Berlin, öffne dich
„Ohne Daten wird die City auch nicht smart“, sagt Sebastian Askar in einen prall gefüllten Raum inmitten Kreuzbergs hinein. Askar ist der Open-Data-Verantwortliche der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung – und er hatte etwas zu feiern beim Berliner Open Data Day, der kürzlich im Rahmen der Berlin Web Week stattfand. Nicht nur waren dieses Jahr weit mehr Besucher gekommen als noch im Vorjahr. Vor allem wurde nach langer Debatte im Mai das neue eGovernment-Gesetz vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen.
Nach Paragraf 13 des umkämpften Gesetzes ist die Verwaltung künftig verpflichtet, Informationen, die bei ihrer Arbeit anfallen, in einem zentralen Portal und in maschinenlesbarer Form zu veröffentlichen. Maschinenlesbar, das heißt so, dass sie durch Programme und deren Benutzer weiterverarbeitet werden können. 1079 Datensätze wurden bereits auf Berlins Portal für offene Daten bereitgestellt, knapp 50 Anwendungen sind seit 2011 daraus bereits entstanden – von Navigationsapps über ein dreidimensionales Modell im Kultspiel „Minecraft“ bis hin zu interaktiven Karten, die zeigen, wie oft welche Berliner Straßen gereinigt werden. Diese Daten wurden bislang jedoch freiwillig veröffentlicht. Im Gegensatz beispielsweise zu Hamburg gab es in Berlin keine Pflicht zur Veröffentlichung. Das soll sich nun ändern.
Qualität statt Transparenz
Warum das so relevant ist, kann der Open-Data-Verantwortliche Askar leicht begründen: Wirtschaftsförderung, Transparenz, Verwaltungsmodernisierung. Wirtschaftsförderung, das heißt, dass neue Firmen entstehen auf der Basis jener kostenlos zur Verfügung gestellten Daten oder dass bestehende Firmen ihre Prozesse optimieren können. Beispielsweise, wenn mit geografischen Daten Routen einfacher berechenbar sind. Für Askar geht deshalb „Qualität vor Quantität“ der veröffentlichten Daten. Im Gegensatz zu Hamburg, wo die Verwaltung alle Verwaltungsdaten veröffentlichen muss, hält Askar eine Auswahl für sinnvoll, die sich nach der wirtschaftlichen Verwertbarkeit richtet. Gerade vor diesem Hintergrund strebe er an, zunehmend auch die landeseigenen Unternehmen zur Veröffentlichung von mehr Daten anzuhalten. Mit der Berliner Stadtreinigung (BSR), den Berliner Wasserbetrieben und den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) führe er hierzu bereits Gespräche.
Neben Wirtschaftsförderung sollen die neuen Datensätze bei der Verwaltungsmodernisierung helfen: „Jeder Bürger, jedes Unternehmen hat ja seine ganz eigene Beziehung zur Berliner Verwaltung“, sagt Wirtschaftsstaatssekretär Hans Reckers, dessen Ministerium den Open Data Day veranstaltet hat. Und dieses Verhältnis gelte es durch Digitalisierung so einfach wie möglich zu gestalten. Estland sieht er da als Vorbild. Und was da ginge, müsse auch hier möglich sein.
Damit die Mitarbeiter der Verwaltung künftig dezentral aus ihren zahlreichen unterschiedlichen Programmen heraus Daten veröffentlichen, hat seine Senatsverwaltung ein Anleitungsheft erarbeitet, das für die anwesenden Verwaltungsmitarbeiter ausliegt. Titel: Schritt-für-Schritt zur Veröffentlichung.
Einen Knackpunkt hat das Ganze aber noch: Jener neue Paragraf, der beim Open Data Day so oft zitiert wurde, regelt leider überhaupt nicht, welche Datensätze genau innerhalb welcher Fristen und mit welcher Priorität veröffentlicht werden sollen. Außerdem gilt das dezentrale Veröffentlichungsprinzip, was bedeutet, dass die Bezirke ihre Verwaltungsdaten selbst veröffentlichen sollen. In vielen Bezirken fehlt dazu aber Personal und Know-how. Diese Fragen sollen in einer Rechtsverordnung geklärt werden. Hans Reckers erwartet, dass die Debatte darüber zu Beginn der nächsten Legislaturperiode abgeschlossen wird. 2017 sei das Ziel.
»Warum sollen die Politiker denn mehr wissen als die Bürger?«
Ortswechsel. Ende April in Helsinki. Im Empfangssaal des Rathauses der finnischen Hauptstadt hat Timo Cantell internationale Teilnehmer einer Konferenz zu Open Data eingeladen. Er ist Direktor des dortigen Pendants zum Berliner Open-Data-Portal, Helsinki Region Infoshare. „Wenn einer von Ihnen wissen wollte, wie viel dieser Empfang gekostet hat, bei dem Sie gerade Wein trinken“, sagt er, „dann kann er das in Erfahrung bringen, auf den Euro genau.“ 350 000 Euro Budget hat sein Open-Data-Portal jährlich zur Verfügung – ungefähr das Dreifache von Open Data Berlin. Zwei Redakteure arbeiten in Helsinki alleine daran, Daten von den verschiedenen Ministerien zu sammeln, zu sortieren und in sinnvolle Formate umzuwandeln. Die spürbarste Folge: Die Verwaltung produzierte zuvor hunderte Meter Papier im Rahmen von Entscheidungsprozessen. Papier wurde abgeschafft. Alleine das spart 500 000 Euro pro Jahr, sagt Cantell.
Neben Geodaten oder aktuellen Bauvorhaben ist es für den 53-Jährigen aber genauso selbstverständlich, dass alle Abstimmungsprozesse der Stadtregierung veröffentlicht werden: „Warum sollen die Politiker denn mehr wissen als die Bürger?“, fragt Cantell. Das beste Argument könne schließlich von jedem kommen. Und außerdem sei es doch das Geld der Bürger, das ausgegeben werde.
Berliner Schritte in Richtung Helsinki
Auch in Helsinki werden nicht alle Dokumente ungefiltert online gestellt. Gesetze regeln jedoch, dass alle anderen Unterlagen angefragt werden können. Drei Tage betrage die Antwortfrist. „Wir versuchen aber gewöhnlich, nicht länger als 24 Stunden zu brauchen“, sagt Cantell und schmunzelt.
Vielleicht ist Sebastian Askars Arbeit und das neue eGovernment-Gesetz in Berlin ein großer Schritt auf dem Weg, auf dem Helsinki schon so weit gekommen ist. Die meisten der anwesenden Entwickler, Stadtplaner und Journalisten beim Berliner Open Data Day wären ganz sicher froh darüber.
Der Konferenzbesuch in Helsinki wurde gefördert im Rahmen eines Forschungsprojekts von Tagesspiegel und Fraunhofer MOEZ Leipzig, finanziert durch die Volkswagen-Stiftung.