Geduzt wird später. Peter Altmaiers Antrittsbesuch bei der berliner Startup-Szene. Foto: Rckt

Peter Altmaier bittet zum Pitch

Gleich zwei Mal lud das Wirtschaftsministerium zum Startup-Casting. Und der neue Wirtschaftsminister hatte seinen ersten großen Auftritt

Ein wenig Orientierung braucht Peter Altmaier noch. „Wir sind ja hier auf dem, wie heißt das Ding? Ach ja, Holzmarkt“, sagt der neue Bundeswirtschaftsminister. Es ist offenbar sein erster Besuch des großen Genossenschaftsstadtexperimentes unweit vom Ostbahnhof, wo die ehemaligen Macher der Bar25 ein neues Viertel erschaffen, das die einstige kreative Holzbarackenatmosphäre in das neue Mediaspreeviertel überführt. Es ist daher ein passender Ort, um über die großen Umbrüche und den Wandel der Wirtschaft durch die Digitalisierung zu sprechen.

Denn das treibt auch den neuen Chef im Wirtschaftsministerium um, der wohl nicht zufällig den Holzmarkt als Ort für seinen ersten öffentlichen Auftritt im neuen Amt gewählt hat. Eine Pitch Night steht an diesem Mittwochabend auf dem Programm, zehn Startups präsentieren dabei ihre Geschäftsmodelle. „Sie sind die Zukunftshoffnung unserer Gesellschaft“, ruft der CDU-Politiker den Anwesenden zu.

„Ich bin ja selbst noch ein Startup“

Das in der Startup-Szene übliche Duzen hat er noch nicht so verinnerlicht, wie seine Vorgängerin Brigitte Zypries. Doch sonst hält er trotz Jetlag und Magenverstimmung nach seiner US-Reise bei der er Trumps Handelsminister Zugeständnisse im Zollstreit abgerungen hat, eine extrem launige Rede. „Ich bin ja selbst noch ein Startup, gerade einmal sieben Tage im Amt“, sagt Altmaier. Und erteilt sich damit eine Art Narrenfreiheit, als er en passant der sogenannten Digital Hub Initiative seines neuen Ministeriums eins mitgibt.

Er habe davon heute zum ersten Mal gehört sagt Altmaier. Und das ist zumindest erstaunlich. Schließlich war es eines der Vorzeigeprojekte der vergangenen großen Koalition, um Startups zu fördern und gleichzeitig mit deren Know-How Mittelständlern und Großkonzernen bei der Digitalisierung auf die Sprünge zu helfen. Zwölf Digitalhubs wurden dazu ausgewählt, an denen sich die Beteiligten in bestimmten Themenfeldern vernetzen sollen. So ist in Berlin beispielsweise ein Hub für die Themen Internet der Dinge und Fintech. Letzteres beackert aber auch Frankfurt/Main.

Braucht man wirklich zwölf Digital Hubs?

„Mein Referent hat mir aufgeschrieben, dass wir besser sind als das Silicon Valley“, sagt Altmaier. Denn während es dort ein großes Zentrum gibt, habe Deutschland nun gleich zwölf. So ganz überzeugt ihn die Argumentation offenbar nicht, der Wirtschaftsminister fragt daher, ob eine handvoll Hubs nicht auch gereicht hätten. Doch womöglich konnte man sich nicht einigen und hat dann wie so oft in der föderal geprägten Bundesrepublik jedem etwas gegeben. So gibt es in Potsdam jetzt ein Hub für MediaTech, in München für Mobilität und Versicherungsinnovationen – neudeutsch Insurtech. Darum kümmert sich auch das Kölner Hub. Hamburg und Dortmund wurden jeweils als Hubs für Logistik ausgewählt und Stuttgart kümmert sich zumindest dem Namen nach um das ganz große Ganze: Future Industries heißt der dortige Hub.

An diesem Abend nun sind zehn Startups aus diesen Standorten nach Berlin gekommen, um ihre Ideen vorzustellen. Das Dresdener Startup Infrasolid entwickelt eine Art Minilampe für Smartphones. Mittels Infrarotlicht soll es dann möglich sein, zu messen wieviel Zucker oder Kohlenhydrate in Getränken steckt. Benny Jürgens hat Nect gegründet und entwickelt ein Verfahren, um sich per Selfie zu identifizieren. Dazu braucht es eine kurze Videoaufnahme der jeweiligen Person und seines Ausweisdokuments.

Mit der Lösung der Münchener sollen Nutzer dann künftig Versicherungen abschließen können, ohne sich wie beim bisherigen Postident-Verfahren noch irgendwo persönlich zu identifizieren. Mit Videoident gibt es dazu schon eine ähnliche Alternative, bei der man am Computer ein Videotelefonat führt und seinen Ausweis in die Kamera hält. „Unser Verfahren ist zehn Mal schneller und fünf Mal günstiger“, wirbt Jürgens.

Endlich Impulse aus anderen Städten

Impulse von außen. Vier Investoren befragen die aus ganz Deutschland angereisten Startups. Diese hoffen auf Geld von Johannes Bruder (Rocket Internet), Jens-Philipp Klein (Atlantic Labs), Thomas Lueke (Cherry Ventures) und Johannes von Borries (UVC) (von links nach rechts). Foto: Rckt

Smart City Systems aus Nürnberg baut Sensoren, die auf Parkplätze geklebt werden können. „Die melden ob er frei oder belegt ist“, sagt Gründer Thorge Harms. Fünf Jahre sollen sie halten, in Dresden wird derzeit eine größere Anzahl installiert. Insgesamt sollen in den nächsten Monaten 20.000 Parkplatzsensoren verklebt werden. Hauptzielgruppe sind dabei zunächst aber Unternehmen, die sie für Kunden- oder Mitarbeiterparkplätze nutzen sollen. „Im öffentlichen Markt dauern die Entscheidungen oft zu lange“, sagt Harms.

Nach den dreiminütigen Pitches werden sie von vier Investoren ausgefragt. Einer von ihnen ist Johannes Bruder, Chief Operating Officer bei Rocket Internet. „Ich fand es super“, sagt der nach der Veranstaltung. „In Berlin kreisen wir ja oft um unser eigenes Universum.“ Da täten Impulse aus anderen Städten mal gut.

Fünf Startups aus Afrika, fünf Startups für Afrika

Noch deutlich weiter ging der Blick am Abend zuvor bei der Startup Night Africa. Auch die wurde vom Wirtschaftsministerium organisiert und fand auch gleich im eigenen Haus in der Invalidenstraße statt. Entsprechend gediegener war auch die Atmosphäre, die Anzugträgerquote deutlich höher und so entschuldigte sich gar einer der Gründer, dass er im T-Shirt auf der Bühne stehe: Sein Gepäck war am Flughafen hängen geblieben.

Emmanuel Mbalam aus Ghana stellte eine Finanz-App vor, mit der Nutzer automatisch sparen können. „350 Millionen Menschen haben bei uns nicht einmal ein Konto“, sagt der Gründer. Dafür ist das Bezahlen per Handy verbreiteter als in Deutschland, das will sich Mbalam zunutze machen. Er war einer von fünf afrikanischen Gründern, die ihre Idee präsentierten und auf Investoren und Partner aus Deutschland hofften. Auch aus Ghana stammt Coliba. Das Startup will Recycling populärer machen. Per App können Haushalte sich anmelden und Plastikmüll abholen lassen, dafür gibt es Gutschriften. Mohamed Dhaouafi aus Tunesien entwickelt Prothesen mit dem 3D-Drucker.

Auch fünf deutsche Gründer stellten ihre Geschäftsideen mit Bezug zu Afrika vor. Call a midwife will mit Onlinesprechstunden den Mangel an Kinderärzten und Hebammen in Tansania lindern. E-Farm verkauft gebrauchte Traktoren und andere Maschinen. Und Urban Change Lab hat eine Plattform entwickelt, auf der individuelle Aufträge an afrikanische Designer und Handwerker vergeben werden können. Machen bald Internet und Globalisierung hiesigen Handwerkern die Aufträge streitig? „Nein“, sagt Gründer Jochen Baumeister. „Wir substituieren eher teurere Industrieprodukte.“