die Website kaum klar, was die Firma überhaupt tut. Ich überlegte mir eine bessere Markenführung und klarere Sprache und stellte meinen Bericht dem Management vor. Statt beeindruckt zu sein, waren sie sauer.

Warum? Weil ich ihrer Meinung nach nicht tief genug eingestiegen war. Sprache und Markenführung zu ändern sei zu einfach. Ich sollte stattdessen ausarbeiten, wie die Seitenstruktur geändert, die User Experience verbessert und das Nutzerverhalten stärker überwacht werden könnte. Als ich anmerkte, dass ich die dazu notwendigen Fähigkeiten nicht habe und das auch nie behauptet hatte, sagten sie: „Lerne es!“. Das musste ich ja können, schließlich bin ich ein Genie, oder? Die nächsten drei Monate verbrachte ich Tag und Nacht damit, Grundlagen von Webdesign zu lernen. Heute hat eine bekannte Firma aus Berlin eine Website, die kein Experte gebaut hat, sondern jemand, der einfach nur ein paar Textänderungen vorschlug. Stellen Sie sich vor, wie gut das eigentliche Produkt der Firma ist!

Ich sah nochmals in meinen Arbeitsvertrag. Die „aufregenden Projekte“, an denen ich arbeiten würde, klangen jetzt anders. Passenderweise waren genauere Regelungen zu Rentenvorsorge oder Elternzeit im Vertrag aufregend abwesend. Während ich anfangs dachte, es sei cool, für ein Startup zu arbeiten, mache ich mir jetzt Sorgen um meine Zukunft.

Alle wollen Rockstars sein

Wo es an Struktur fehlt, füllt Persönlichkeit die Leere. Die Startup-Kultur hat Steve Jobs zu ihrem Hohepriester erklärt (inzwischen nur noch Heiliger). Glauben Sie mir, der Gründer jedes Startups ist fest davon überzeugt, der nächste Steve Jobs zu sein. Die anderen „Gurus“ und „Genies“ überschätzen dann ebenfalls schnell, wie viel Macht sie erlangen können. Alle wollen Rockstars sein. Das schlägt sich in den Produkten nieder.

Es ist ein bisschen wie in dem Film „The Social Network“ über Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. In einer Szene sitzt der Hauptdarsteller alleine vor Facebook, nachdem er alle um sich vergrault hat. Der Mann, der nicht mit anderen Menschen umgehen kann, hat ein Werkzeug entwickelt, das wir alle benutzen, um unsere Freundschaften zu verwalten. Genau dieses Prinzip habe ich in jedem einzelnen Startup erlebt, in dem ich gearbeitet habe. Eines entwickelte Lösungen, die Konzernen helfen sollen, ihre Daten zu organisieren. Ihr Chef-Rockstar hatte grundsätzlich kein Interesse an den Meinungen anderer. Also entstand ein Produkt, bei dessen Entwicklung Feedback der Kunden komplett ignoriert wurde. Der Rockstar wollte nicht zuhören.

Ein anderes Startup, ein bekannter Finanzdienstleister, gab seinem Senior Product Designer tyrannische Vollmachten über die Entwickler. Es entstand ein Produkt, bei dem die Nutzer keinerlei Kontrolle darüber haben, wie genau ihr Geld angelegt wird. Und in der dritten Firma haben sie extra einen Senior Marketing Manager aus dem Silicon Valley geholt. Er hatte leider die Firma mit einer anderen verwechselt. Also leitet nun ein Typ das Marketing der Firma, der nicht den geringsten Schimmer hat, wer wir sind.

Am stärksten leiden die Jungen

Es wird schon lange darüber diskutiert, dass sogenannte Millennials, geboren zwischen 1980 und 2000, oft prekär arbeiten. In Startups wird das zur Maxime. Sie müssen ihre Mitarbeiter ausbeuten, um ihre hohen Wachstumsraten zu erreichen. Die jungen Mitarbeiter stehen nun vor dem Problem, ihre unterbezahlte Arbeit und das Bedürfnis, cool zu sein, unter einen Hut zu bekommen.

Sie sind oft Berufseinsteiger, ein sensibler Zeitpunkt im Lebenslauf, an dem gutes Mentoring und Führung entscheidend wären. Aber weil Startups zum Großteil aus Gleichaltrigen bestehen, gibt es wenig Aufstiegschancen, die Konkurrenz ist extrem. Junge Menschen akzeptieren dann die ungesunde Überarbeitung als Normalität, „weil es cool ist“.

Dazu kommt, dass die Startup-Kultur bei Weitem nicht so kosmopolitisch ist, wie sie behauptet. Stattdessen ist sie oft giftig, vulgär und machomäßig. Viel zu oft habe ich harschen Rassismus, Sexismus und Homophobie gehört. Und es gibt normalerweise weder Personalabteilung noch Betriebsrat, an den sich Betroffene wenden könnten.

Unfertige Produkte

Möglichst kurze Meetings, schlanke Diskussionen, schnellstmöglicher Verkaufsstart. Dabei wird vergessen, dass all der Innovationsgeist aus den Köpfen und der Arbeit ganz gewöhnlicher Menschen kommen muss. Das führt zu teils absurden Szenen. Beispielsweise sollten wir ein Marketing-Konzept für ein Produkt entwerfen, das Ende 2016 von Berlin aus global gelauncht werden sollte. Wir gingen zu den Produktdesignern, um nach den Details zu fragen. Die sagten: „Sagt ihr uns einfach, was ihr ankündigen wollt, dann bauen wir das.“ Offensichtlich verwirrt antworteten wir, dass wir zumindest einen groben Entwurf des Produkts brauchen, um zu überlegen, wo und wie wir das vermarkten können. „Vermarktet es, wie ihr wollt!“, sagten sie, „ist uns egal. Wichtig ist nur, dass wir irgendwas rausbringen.“

Leider ist diese Szene weder übertrieben noch ein Einzelfall. Es geht nicht darum, das bestmögliche Produkt zu bauen, sondern das schnellstmögliche. Startups sind auf dem Prinzip des „Feuerlöschens“ erbaut. Das Produkt muss bei Verkaufsstart nur Minimalanforderungen erfüllen – ganz egal, ob dabei Datenschutz gewährleistet ist oder die nationale Rechtsprechung beachtet wird. Danach erst werden Fehler verbessert, bis alles funktioniert. Es ist ein bisschen wie der Berliner Flughafen, wo alle erst merken, wie viel noch zu tun ist, wenn er eröffnet werden soll.

Was tun?

Startups führen vor Augen, was passiert, wenn Firmen sich weniger um ihre Mitarbeiter kümmern, als um ihre (schlechten) Produkte. Damit sich das ändert, brauchen wir zum einen bessere Regulierung für die Produkte. Vor allem aber müssen die Gewerkschaften endlich aktiv werden. Sie müssen junge Menschen von ihrem Wert überzeugen und ihnen zeigen, dass gewerkschaftliche Organisation von digitalen Arbeitern sowohl nötig als auch möglich ist. Weil sie das bisher nicht tun, läuft das mit den „coolen Arbeitsplätzen“ einfach so weiter.

Der Autor ist vor vier Jahren nach Berlin gezogen und hat seitdem in Startups gearbeitet. Er ist der Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben. Übersetzung aus dem Englischen: Hendrik Lehmann.