Wie Kreuzberger 3-D-Drucker die Industrie verändern sollen
In Kreuzberg arbeiten sie am Fluglärm. Präzise formuliert an weniger Fluglärm. Und daran, dass Flugzeuge weniger Sprit verbrauchen. Vor Stephan Beyer auf dem Tisch liegt ein Winglet, eines jener gebogenen Endstücke, wie sie an jeder modernen Tragfläche zu sehen sind. Durch ihre spezielle Form sorgen sie dafür, dass die Luftströme günstig gelenkt werden. Das Stück, das Beyer nun von allen Seiten betrachtet, ist kleiner als das Original. Es ist aus Kunststoff, leicht, ein Modell für Airbus – und es ist gedruckt mit einem 3-D-Drucker von BigRep. „3-D-Druck wird in der Industrie viel für das Prototyping – also in der Entwurfsphase – genutzt“, erläutert Beyer, Geschäftsführer des Berliner Herstellers. Es mache die Entwicklung schneller und günstiger.
Eine Spielerei ist das Verfahren, bei dem im Fall von BigRep aus Materialien wie Kunststoffen oder Papier am Rechner entworfene Gegenstände dreidimensional ausgedruckt werden, schon lange nicht mehr. Eines der prominentesten Beispiele können seit Kurzem Besucher des Berliner Naturkundemuseums bewundern. Der Schädel des Tyrannosaurus-Skeletts Tristan ist mithilfe eines 3-D-Druckers entstanden und besteht aus Silikon. Vermessen und gedruckt wurde der T-Rex- Kopf in wochenlanger Arbeit an der TU Berlin. Die Forscher dort nutzten allerdings eine andere Technik als BigRep. Dabei beschießt ein Laser ein spezielles Pulver, das bei Temperaturen von etwa 170 Grad Celsius schmilzt, und mittels Computermodell in die entsprechende Form gebracht wird.
Modelle sind leichter und günstiger herzustellen
Mit solch spektakulären Werkstücken wie Saurierköpfen können die rund 50 Mitarbeiter bei BigRep nicht mithalten. „Wir arbeiten auch mit Künstlern und Designern zusammen“, sagt Beyer. Über die gesamte ehemalige Fabriketage in der Gneisenaustraße verteilt stehen deshalb knallbunte Tische in Wabenoptik, Vasen aus transparentem Kunststoff und mattglänzende Skulpturen. Doch das Hauptaugenmerk liegt auf einer deutlich lukrativeren Klientel. „Wir zielen schon auf Industriekunden“, sagt Beyer.
Mit rund 50 000 Euro kostet das aktuelle BigRep-Modell ein Zehntel der herkömmlichen – und leistungsfähigeren Industriemodelle. Airbus, der japanische Techkonzern Sony, ein Bushersteller aus Australien – die Liste der Partner und Kunden ist international. In Deutschland arbeitet das Unternehmen unter anderem mit BMW zusammen. 3-D-Druck ermögliche es zum Beispiel, Ersatzteile für Autos dort herzustellen, wo sie gebraucht würden, erläutert Beyer. Das bedeutet: keine Lagerhaltung, keine Transportlogistik – das Einzige, was verschickt wird, ist eine Datei mit den Konstruktionsdaten des Ersatzteils. Aus einer Ersatzteillogistikkette werde so ein digitales Geschäft. „Der digitale Herstellungsprozess führt zu einem Umdenken bei Ingenieuren. Sie können etwas ausprobieren, das Modell mit einem Mausklick verändern, mit Materialien experimentieren.“ Zu langsam für die Serie
Wenn das alles so einfach wäre, wären die einen Kubikmeter großen Drucker aus Kreuzberg womöglich schon Standard in jeder Fabrikhalle. Das größte Manko der Technologie: Sie ist zu langsam. Rund 20 Stunden dauert es, ein Werkstück von der Größe eines Blumenkübels mit einem sogenannten additiven Produktionsverfahren zu drucken. In millimeterdünnen Schichten entstehen aus den mit Hitze verflüssigten Werkstoffen die Produkte. Für die Serienproduktion eignet sich dieses Verfahren nicht. Wohl aber für Prototypen. „Mit herkömmlichen Methoden kostet ein Modell beispielsweise 600.000 Euro“, verdeutlicht Beyer. „Durch 3-D-Technologie sinken die Kosten auf 500 Euro.“
Den weltweiten Schritt zur Alltagstechnologie erwartet die Branche ab 2017. Während Unternehmen mit dem 3-D-Druck zu Beginn des Jahrzehnts noch rund zwei Milliarden Dollar verdienten, rechnet die Beratungsfirma Wohlers bis 2017 mit einem Volumen von sechs Milliarden Dollar. Zu Beginn des kommenden Jahrzehnts sollen es dann bereits zehn Milliarden Dollar sein.
Zahnmedizin nutzt Technologie schon
Spätestens dann könnte die Technologie ganze Branchen verändern. „Schon heute sorgen digitale Herstellungsverfahren wie 3-D-Druck dafür, dass Produkte nicht mehr massenhaft hergestellt werden müssen“, sagt Produktdesigner Wolf Jeschonnek. „Produkte können zum Beispiel schon bei einer Stückzahl von 5000 rentabel sein, wo früher 500 000 Stück notwendig waren.“ Jeschonnek betreibt mit seiner Firma Makea und dem Medizintechnikspezialisten Ottobock den Open Innovation Space auf dem Areal der ehemaligen Berliner Boetzow-Brauerei an der Prenzlauer Allee. Sein Team erkundet dort unter anderem, wie digitale Produktionsmethoden die Medizintechnik voranbringen können.
In diesem Zusammenhang arbeitet es auch mit BigRep zusammen. „Mit 3-D-Druckern, wie BigRep sie hat, könnte man zum Beispiel Prothesen für obere Extremitäten herstellen.“ In anderen Bereichen sei die Nutzung der unterschiedlichen 3-D-Druckverfahren schon gang und gäbe. Kronen und Brücken als Zahnersatz würden bereits großflächig so produziert. Auch bei Hörgeräten sei die Produktionsmethode üblich. Für Beinprothesen hingegen seien die Materialien noch nicht stabil genug. „Derzeit lässt sich noch schwer sagen, wann das 3-D-Druckverfahren massenhaft in der Medizintechnik zum Zuge kommt.“
Kunden sitzen in der ganzen Welt
Beyer ist überzeugt, dass BigRep eine Marktlücke gefunden hat, die ausreichend Raum für Wachstum lässt. Vor rund zwei Jahren gestartet, setzt das Unternehmen nach seinen Angaben inzwischen im einstelligen Millionenbereich um. In diesem Jahr werde der Erlös noch einmal um den Faktor acht bis zehn zulegen. Über Gewinn oder Verlust redet Beyer nicht – Investoren können sich mit der Geschäftsidee aber sehr wohl anfreunden. Erst im November hatte sich das Unternehmen, das Beyer gemeinsam mit René Gurka leitet, sieben Millionen Euro für weiteres Wachstum gesichert. Neben einer Wagniskapitalgesellschaft gehört auch der Spezialpapierhersteller Koehler zu den Geldgebern.
BigRep will das Geld unter anderem in seinen Vertrieb stecken und plant Niederlassungen in New York und Singapur. Bei relativ neuen Verfahren wie dem 3-D-Druck müsse man die Kunden an die Möglichkeiten der Technologie heranführen. Und die potenziellen Kunden sitzen eben in der ganzen Welt. Berlin als Hauptsitz der Firma steht aber nicht zur Debatte. Das Team besteht neben Vertrieblern vor allem aus Softwareentwicklern und Designern. Vor allem die beiden letztgenannten Berufsgruppen finde man derzeit nur schwer – wenn überhaupt, am ehesten in Berlin. Die Stadt ziehe Kreative und Entwickler aus der ganzen Welt an. Allein 15 Nationalitäten fänden sich derzeit im Team von BigRep. Fehlende Industrie kein Standortnachteil
Dass die Industrie in Berlin ein eher unterentwickelter Sektor ist und die Kunden anderswo sitzen, ficht Beyer nicht an. „In Kreuzberg hat die Berliner Industrie ihre Wurzeln. Insofern passen wir sehr gut hierher.“ Auch Jeschonnek sieht im Fehlen von Produktionsbetrieben keinen Standortnachteil. „Viele Industrieunternehmen schauen nach Berlin, wenn es um digitale Produktionsverfahren wie 3-D-Druck geht.“
Beyer sieht sein Unternehmen inmitten der vor allem von E-Commerce geprägten Gründerszene in der Hauptstadt in einer günstigen Exotenrolle. „In Berlin schauen derzeit sehr viele Investoren auf softwarelastige Start-ups.“ BigRep falle in diesem Umfeld auf. „Wir werden sicher in Kürze eine weitere Investorenrunde starten.“