Das All-Inclusive-Leben
Der Schreibtisch steht schon, die Kaffeemaschine ist vorgeheizt, großzügige Besprechungsräume eingerichtet, der Drucker verkabelt. Von solchen sofort beziehbaren Gemeinschaftsbüros, genannt Coworking Spaces, gibt es inzwischen in Berlin mehr als 100 – nun soll die Idee auch aufs Wohnen ausgeweitet werden: „Coliving“ heißt das Konzept, das jetzt in Berlin startet, aber wenig mit der traditionellen Wohngemeinschaft zu tun hat. Vielmehr bekommen Gründer ein ganzes „All-Inclusive-Leben“ geliefert: Arbeiten, Leben und Schlafen unter einem Dach – noch nicht einmal fürs Kino müssen sie das Haus verlassen.
Immer größere Coworking-Anbieter
Seit das amerikanische Startup Wework 2010 aus den schlüsselfertigen Arbeitsplätzen ein globales Franchise-Modell entwickelt hat, kommen immer neue große Player hinzu. Man komme kaum hinterher, neue Räume zu finden, so begehrt ist der Service, Büroplätze mit allem Drum und Dran mieten zu können. Längst nutzen auch Großkonzerne wie Siemens, Allianz oder Daimler das Angebot: Die Angestellten sollen etwas von der Startup-Luft schnuppern, die dort unter den jungen Gründern herrscht – oder besser gleich einige der Ideen übernehmen.
Der einflussreichste Anbieter für Coworking aus der Hauptstadt ist Rent24, gegründet vom Berliner Robert Bukvic, der seine Profi-Basketballer-Karriere an den Nagel hängte, um unter anderem das Mietportal Miet24 und die Rabattplattform GetDeal zu gründen. 28 Coworking-Büros in vier Ländern betreibt er inzwischen. Bis Ende 2019 sollen es 100 werden. Den ersten Bürostandort eröffnete Bukvic 2016 in der Potsdamer Straße. Und genau hier soll jetzt die zweite Welle starten: eine Transformation vom Anbieter des All-Inclusive-Büros zu einem Anbieter des All-Inclusive-Lebens. Am Donnerstag eröffnet Rent24 seinen ersten „Coliving Space“ an diesem Ort. 51 Zimmer mit ein bis vier Betten – direkt über dem Coworking Space.
Austausch zwischen Tischkicker und Gemeinschaftsbad
Noch rödeln hier Bauarbeiter, aber ein Zimmer ist schon fertig. Es hat das Motto Moskau. Zwei Wände sind schwarz gestrichen, eine Fototapete immitiert eine riesige Bücherwand. Dazwischen viel Gusseisen und Laminat. Industrial Shabby Chique könnte man es nennen: neue Möbel, aber irgendwie historisch anmutend. Dekorationsgegenstände wie alte Bücher, Samtsessel und zwei imitierte Schaffelle auf den Betten vervollständigen die Einrichtung. Nur ein Bad fehlt – wie in den meisten der 51 Zimmer. Nur zwölf sind Doppelzimmer, davon haben nur vier ein eigenes Bad. Diese Option ist mit 42,50 Euro pro Person und Nacht am teuersten. Billiger ist es im Mehrbettzimmer, ab 25 Euro gibt es das Viererzimmer mit Gemeinschaftsbad auf dem Flur. Wer private Ruhe im eigenen Zimmer sucht, ist hier also eher falsch.
„Coliving“ will, genauso wie „Coworking“, den Austausch der Entrepreneure in den Gemeinschaftsräumen fördern, mit Tischkicker und Cocktailmischmaschine. „Wir verstehen die Bedürfnisse eines Gründers“, sagt Bukvic. Das neue Konzept solle ihnen alles bieten, was helfe, sich auf die Gründung zu konzentrieren. Motto: “Be home everywhere”. Ziel: In jede beliebige Stadt kommen und sofort losarbeiten können, ohne sich damit beschäftigen zu müssen, eine Wohnung zu finden, zu kochen oder Freunde zu finden. „Arbeiten, Essen, Trainieren und interessante Leute. Alles unter einem Dach“, erklärt Bukvic am Telefon. Er ist gerade in Kiew, schon wieder auf der Suche nach neuen Räumen.
24 Stunden Gründen
In Berlin wird neben den Schlafzimmern ein Fitnessstudio eröffnet. Ein Event-Space mit Showküche und DJ-Pult im Obergeschoss ist ebenfalls fast fertig. Kino und Restaurant gibt es schon. „Darüber hinaus wollen wir noch stärker in die Service-Schiene gehen“, sagt Bukvic. Steuerberatung, Mentoring, Grafikdesign. Was immer die Kunden schnell brauchen, sollen sie bekommen. „Das sind die Millenials, die jetzt kommen“, sagt der 38-Jährige, „die verfolgen wirklich einen Traum und wollen das auch so leben.“
Aber wer will nach einem zwölfstündigen Arbeitstag auch noch mit drei schnarchenden Kollegen im gleichen Zimmer schlafen? „Wenn ich ein Startup gründe, dann bin ich sowieso 24 Stunden am Tag damit beschäftigt“, sagt Bukvic. Schon jetzt habe Rent24 zahlreiche Reservierungen für die Zimmer erhalten. Von Startups, aber auch von größeren Firmen – und sie buchen nicht nur für ein paar Nächte. „Die Durchschnittsdauer der Reservierungen liegt eher bei drei Monaten“, sagt Bukvic. Die 70 neuen Coworking Spaces, die seine Firma in den nächsten eineinhalb Jahren weltweit starten will, sollen deshalb, wenn möglich, immer gleich mit angeschlossenem Coliving eröffnen. Der Kunde muss dann nur noch das Komplettpaket buchen.