Francesca Bria, zuständig für die digitale Entwicklung und Technologie in Barcelona. Foto: promo

Wie Berlin von Barcelona Digitalisierung lernen kann

Barcelonas Digital-Chefin hat einen Stab von 300 Leuten. Francesca Bria empfiehlt eine Zentralisierung der städtischen Digitalausgaben.

Frau Bria, Sie sind „Digital Innovation Commissioner“ der Stadt Barcelona. Was machen Sie jeden Tag?

Ich bin für die gesamte Technologie- und Innovationsstrategie der Stadt zuständig. Dabei geht es an erster Stelle darum, wie die Regierung mithilfe von Technologie so verändert werden kann, dass sie offener, transparenter und partizipativer wird. Wir haben dafür von Grund auf neue Strukturen und Politikleitlinien entwickelt. Außerdem haben wir ein Daten-Infrastruktur aufgebaut, um bessere politische Entscheidungen zu treffen. Damit veranstalten wir eine Revolution im Rathaus.

Wie organisieren Sie Bürgerbeteiligung?

Beteiligung ist die DNA unserer neuen Regierung. Wir haben eine eigene Abteilung für Bürgerrechte und Beteiligung. Das ist ein interdisziplinäres Team, das sich damit beschäftigt, Bürgerbeteiligung mit der gesamten Funktionsweise der Regierung zu verflechten. Dazu verbinden wir Online- und Offline-Beteiligungsverfahren. Auf unserer Plattform können beispielsweise Ideen und Vorschläge von Bürgern eingereicht werden. Die visualisieren wir dann, damit sie noch besser diskutiert werden können. Trotzdem glauben wir, dass die persönliche Debatte in den Nachbarschaften wichtig ist.

Beteiligen sich viele Menschen?

Die größte Beteiligung hatten wir bei der Regierungsagenda: Das ist normalerweise ein sehr bürokratischer Prozess, der hinter verschlossenen Türen geschieht. Diesmal hat die Regierung den Prozess bei manchen Schlüsselthemen komplett gegenüber den Bürgern geöffnet. 40.000 Bürger haben sich aktiv beteiligt. Und jetzt stammen 70 Prozent aller Maßnahmen, die der Stadtrat behandelt von Bürgern. Einen ähnlichen Beteiligungsprozess haben wir bei der Neugestaltung ganzer Stadtteile von Barcelona durchgeführt. Auch dabei haben sich Tausende beteiligt.

Was machen Sie mit all den Daten aus den Beteiligungen?

Alle diese Daten werden, genauso wie das meiste, was die Regierung macht, öffentlich zur Verfügung gestellt. In Kooperation mit einer Universität analysieren und visualisieren wir sie außerdem. Dadurch lernen wir kontinuierlich – und das auf transparente Weise.

Was sind Privatfirmen für Sie? Konkurrenten? Kooperationspartner?

Die Stadt kann nichts alleine machen. Wenn es darum geht, das Geld der Bürger möglichst effizient auszugeben, muss man natürlich mit den wichtigen wirtschaftlichen Akteuren kooperieren. Wir versuchen aber, zuerst mit den Playern zu arbeiten, die wir vor Ort haben. Mit unseren Universitäten und Forschungszentren, aber auch großen Technologiefirmen aus Barcelona wie Telefónica oder Indra. Über 80 Prozent der Firmen in Barcelona sind jedoch kleine und mittelständische Unternehmen. Deswegen versuchen wir auch, die Ausschreibungsverfahren so zu ändern, dass mehr kleine Unternehmen diese Aufträge von der Stadt bekommen.

Wie das?

Bisher ist das sehr geschlossen. Die meisten kleinen Firmen bewerben sich nicht einmal um öffentliche Ausschreibungen, weil sie denken, sie haben sowieso keine Chance gegen die Großen. Aber gerade im Technologiesektor sind es oft die kleinen Firmen, die Ideen und Lösungen haben, die wir Städte dringend brauchen. Deswegen wollen wir einen transparenten Online-Marktplatz schaffen, sodass sich kleinere Firmen einfacher bewerben können. So können wir einen neuen lokalen Markt schaffen.

Und was ist mit Firmen wie Airbnb und Uber?

Das Problem mit solchen Firmen ist, dass sie ein räuberisches Geschäftsmodell haben. Sie kommen an einen Ort, erobern sehr schnell den Markt, bauen ein Monopol auf und halten sich nicht an lokale Regeln. In Barcelona wurde eine Bürgermeisterin gewählt, die sich vorher gegen Räumungen und für bezahlbaren Wohnraum eingesetzt hatte. Das Geschäftsmodell von Airbnb verschlimmerte aber die Wohnungskrise. Kurzzeitmieten stiegen im Stadtzentrum um bis zu 60 Prozent. Dadurch wurden viele Bewohner aus dem Zentrum verdrängt. Also haben wir Regeln geschaffen, dass Leute nur eine bestimmte Maximalzahl an Nächten unterviermieten dürfen. Aber es ist schwer für Städte, das zu kontrollieren.

Gibt es noch andere Lösungsansätze?

Die Stadt Amsterdam hatte da eine kluge Idee: Wenn man etwas bei Airbnb vermieten will, muss man sich bei der Stadt registrieren. Dadurch hat die Stadt einen Überblick über die Vermietungen bei Airbnb. Sie kann dann die rechtmäßigen Steuern dafür eintreiben und illegal vermietete Wohnungen von der Plattform nehmen.

Aber können Städte solche Probleme alleine lösen?

Nein. Das Problem muss auch auf nationaler und europäischer Ebene angegangen werden. Es ist stark mit anderen Dingen verknüpft. Die Finanzwelt spielt da beispielsweise eine große Rolle. In Barcelona gehören immer mehr Wohnungen inzwischen Banken oder großen Hedge-Fonds wie Blackstone. Und keine Stadt kann alleine gegen Blackstone vorgehen.

Welche Lösungen könnten Städte zusammen finden?

Als vor kurzem in London Uber verboten wurde, gab es eine lebendige Debatte zwischen den Großstädten. Denn TFL, das Londoner Nahverkehrsunternehmen, besitzt ebenfalls viele Daten über das Mobilitätsverhalten in der Stadt. Und wenn man mit diesen Daten zusammen mit anderen Städten wie Helsinki, Amsterdam oder Barcelona arbeitet, kann man nach Alternativen suchen. Wir können die Innovation für eigene neue Transportmodelle aus Europa fördern – und dabei vorsichtiger mit Daten der Bürger umgehen.

Ist es dafür nicht etwas zu spät?

Ja, Europa ist spät dran. Aber wir haben fantastische Universitäten, die besten Verschlüsselungsexperten, die besten neuen Finanztechnologie-Unternehmen. Das Talent ist in Europa. Es ist eher eine Frage von Geopolitik und der Frage, wie Europa sich künftig gegenüber den USA und China positionieren will. Aber ich denke, es ist nicht zu spät. Noch können wir die Kontrolle über Daten und künstliche Intelligenz zurückgewinnen.

Sie meinen eine demokratische Revolution?

Ja, die meine ich. Denn ich glaube es gibt eine Vertrauenskrise der Bürger gegenüber der Politik. Wenn noch mehr Leute Angst haben, ausgeschlossen zu werden, wird das zu noch mehr Aufschwung für rechten Populismus führen. Durch digitale Beteiligung kann Vertrauen zurückgewonnen werden. Wir müssen die digitale Revolution mit einer demokratischen Revolution verbinden.

Welche städtischen Probleme könnte man noch mit Daten lösen?

Inzwischen sind Daten fast überall relevant. Viele öffentliche Dienstleistungen könnten damit verbessert werden. Die Abfallwirtschaft, Wasserversorgung, Parkplatzbewirtschaftung oder öffentliche Mobilität. Zum Beispiel kann man dadurch besser Busse, Trams, U-Bahn und Bike-Sharing zusammenbringen, sodass der öffentliche Nahverkehr für alle besser wird.

Wie viel Geld gibt Barcelona dafür aus?

Wir investieren um die 75 Millionen Euro im Jahr für unser Digitalisierungsprogramm. Es geht aber auch darum, in der Stadtverwaltung die nötigen Kapazitäten aufzubauen. Ich bin gerade dabei, zusätzliche 65 Mitarbeiter in die stadteigene Technologiefirma zu integrieren. Damit sind wir jetzt 300 Personen. Wenn die Verwaltung anpassungsfähiger und effizienter werden soll, ist es wichtig, dass der öffentliche Sektor das notwendige Wissen bei sich selbst aufbaut.

Was empfehlen sie anderen Städten?

Bevor man anfängt, überall Sensoren einzubauen und Systeme einzuführen, ist es wichtig, eine stringente Digitalstrategie zu haben. Damit man weiß, welche Probleme man damit überhaupt angehen will. Technologien können nur helfen, wenn man weiß, wofür man sie benutzen will. Sonst ist man die ganze Zeit dabei Technikprobleme zu lösen, anstatt die drängendsten Probleme wie beispielsweise Wohnungsnot anzugehen.

Und was würden Sie Berlin empfehlen?

Ich denke, es macht es schwer, wenn alle Bezirke unabhängig voneinander unterschiedliche Technologien einkaufen. Man müsste die städtischen Digitalausgaben stärker zentralisieren. Gerade, um Daten in der Verwaltung sinnvoll nutzen zu können ist es wichtig, dass alle an einem Strang ziehen. Es wäre gut, einmal alle Technologien und Systeme aufzuzeichnen, die Berlin derzeit nutzt. Wichtig ist aber auch, eine Art Landkarte aller möglichen Kooperationspartner in der Stadt zu erstellen, egal ob Start-ups, große Firmen, Bürgerinitiativen oder Universitäten. Wenn man es dann noch schafft, mit einigen sinnvollen Leitlinien eine Richtung vorzugeben, die diese Einzelpunkte zusammenbindet, ist es schon halb geschafft.

Francesca Bria wurde in Rom geboren, wo sie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studierte. Sie hält darüber hinaus einen Doktor in Innovation und Design vom Imperial College London. Sie arbeitet als Technologie-Beauftragte der Stadt Barcelona. Das Interview führten Lorenz Maroldt und Hendrik Lehmann