»Der Staat sollte etwas gegen die Verblödung im Netz tun«
Herr Dueck, in Ihrem neuen Buch »Flachsinn: Ich habe Hirn, ich will hier raus« behaupten Sie eine zunehmende Verblödung und Verrohung durch das Netz. Eine steile These, wie kommen Sie darauf?
Das ist keine steile These, das merken doch gerade alle! Trump? Ich habe mich schon lange über Leute geärgert, die hässliches Zeug verbreiten. Als ich 2015 anfing, das Buch zu schreiben, sah man schon, dass die Leute im Netz immer mehr aufeinander losgehen. Es hat etwas mit der Besiedlung des Neulands Internet zu tun. Früher waren da erste Idealisten, die trotz technischer Probleme eine bessere Welt predigten, dann aber kamen die anderen auch. Erst besiedeln Farmer den Westen, dann kommen Goldgräber, Abenteurer und Wegelagerer und man braucht Sheriffs. Zuerst ging es im Netz um gute Inhalte, heute ringt man oft nur noch um blanke Aufmerksamkeit.
Warum ist das ein Problem?
Aufmerksamkeit lässt sich monetarisieren. Man kann beispielsweise Werbung auf seiner Webseite schalten und damit Geld verdienen. Man gewinnt also Geld, wenn viele Leute auf die eigene Seite kommen. Das geht zum Beispiel locker mit sensationistischem Dreck und Werbung drum herum. Beleidigungen und Gehässigkeiten ziehen Aufmerksamkeit auf Werbung, weil sie sich viral verteilen – und zack, sind ein paar tausend Euro verdient. Inzwischen versuchen das einige in genau dieser puristischen Form, zum Beispiel mit Fake News.
Was ist daran anders als früher, wo es ja auch Werbung gab?
Früher hatte das Wichtige einen Anspruch auf Aufmerksamkeit. Der Sender wurde gehört, weil er Autorität hatte. Reich-Ranicki sagte uns, welche hundert Bücher wir zu lesen haben, die ARD Tagesschau hatte immer recht, der Pfarrer und alle Lehrer sowieso. Aber jetzt ist es so, dass der Sender von wichtigen oder inhaltsschweren Sachen nicht mehr per Autorität die Aufmerksamkeit beanspruchen kann. Er muss also genauso die Aufmerksamkeit erringen wie alle anderen auch. Leider glauben die Vertreter des klassisch Wichtigen immer noch, in der Autoritätsposition zu sein. Aber das Wichtige findet nicht von alleine seinen Weg und gewinnt.
Sie argumentieren, dass diese Aufmerksamkeitsökonomie auch der Wirtschaft selbst schaden kann. Inwiefern?
Der Wirtschaft geht es eigentlich immer ganz gut, wenn alles einigermaßen berechenbar, ohne Brüche und Sprünge abläuft. Dann kann ich überlegen, wie sehr es sich lohnt, in einem bestimmten Bereich zu investieren. Wenn aber durch massive Aufmerksamkeitsschwankungen Blasen entstehen, dann leidet alles unter der Unsicherheit – die Risiken steigen.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Ich habe mir beispielsweise für das Buch die 3D-Druckindustrie und deren Aktienkurse angeschaut. Ende 2013 fing das an. Alle fanden das plötzlich interessant, alle haben darüber geredet und berichtet, die Aktienkurse der Marktführer schossen in den Himmel. 3D-Druck lässt sich gut fotografieren und filmen, das ist super für Aufmerksamkeit! Da haben Leute behauptet, man kann bald ein Auto ausdrucken. Völliger Quatsch!
Warum?
Es dauert lange, Stabilitätseigenschaften von neuen Materialien zu erforschen. Dann wartet die Presse am besten drei Monate, ob jetzt Autos gedruckt werden. Nein? Ach, nicht mehr interessant. Und schon ist 3D-Druck wieder aus der Aufmerksamkeit raus, die Aktienkurse fallen auf das Ausgangsniveau zurück. Das ist schlecht für alle Neuaktionäre, schlecht für die Firmen, die aus der Balance kommen und ein Dorado für Spekulanten. Ein großer Profiteur ist damit auch jede verantwortungslose Presse, die nur monetarisieren will.
Was würden Sie dagegen tun?
Ein Vorschlag wäre, so etwas wie ein Trust Center im Netz zu etablieren, also ein Heim für vertrauenswürdige Inhalte zu schaffen. Zum Beispiel könnte man eine staatliche Mediathek aufbauen, in der alle hochqualitativen Medien gesammelt werden. Es gibt ja genug qualitative Inhalte. Wenn man allein so etwas wie die Augsburger Puppenkiste oder Janosch frei zugänglich machte! Ich behaupte: Es gibt so viele wunderbare Kindersendungen, dass ich ein Kind bis zur Volljährigkeit ganz ohne Trash heranziehen könnte. Warum muss ich in der Schule Iphigenie aus Reclamheften lernen, warum kann ich nicht zehn Inszenierungen bei 3Sat oder arte abrufen? Genauso kann ich alle Museen digitalisieren oder sonstige Kulturgüter. Dann kann ich mit 3D-Brille auf den Pyramiden rumlaufen. Wenn man das dann alles interessant aufbereitet, dann wäre das so ein Trust Center.
Sie saßen erst kürzlich in der Bundesversammlung. Haben Sie das mal der Politik vorgeschlagen?
Ich habe schon oft mit Politikern darüber gesprochen. So richtig mögen sie nicht. Sie fürchten juristische Probleme. Ich möchte von Politikern besonders, dass wir überall und immer Internet haben. Ich merke ja als Vielreisender, wie oft auch in deutschen Innenstädten nur wenig geht – und in der Bahn sowieso. Im Ausland ist es besser! Schämen die sich nicht? Ich bin oft nicht grimmig und wünschte mir, dass man nur in den Bundestag gewählt werden kann, wenn man Stufe 30 bei Pokémon Go erreicht hat. Denn das braucht stabiles GPS und mobiles Internet gleichzeitig. Da sieht man ganz schnell, dass das großflächig fehlt. Ich bin gerade vom Hauptstadtstudio am Reichstagufer entlang zur Friedrichstraße gelaufen. Da ist an vielen Stellen eine Netzabdeckung von E, nicht 3G oder LTE. Einen Kilometer vom Deutschen Bundestag entfernt gibt es kein Internet. Geht’s noch? Wie soll man dann erst E-Health oder neue Wirtschaftszweige des Internets der Dinge ermöglichen, wo schnelles Internet lebenswichtig ist.
Sie argumentieren, dass nicht nur Unternehmen sich in der neuen Aufmerksamkeitswirtschaft behaupten müssen, sondern auch der Einzelne.
Vor allem seit die Firmen mit Indien und China konkurrieren, gibt es eine zunehmende Verdichtung von Arbeit, dazu eine Verknappung von Beförderungen. Der Streit um die wenigen Beförderungen wird zunehmend „weiter oben“ entscheiden, also kommt eher nur der dran, der oben bekannt ist, oder neudeutsch „visible“. Selbstwerbung wird dann zur Notwendigkeit! Gute Arbeit spricht nicht mehr allein für sich selbst. Tröten muss sein, sonst merken die da oben nichts. Das hassen viele Mitarbeiter, besonders Introvertierte, die unter Informatikern, oder Ingenieuren in der Mehrheit sind, während extrovertierte Beratertypen sich da eher hineinfinden. Es entsteht eine neue Aufmerksamkeitskultur, in der sich jeder einen Platz suchen muss. Rumjammern hilft ja nichts.
Wie könnte man als Einzelner besser damit umgehen? Es geht nicht darum, der beste Angeber zu werden. Es geht darum, dass man die Aufmerksamkeit bekommt, die man braucht oder verdient. Dabei sollte man für das eintreten, was man ist und eine gewisse Konsistenz für sich finden, auch online – eine runde Persönlichkeit sein, auf die man gern und vertrauensvoll schaut.
Inwiefern?
In der Psychologie gibt es die Vorstellungen vom Selbstbild und vom Fremdbild. Wie sehe ich mich? Wie die anderen? Heute kommt noch das Netzbild dazu. Wie sieht man mich, wenn man meinen Namen googelt? Steht da nichts? Schlecht. Heißt man Hans Müller? Da findet man unter Tausenden nichts richtig. Steht da zu vieles durcheinander, etwa ein Foto, wo man mal beim Feuerwehrfest beim Abwasch geholfen hat und ein Selfie beim Ballerman? Da wäre es besser, das Netzbild selbst in die Hand zu nehmen. Eine kleine Homepage mit ein paar Grundinfos würde ja helfen. Idealerweise bekommt man es hin, dass das Netzbild mit dem übereinstimmt, was man ist – oder sein will. Na gut, übertreiben Sie im Netz ein bisschen und schlagen Sie zehn Prozent auf, dann wissen Sie auch immer, wohin Sie noch wollen und gehen müssen.
Das Gespräch führte Hendrik Lehmann.