Die Coworking-Stadt. Inzwischen gibt es fast überall in der Berliner Innenstadt Coworking Spaces. Grafik: Fabian Bartel/Helena Wittlich

Coworking Spaces in Berlin: Ausweitung der Arbeitszone

Flexible Arbeitshallen statt eigenem Schreibtisch. Coworking wird in Berlin zum Massenphänomen, immer größere Anbieter eröffnen Orte mit bis zu 700 Arbeitsplätzen. Auch Industriekonzerne mieten sich zunehmend dort ein.

Ein Schreibtisch. Eine Telefon-Durchwahl. Einige persönliche Gegenstände. Ein Foto von den Kindern, der Liebsten oder dem Hund. Vielleicht eine Pflanze. So sieht er aus, der Arbeitsplatz von Millionen von Büroangestellten in Deutschland.

Coworking Spaces sind das Gegenteil. Wahlweise kann ein Schreibtisch, ein kleines Büro oder ein ganzes Großraumbüro gemietet werden. Die Mieten sind monatlich kündbar, und bei den billigsten Optionen ist selbst der Schreibtisch nicht fest. Die Coworker setzen sich einfach immer dorthin, wo ein Platz frei ist. Diese Variante bietet beispielsweise das Kreuzberger Betahaus schon für 15 Euro am Tag zum Ausprobieren an, ein Monat kostet 99 Euro. Das Resultat ist ein beständig ein- und ausschwirrender Menschenschwarm.

“Coworking wird als Arbeitsumgebung eine wesentliche Rolle einnehmen, da neue Arbeitsformen abseits des klassischen Anstellungsverhältnisses immer mehr zur Realität werden”, sagt Thomas Jajeh von der Freelancer-Vermittlungsplattform Twago. Coworking Spaces böten nicht nur eine “allgemein angenehme Arbeitsatmosphäre”, sondern auch den Zugang zu Netzwerken und kreativem Austausch.

Zwei Drittel aller Coworking-Anbieter planen Expansion

Über die ganze Stadt verteilt. Die Karte zeigt alle Coworking Spaces in Berlin.

Was in Berlin 2009 mit dem Coworking Space Co-up an der Adalbertstraße begann und kurze Zeit später mit dem Betahaus einige hundert Meter weiter in Kreuzberg langsam groß gemacht wurde, ist inzwischen zum Massenphänomen geworden. Laut einer Auszählung des Tagesspiegels, für die Listen der Senatsverwaltung für Wirtschaft und des Freiberuflerportals Twago abgeglichen wurden, gibt es in der Stadt inzwischen mindestens 109 solcher Orte. Und laut einer globalen Umfrage unter Coworking-Firmen planen zwei Drittel von ihnen, ihr Angebot noch dieses Jahr weiter auszubauen oder neue Standorte zu eröffnen.

Eine neue Entwicklung sind globale Anbieter, die immer größere Flächen eröffnen. Vor einem Jahr erst hat die israelische Firma Mindspace von Tel Aviv nach Berlin und Hamburg gleichzeitig expandiert. Im Herbst will Mindspace zwei weitere Coworking Spaces in Berlin und einen in München eröffnen. 15 Millionen Dollar Investitionskapital wurden dafür eingesammelt. Noch weit größer ist Wework. Das amerikanische Startup betreibt bereits 140 Coworking Spaces in 44 Städten, zwei davon in Berlin. Unternehmenswert: 17 Milliarden Dollar.

»Urban Industrial Vintage Chic«

Eine Mischung aus Wohnzimmer und Bankfiliale. Die Mindspace-Büros an der Friedrichstraße. Foto: promo/mindspace

Das Gebäude von Mindspace an der Friedrichstraße ist mit 700 Arbeitsplätzen auf 5000 Quadratmetern derzeit der größte Coworking Space Deutschlands. Der billigste Arbeitsplatz kostet 350 Euro, Kaffee, Tee und Druckernutzung inklusive. Außerdem können kostenlos Fahrräder ausgeliehen werden, bei der Happy Hour am Freitag gibt es Gin Tonic, und Community Manager haben die explizite Aufgabe, anwesende Firmen miteinander zu vernetzen. Die Mehrheit der Arbeitsplätze hier befinden sich allerdings in verglasten Mini-Büros von zwölf bis 15 Quadratmetern für drei bis vier Leute. In größeren Räumen können bis zu 27 Arbeitsplätze zusammen gemietet werden. Der Stil aus Glas und Vintage-Möbeln, den die Macher „Urban Industrial Vintage Chic“ nennen, erinnert an eine Mischung aus Bankzentrale und Omas Wohnzimmer.

„Unser Ziel war es, eine Atmosphäre zwischen Nostalgie und Wärme zu erschaffen“, sagt Oded Israeli, Vize-Marketing-Chef von Mindspace: „Wir glauben, dass Coworking die Zukunft der Arbeit ist.“ Der Grund dafür ist die Flexibilisierung der Wirtschaft. Sowohl kleine Startups als auch Großkonzerne hätten zunehmend das Bedürfnis, ihre Teams schnell vergrößern oder auch wieder verkleinern zu können, sagt Israeli.

Immer mehr Großkonzerne mieten sich in Coworking Spaces ein

Das ist einer der Gründe, warum sich zunehmend auch Traditionskonzerne einmieten. Sie belegen 40 Prozent der Büros. Das Logo von Samsung klebt an einem, das von Hertha BSC an einem anderen, DB Schenker und Schwan Stabilo sind auch da. Daneben Startups von Werbedienstleistern bis zum Online-Cannabishändlerverzeichnis Weedmaps.

Warum es sich für Großkonzerne lohnt, Mitarbeiter in Coworking Spaces zu verlegen, kann Veaceslav Driglov gut erklären. Der 37-Jährige arbeitet mit fünf Kollegen im Betahaus am Moritzplatz für die Innovationsabteilung von Mercedes Benz Vans. Chef ist keiner von ihnen. „Ziel der Peninsula ist es, Impulse aus der Gründerszene zu holen und Daimler noch enger an Startups anzudocken”, sagt Driglov, “unsere gemischten Teams entwickeln neue Geschäftsmodelle und arbeiten an Themen rund um Shared Mobility. Mittlerweile entwickelt es Konzepte für „On Demand Mobility“. Daimler will schließlich auch noch Vans verkaufen, wenn vielleicht irgendwann digital buchbare Gruppen-Taxis die Regel sind.

Max von der Ahé, Gründer vom Betahaus, erzählt, dass genau dieses Innovationspotenzial immer interessanter für Konzerne wird. Aber auch steigende Kosten für Büroflächen seien für alle Firmen ein zunehmendes Hemmnis, eigene Standorte zu eröffnen. Gegen die globale Konkurrenz durch Wework und Mindspace hegt er keinen Groll. „Der Markt ist groß genug für alle“, sagt er. Außerdem sei die Zielgruppe eine andere. Die neuen hochklassigen Büros seien zu teuer für Freelancer und junge Startups, an die sich das Betahaus stärker richte.

»Kleine Coworking Spaces werden langfristig verschwinden«

Bedenklich findet er nur, dass die immer teureren Coworking Spaces zunehmend exklusiver werden. Ähnlich sieht das auch Tobias Schwarz. Er ist Manager des zweiten Berliner Coworking-Urgesteins, dem Oberholz am Rosenthaler Platz. „Die kleinen Spaces ohne Eventfläche und Teamräume werden langfristig verschwinden“, sagt er. Unter 2000 Quadratmeter seien neue Coworking Spaces kaum noch wirtschaftlich aufgrund steigender Mieten. Das Konzept von Anbietern wie Wework hat für ihn aber nicht mehr viel mit Coworking zu tun. „Das ist eher ein Betriebssystem, das man auf Immobilien legen kann“, sagt er, während die kleineren stark von der Integration in die Nachbarschaft bestimmt seien.

Damit sich die Mitglieder der alten Berliner Anbieter künftig auch in der Stadt bewegen können, haben die Anbieter sich zusammengetan. Wer beim Oberholz Mitglied ist, kann unter anderem kostenlos im Betahaus oder der Neuköllner Agora arbeiten. Und in anderen Städten Europas. In Kopenhagen, Wien oder Sofia zum Beispiel. Vielleicht arbeiten wir ja alle irgendwann in beständigem Wechsel der Orte. Irgendwie alle zusammen – und irgendwie alle allein.