Eine Karte aller Berliner Mieterinitiativen und Beratungsstellen
Das Haus sieht aus, als sei der Kampf gar nicht vorbei. Noch immer flattern die weißen Transparente an der Hausfassade in Prenzlauer Berg. »Kann mieten Sünde sein?« steht in Großbuchstaben darauf. Oder »Milieuschutz geht uns alle an«. Die Mitglieder der Initiative »Gleim56« hatten sie im Sommer 2018 an die Außenwand gehängt. Damals fürchteten sie, ihre Wohnungen zu verlieren. Ihr Haus sollte an einen Investor gehen. Heute bleiben die Plakate hängen, um auch anderen Mietern Mut zu machen. »Wir wollen mit unseren Erfahrungen helfen«, sagt Lothar Gröschel, einer der Bewohner jenes Hauses am Mauerpark.
Von Hausprojekten bis Vorgartenschutz
Die Landschaft der Mieterinitiativen ist so bunt und widersprüchlich wie die Berlinerinnen und Berliner. Die Mieten steigen, es fehlen Wohnungen, und daher gründen sich seit einigen Jahren an allen Ecken und Enden der Stadt immer mehr Initiativen. Oft aus der Not heraus – etwa, weil Mieter eines Hauses nach einem Eigentümerwechsel Verdrängung befürchten. Oder weil sie Angst haben, dass Grünflächen verschwinden, wenn neu im Kiez gebaut werden soll. Andere sind die Nachfahren der Berliner Hausbesetzerszene. Und wieder andere sind schon lange über ihr ursprüngliches Problem hinausgewachsen. Sie fordern als politische Bündnisse mit teils hunderten Mitgliedern und Sympathisanten, die Berliner Mietenpolitik mitzugestalten.
Schwierig ist dabei: Wer sich engagieren oder informieren will, weiß oft gar nicht, welche Initiativen es in der Nachbarschaft gibt. Ein zentrales Verzeichnis der Interessensgruppen und Beratungsstellen für Mieter in Berlin fehlt. Auch, weil die Initiativen teils sehr unterschiedliche Ziele verfolgen. So ist es schwer, zu beurteilen, wer das eigentlich ist - diese neue Berliner Zivilgesellschaft, die sich da um das Thema Wohnraum formt. Es ist schwer, ins Gespräch über Lösungen zu kommen. Und erst recht, Hilfe zu finden.
Also: Zeit für eine Kartierung der Berliner Mieterinitiativen.
Das Kennenlernen
Im Gespräch mit den Initiativen ist von einer Erfahrung immer wieder zu hören: Das unerwartete Kennenlernen. Anwohner, die sich vorher nicht einmal auf dem Flur begrüßt haben, finden sich zur Krisensitzung zusammen, laden sich in ihre Wohnzimmer ein und besprechen die Lage. Das ist nicht immer einfach. Gelingen einer Initiative aber erste Erfolge, entsteht plötzlich ein neues Gemeinschaftsgefühl, erzählen sie.
So war das auch in der Gleimstraße 56. Die Mieter konnten den Bezirk letztlich überreden, ihr Haus zu kaufen. Vor wenigen Wochen hat die kommunale Gesobau das Gebäude erworben. »Der ganze Kiez ist schon in Eigentumswohnungen zerlegt«, sagt Lothar Gröschel, Bewohner des Hauses. Monatelang sind die Mieter mit Plakaten auf die Straße gegangen. »Heute klingelt man viel eher mal beim Nachbarn als früher«, sagt eine der Bewohnerinnen, Andrea Übelacker. Als die Bewohner bei den abendlichen Treffen im Sommer im Innenhof saßen, Bier tranken und die Lage diskutieren, habe sie auch Freunde gefunden. »Jetzt laden wir uns gegenseitig zum Geburtstag ein.«
Parkplatz vs. Neubau
Mieter, die sich engagieren – das kann, muss aber kein Kampf gegen Investoren sein. Den meisten geht es nicht nur um günstige Wohnungen, sondern darum, sich im Kiez wohlzufühlen. Dazu kann auch zählen, einen Parkplatz fürs Auto zu haben oder regelmäßig im Grünen spazieren zu können. Wenn die Stadt dann plötzlich neue Wohnungen bauen will, sehen manche Anwohner Rot. Was, wenn die neuen Häuser die Sicht verdunkeln? Was, wenn es durch die Verdichtung im Sommer stickig wird?
Für eine Initiative in Pankow sind das wichtige Fragen. Schon 2015 haben sich die Bewohner in der Michelangelostraße zusammengetan, weil der Bezirk neue Wohnungen dort errichten will. Viel zu viele, klagen die Anwohner. »Wir wollten den Architektenentwurf nicht einfach so hinnehmen«, sagt Katrin Spieker vom »Verein für Lebensqualität an der Michelangelostraße e.V.«.
»Eine kalte Enteignung«
Es geht ihnen nicht nur um Luftqualität. »Wir befürchten, dass es danach keine Parkplätze mehr gibt«, sagt Spieker. »Diese wegzunehmen wäre eine kalte Enteignung für uns.« Derzeit könnten alle Bewohner ihr Auto kostenlos abstellen. Die Anwohner, wie auch Spieker selbst, sind hauptsächlich Rentner. Sie brauchten ihr Auto – aus gesundheitlichen Gründen, sagen sie. Oder, um die Enkelkinder von der Schule abzuholen und in ihre Kleingärten zu fahren.
Zuerst engagierten sich zehn Bürger, mittlerweile sind 42 Anwohner Vereinsmitglieder. Sie verschicken einen Newsletter, verteilen Flyer oder informieren im Einkaufzentrum über ihre Arbeit. Einmal im Monat treffen sie sich – meist, um neue Bauvorschläge des Bezirks zu diskutieren. »Die haben am Anfang nicht freiwillig mit uns gesprochen«, erinnert sich Spieker. »Aber aus der Antihaltung wurde eine freundliche Zusammenarbeit.« Ihr bisher größter Erfolg: den geplanten Neubau von 1500 auf 1200 Wohnungen zu begrenzen. Auch wenn das nicht das Ziel der Initiative ist. Am liebsten hätten sie nur halb so viele neue Wohnungen. »Wenn die Politiker uns entgegenkommen, sind wir bereit, ein bisschen nachzugeben.«
Die Angst vorm Rausschmiss
Die Verbindung zu den Nachbarn kann viel bewegen. Vor allem, wenn alle die gleiche Angst teilen: Die Angst davor, ihr Zuhause zu verlieren. Für die meisten Initiativen ist das das Kernthema. So auch in der »Seume14«. Vor zwei Jahren sollte ihr Haus an einen Investor verkauft werden. Da war das Vorkaufsrecht noch wenig beliebt bei den Bezirken. Den Bewohnern, größtenteils Leute mit kleinem Einkommen, drohte der Rauschmiss.
Sie hatten in der Nachbarschaft gesehen, wie das lief. Mit Mieterhöhungen und Psychoterror hätten Investoren die Mieter verdrängt, erzählt Seumestraße-Bewohner Simon Fronemann. Die einzige Möglichkeit war: selbst Eigentümer werden. Doch um ein Haus zu kaufen, braucht es Vertrauen. »Wir waren alle irgendwelche Fremde«, erinnert er sich. Aus »irgendwelchen Fremden« wurde schnell eine »Schicksalsgemeinschaft«. Und der gelang es dann irgendwie, das zweite, noch größere Problem zu lösen: Wie konnte das notwendige Kapital beschafft werden?
Das Häusernetzwerk
Die frischgebackene Initiative begann, Geld zu sammeln. Die Bewohner pumpten Freunde und Bekannte an. Jeder, der konnte, gab etwas dazu. »Die Frage, wer bekommt welchen Anteil, gab es einfach nicht«, erinnert sich Fronemann. Der Fokus war klar: Sie mussten ihr Haus retten. Die schlaflosen Nächte wurden dadurch zwar nicht weniger, aber wenigstens konnte man darüber reden. Schließlich kam die Erlösung. Die Bank gab ihnen einen Kredit. Das Haus soll nun für immer ein Mietshaus bleiben. Ob eine Wohnung renoviert werden oder ein neuer Mieter bei ihnen einzieht soll, entscheiden die Bewohner zusammen.
Die Seumestraße 14 gehört zur Hälfte den Mietern, zur Hälfte dem »Mietshäuser Syndikat«. Das ist ein Netzwerk aus Hausprojekten und Mieterzusammenschlüssen in ganz Deutschland. Mit ihren Kontakten unterstützt die Vereinigung Mieter, Kleinkredite für ihr eigenes Projekt aufzutreiben. Oder das Netzwerk stellt selbst Kapital zur Verfügung. Im Gegenzug müssen sich die Mieter verpflichten, ihr Haus niemals zu verkaufen. Für die Seume14 war das die Rettung. »Ohne die hätten wir das nicht geschafft«, sagen die Bewohner.
Bis heute engagiert sich die Initiative weiter. »Wir haben schon vierzig anderen Initiativen Mut gemacht«, sagt Birgit Ziener nicht ohne Stolz. Sie hat auch einen Tipp für Betroffene parat: Dranbleiben. Wenn man als Initiative erfolgreich sein will, muss man präsent sein – das sagen auch Bewohner der Gleimstraße 56. Politiker auf einen Kaffee einladen, zum Beispiel, oder notfalls demonstrieren gehen. »Auch, wenn ich das erstmal komisch fand, mit Plakaten durch die Straßen zu laufen«, sagt Dorit Gibbner. Die 67-Jährige wohnt seit ihrer Geburt in der Wohnung. Sie hat dort vier Kinder großgezogen.
Drangeblieben
Wie lange so ein Engagement gehen kann, das aus einer Ursprungsmisere entsteht, zeigt der Verein »Für eine billige Prachtstraße – Lehrter Straße«. Ihr Nachbarschaftsladen ist nur vier Busstationen vom Hauptbahnhof entfernt. Die zwanglose Einrichtung scheint gar nicht zu dem prunkvollen Altbau zu passen, in dessen Erdgeschoss sich der »B-Laden« befindet. Anwohner sitzen auf bunt zusammengewürfelten Möbeln, trinken Tee und unterhalten sich. Am Fenster stapeln sich Gesellschaftsspiele, eine Herdplatte zum Kochen steht bereit. Einmal im Monat findet sich der sogenannte »Betroffenenrat« im »B-Laden« zusammen. Dort tauschen Nachbarn sich aus und sprechen über neue Pläne. Ein Spielplatz und eine Kulturfabrik sind so schon entstanden.
1989 hat sich der Verein gegründet, kurz vorm Fall der Mauer. Damals ging es nicht darum, eine Modernisierung zu verhindern. Im Gegenteil. »Die Häuser verfielen und sollten abgerissen werden«, sagt Susanne Torka. Sie ist Vereinsmitglied der ersten Stunde. Die Lehrter Straße sah, mit ihren Altbauten, einmal gut aus.
Mit vierzig Kneipen war sie Preußisches Militärgebiet und Treffpunkt von Soldaten, erzählt Torka. Doch in den 80ern klagten die Mieter über Außenklos und fehlende Heizungen. »Wir wollten unsere Prachtstraße zurück, von der uns Klara Franke, Kiezmutter und Mitgründerin des Vereins, immer erzählte. Dann haben wir mit der Stadt verhandelt.« Mit Erfolg. Die Gesellschaft für Stadtentwicklung, die die Häuser im Auftrag des Landes Berlin verwaltet, sanierte sie.
Die große Bedeutung kleiner Erfolge
Torkas wichtigster Tipp: Standhaft bleiben. Und auch kleine Erfolge feiern. Heute setzt sich der Verein auch für Kultur und Verkehrsplanung in der Nachbarschaft ein. »Wir haben mal zwölf Jahre für einen Zebrastreifen in unserer Straße gekämpft. Solange muss man erstmal durchhalten«, sagt die 66-Jährige. Trotzdem ist das Thema Wohnen für den Verein immer noch wichtig. Susanna Torka glaubt, dass die Lage im Kiez derzeit wieder brenzlig wird. »In der Mitte der Lehrter Straße bauen sie teure Wohnungen. Co-Living nennen sie das. Ich nenne das: »Zwangsgemeinschaft für viel Geld.« Gegen Pläne wie diese engagiert sich der Verein.
Auch die Bewohner der Gleimstraße 56 in Prenzlauer Berg wollen weiter politisch Einfluss nehmen. Sie wollen selbst entscheiden, wie es mit ihrer Nachbarschaft weitergeht. Eine »aktive Mieterschaft erkämpfen«, das sei das Ziel, sagt Gröschel.
Diese »aktive Mieterschaft« verfolgt jeweils ihre eigenen Interessen, die nicht immer das gleiche Ziel haben. Der Kampf für freie Parkplätze widerspricht dem Wunsch für bezahlbaren Wohnraum in der Innenstadt. Fest steht: Die politische Mieterlandschaft der Stadt blüht gerade erst richtig auf.
Über hundert Berliner Initiativen, Bündnisse und Beratungsstellen haben wir für Sie im Rahmen der Langzeitrecherche Wem gehört Berlin? zusammengetragen. Mit der Karte kann sich jeder selbst ein Bild von der Landschaft der Mieterinitiativen in der Stadt machen. Fehlt eine Initiative? Wir fügen sie gerne der Karte hinzu. Schicken Sie uns die Informationen dazu an digital@tagesspiegel.de. Mit der Recherche wollen der Tagesspiegel und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv gemeinsam mehr über die Eigentumsverhältnisse in Berlin herausfinden. Sie können sich an der Recherche auf verschiedene Weise beteiligen. Im Crowd Newsroom können uns Ihren Eigentümer mitteilen oder an unserer Mietenumfrage teilnehmen.
Wir stellen das Verzeichnis der Berliner Mieterinitiativen, das auf der Karte dargestellt ist, als offene Daten (Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE) zur Verfügung. Sie können die Daten im aktuellsten Stand hier als CSV-Datei herunterladen.