Hör' mal einer an! Mit dem vernetzten Ohrstöpsel Bragi Dash kann man auch seinen Puls messen, Schritte zählen und Schwimmen. Foto: Bragi/promo

Die schnellstwachsenden Startups Deutschlands

Ein Wettbewerb hat die schnellstwachsenden Startups Deutschlands gekürt. Die beiden Gewinner wollen Supermärkte und Smartphones ersetzen.

Abends 19 Uhr, irgendwo in Berlin. Der Weg nach Hause erzwingt wieder einmal einen Zwischenstopp beim Supermarkt und, ach Wunder!, die Idee hatten auch andere. Zwischen vakuumiertem Geflügel und einer bis zur Unerträglichkeit vielfältigen Auswahl an Tomatenkonserven gerät der Heimweg schnell zu einem gnadenlosen Wettkampf um die Pole Position in der Kassenschlange. Aber was will man machen, man hat es ja versprochen, zu Hause warten Kind und Kegel auf das gemeinsame Kochen.

Das nervt, das muss nicht sein, dachten sich zumindest die zwei Kreuzberger Fabian Siegel und Till Neatby vor drei Jahren und gründeten das Startup Marley Spoon, das fertig bestückte Kochboxen nach Hause liefert. Und das geht so: Kunden bestellen sich ein Abo für zwei Personen oder beliebig viele und wählen zwischen zwei, drei und vier Mahlzeiten, die sie wöchentlich kochen wollen. Ihre App schlägt dem Nutzer dann vor, welche Gerichte in der nächsten Woche gekocht werden: Montag Bulette, Dienstag Thai Curry, Donnerstag Spaghetti Vongole. „Wir versuchen dabei, eine gute Mischung zwischen beliebten Klassikern und interessanten neuen Gerichten zu bieten“, sagt Till Neatby. Die Vorschläge können aber nach Belieben angepasst werden. Einmal die Woche werden die Zutaten geliefert. Los geht es bei 35 Euro für zwei Gerichte für zwei Personen pro Woche.

Der Gegner heißt Supermarkt

Das Konzept von Marley Spoon liegt dabei sehr nahe an dem von Hellofresh, dem Essenslieferservice von Rocket Internet. Der Unterschied sei aber, dass bei Marley Spoon noch etwas genauer konfiguriert werden kann, was man geliefert bekommen möchte. „Ein anderer Teil unserer Vision ist aber, die Herkunft der Lebensmittel transparenter zu machen“, erzählt Neatby. Viele Zutaten werden regional eingekauft, ein Teil zudem aus biologischem Anbau. Das Start-up am Paul-Linke-Ufer verkauft nach eigenen Angaben inzwischen 500.000 Mahlzeiten pro Monat und ist in sechs Ländern mit 500 Mitarbeitern aktiv, 150 davon in Berlin.

Es rappelt in der Kiste. Die Kochboxen von Marley Spoon werden einmal die Woche ausgeliefert. Foto: promo/Marley Spoon

Die selbsterklärten Gegner sind interessanterweise nicht Hellofresh oder Deliveroo, sondern die Supermärkte. „Die Leute geben mehr Geld für Essen aus als für Klamotten, Autos oder Elektronik“, sagt Neatby, „und das wird alles über den Supermarkt abgewickelt“. Dort greift man an, inklusive Moralbonus durch weniger Lebensmittelverschwendung. Dass das aufgeht, wurde am Donnerstagabend vom Zahlungsanbieter Adyen verkündet. Das Unternehmen ehrt jährlich die Startups mit dem größten Umsatzwachstum. Dabei schaffte es Marley Spoon im Zeitraum von 2014 bis 2016 unter allen Bewerbern auf den zweiten Platz. Das Unternehmen richtet den Wettbewerb aus einem einfachen Grund aus: Als Zahlungsanbieter hängt sein Wachstum vom Wachstum der Startups ab, die das Zahlungssystem von Adyen nutzen.

Computer im Ohr

Auf Platz eins schaffte es das Münchner Unternehmen Bragi, das in Deutschland bislang wenig bekannt – und genau aus diesem Grund stark gewachsen ist. „Wir haben uns ganz einfach zuerst auf die größten Märkte konzentriert: China und die USA“, sagt der Gründer Nikolaj Hviid. Seine Firma entwickelt mit 170 Mitarbeitern aus 42 Ländern einen „tragbaren Computer fürs Ohr“. Ihr Vorzeigeprodukt Dash, das satte 300 Euro kostet, ist eine Mischung aus drahtlosem Kopfhörer und Fitnesstracker. Man kann damit nicht nur Musik hören und Telefonieren, sondern beim Fahrradfahren Distanz, Trittfrequenz und Puls „hören“, beim Laufen die Schrittzahl und beim Schwimmen außerdem die Atemfrequenz. Das geht auch ohne verbundenes Smartphone. Das Gerät hat vier Gigabyte internen Speicher und wiegt zehn Gramm. „Wir wollen das Ohr als nächste Schnittstelle zwischen Körper und Computer etablieren“, sagt Hviid. „In Zukunft wird das Handy aus Ohrstöpsel und Kontaktlinse bestehen.“

Der gebürtige Däne vergleicht seine Ohrstöpsel gerne mit Microsoft in den 80ern. Ein Großteil der Entwicklungsarbeit seines Unternehmens geht nicht in Kopfhörer, sondern in ein eigenes Betriebssystem, Bragi OS. Auf der Basis läuft schon der vernetzte Ohrstöpsel. Langfristig aber, so seine Vision, soll es der Standard für am Körper getragene Computer werden.