Mit Postitution in die Presse. Julien Ferrat wirbt für sich mit Möchtegern-Gangster-Rap und schlechten Fotos wie diesem. Foto: promo

Pressemitteilungen aus der Hölle

Ein Mannheimer Lokalpolitiker will Aufmerksamkeit und macht auf Skandalrapper. Da fällt doch hoffentlich keiner drauf rein, oder?

Als Journalist erhält man täglich eine Menge Pressemitteilungen. Manche stammen von Behörden oder Unternehmen, die einen auf eigenen Wunsch auf sogenannte Verteiler gesetzt haben. So verpasst man nichts, wenn es Neuigkeiten gibt. Andere Mitteilungen kommen von Absendern, die einem unbekannt sind. Manche erleichtern die journalistische Arbeit, andere sind inhaltsleer, verstörend oder hochgradig beknackt. Grundsätzlich gilt: Je ungefragter, desto irrer.

»Das war Sp(r)itze

Einmal bekam ich eine Mail von einem kleinen Leipziger Buchverlag. Der schlug Alarm, weil sein Titel „Die schönsten Wanderwege der Wanderhure“ aus Urheberrechtsgründen verboten werden sollte. Ein Charlottenburger Zahnarzt warb unter der Betreffzeile „Schöner bohren“ für das vermeintliche Wohlfühl-Ambiente in seiner Praxis. Eine zweite Mail, in der er alternative Behandlungsmethoden empfahl, trug den Titel „Das war Sp(r)itze“. Die Pressemitteilung eines Berliner DJs ekelte mich an, da sie für ein neues Album „geschmackvollen Popeleinschlag“ versprach, aber da hatte ich mich zum Glück bloß verlesen.

Kürzlich erhielt ich die Mail einer Plattenfirma namens „Entertainment Records“. Keine Ahnung, wie ich auf deren Verteiler geraten war. Die Betreffzeile klang nach Riesenskandal: „Politiker rappt gegen Sex-Steuer in Mannheim.“ Ich kam nicht umhin, die Mail zu öffnen. Dort stand, der Mannheimer Stadtrat Julien Ferrat habe einen Rapsong mit dem Titel „Rathaus, Nutten, Gang Bang“ veröffentlicht! Dieser sei als Protest gegen die Einführung einer Prostitutionssteuer zu verstehen! Und im zugehörigen Musikvideo werde niemand Geringeres als Peter Kurz, der Oberbürgermeister der Stadt, als Zuhälter dargestellt!

Heftig. Was ist da nur in Mannheim los?

Abtreibungen und das Leben im Ghetto

Eine kurze Internetrecherche ergab, dass Julien Ferrat offenbar schon mehrfach versucht hat, mit absurden Pressemitteilungen Aufmerksamkeit zu erregen. Der 26-Jährige, der für die Familienpartei im örtlichen Gemeinderat sitzt, rappte bereits über Abtreibungen und das Leben im Ghetto („Ich bin Mannheimer Stadtrat und bang die Bitches jede Nacht hart“) – dazu ließ er „Entertainment Records“ entsprechende Erklärungen verbreiten. Auf der Homepage der Plattenfirma steht, Ferrat sei bei ihr „als Newcomer unter Vertrag“. Geschäftsführer des Unternehmens ist übrigens ein gewisser Julien Ferrat.

Welche Presse ist wohl so dumm, auf solch offensichtliches Aufmerksamkeitsgeheische hereinzufallen? Wird wirklich irgendwer über Ferrats Sandkastenskandale berichten?

»Milchbubi goes Maniac«

Der „Focus“ schreibt: „Mannheimer Stadtrat schockiert mit Gangsta-Rap-Video.“ Die „Stuttgarter Zeitung“: „Vulgär rappender Stadtrat empört seine Kollegen“. Die „Brigitte“ regt sich auf: „Milchbubi goes Maniac“. Nach dem aktuellen Sex-Steuer-Video fragt das Onlineportal „Tag 24“: „Geht der Stadtrat mit diesem Ding zu weit?“ Die Plattform ze.tt aus dem „Zeit“-Verlag nennt Ferrat „Deutschlands verrücktesten Stadtrat“ und schreibt: „Wer sich die Videos ansieht, kann schon mal geschockt sein.“

Mannheimer Zeitungen, die Ferrat bereits von früheren Skandalversuchen kennen, haben dagegen nicht über das neue Video berichtet. Was Ferrat dazu brachte, wenige Tage später eine weitere Pressemitteilung zu verschicken. Zitat: „Dass die Lokalpresse sich nicht traut, Kritik am Oberbürgermeister zu veröffentlichen, zeigt, dass wir in Mannheim keine funktionierende Mediendemokratie haben.“ Sein Video totzuschweigen, habe „mit Journalismus nichts zu tun“.

Diese Kolumne ist in gedruckter Form im Sonntags-Magazin des Tagesspiegels erschienen. Sie können ihm auf Twitter unter @TSPSonntag folgen.