Immer größere Firmen setzen auf Coworking
Fest zugeordnete Schreibtische, Teppichboden, Aktenschränke. So sehen die Büros vieler Firmen aus. „Aber das ist doch langweilig“, sagt Brad Richards. „Wie soll man da auf innovative Ideen kommen?“ Dabei geht es ihm und seinen 40 Kollegen vom Lab1886 genau darum. Für den Automobilkonzern Daimler erkunden sie neue Geschäftsfelder, prüfen Vorschläge bis hin zum fliegenden Taxi auf ihre Machbarkeit. „Out-of-the-Box“ sollen sie denken, bewusst unkonventionell.
Am besten funktioniert das, wenn ihr Arbeitsumfeld ähnlich kreativ ist wie sie. Doch im Konzernbüro eine Lichterkette aufhängen, einen Kickertisch in den Durchgang stellen oder eine Sofaecke einrichten? Das gibt schnell Ärger. Deshalb ist Richards mit seinem Team statt in die Berliner Firmenräume lieber gleich in ein Coworking-Haus gezogen.
Von diesen Gemeinschaftsbüros gibt es in der Stadt mittlerweile etliche - vom Café Oberholz über das Betahaus bis hin zu internationalen Anbietern wie Mindspace und Wework. Sie alle bieten kreative Arbeitsräume mit offenen Küchen, Sitzecken, Kickertischen und Plattenspieler an. Um die Mieter untereinander zu vernetzen, wird zum gemeinsamen Frühstück oder zur Happy Hour eingeladen.
»Den digitalen Wandel vorantreiben«
War dieses Büromodell anfangs vor allem etwas für Gründer und Freiberufler, die Anschluss an Gleichgesinnte suchten, schicken heute auch Konzerne verstärkt einen Teil ihrer Angestellten ins Coworking-Haus. Beim Anbieter Wework machen große Unternehmen bereits ein Viertel der Mieter aus, beim Konkurrenten Mindspace sind es sogar 40 Prozent.
Manche Unternehmen gehen nun aber noch einen Schritt weiter und schaffen ihr eigenes Gemeinschaftsbüro. So hat der Otto-Konzern in Hamburg für seine Mitarbeiter eine frühere Lagerhalle in eine Coworking-Zone umgebaut mit Kaffeebar, Bibliothek und Sofaecken - ohne fest zugeteilte Schreibtische. Knapp 200 Angestellte sollen dort auf neue Ideen kommen, sich mit Kollegen aus anderen Abteilungen austauschen. „Ziel ist es, den Mitarbeitern ein flexibles, vernetztes und kreatives Arbeiten zu ermöglichen und eine neue Kultur der Zusammenarbeit zu schaffen, um den digitalen Wandel im Unternehmen weiter voranzutreiben“, schreibt der Konzern.
Gerade Unternehmen, in denen die Digitalisierung enorm wichtig ist, gehen diesen Weg. Auch Microsoft hat sich beim Bau der neuen Deutschlandzentrale in München vom Coworking inspirieren lassen. Feste Arbeitsplätze gibt es dort nicht mehr. Mitarbeiter wählen, ob sie im Loungesessel, im Teamraum oder in der Ruhezone arbeiten.
„Das ist definitiv ein Trend“, bestätigt Tobias Kremkau. Er ist Coworking-Manager im Berliner Café Oberholz, in dem Freiberufler schon ihre Laptops aufgeklappt haben, als es den Begriff des Coworkings noch gar nicht gab. Inzwischen vermietet das Oberholz neben einzelnen Arbeitsplätzen an zwei Standorten auch Büros und Konferenzräume. „Die Arbeit wird individueller. Das muss sich auch in den Räumlichkeiten widerspiegeln“, sagt Kremkau. Er berät derzeit gleich mehrere Firmen, die eigene Gemeinschaftsbüros aufmachen wollen. Eine davon ist die Sparda Bank Berlin, die in Frankfurt (Oder) gerade ein Coworking-Haus mit integrierter Bankfiliale aufbaut.
Sparda Bank Berlin startet Coworking Space in Frankfurt Oder
Ab Juli sollen in der Grenzstadt Banker zwischen Freiberuflern und Gründern sitzen, sich mit ihnen Schreibtische, Kaffeebar und Konferenzräume teilen. Bankkunden können dann selbst entscheiden, ob sie sich mit ihrem Berater in der Cafézone oder im Besprechungsraum zusammensetzen. Die Geldautomaten stehen dann neben der Kaffeebar - statt wie sonst üblich zentral im Eingangsbereich. Dass die Spardabank hinter der neuen Coworking-Filiale steht, wird auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen sein, sagt Projektleiter Stanley Fuls. „Hallo Blok O“ soll an der Fassade stehen - eine ans Polnische angelehnte Schreibweise der alten Gebäudebezeichnung aus dem DDR-Bebauungsplan.
Fuls, der als Architekt bei der Sparda Bank Berlin für die Planung und Gestaltung der Filialen zuständig ist, sieht in dem neuen Konzept eine große Chance - gerade für Geldinstitute. „Durch das Coworking können Banken weiter an Standorten präsent sein, an denen sie ihre Filiale sonst womöglich schließen müssten.“ Alle Institute leiden darunter, dass die Kunden immer seltener vorbeikommen, sich manche Zweigstellen deshalb nicht mehr rechnen.
Vom Fischladen zur Coworking-Bankfiliale
Dass die Coworking-Bank in Frankfurt (Oder) und nicht in Berlin eröffnet, ist dabei Zufall. Der Vermieter hat der Sparda Bank die Räume angeboten - mit 800 Quadratmetern waren sie aber für eine Filiale viel zu groß. Trotzdem fand Fuls Gefallen an dem Gebäude, das zu DDR-Zeiten als Fischladen geplant worden ist und später ein Kinderkaufhaus beherbergt hat. Fuls dachte deshalb für die obere Etage über eine alternative Nutzung nach und kam aufs Coworking. Oberholz-Manager Kremkau war es dann, der ihn überzeugte, die Bankfiliale ins Gemeinschaftsbüro zu integrieren.
Es ist ein Experiment, auf das sich Fuls da eingelassen hat. „Wir müssen das einfach ausprobieren“, sagt er. Für ein Dreivierteljahr wird es den Coworking-Standort parallel zur alten Bankfiliale um die Ecke geben. Sollte das Konzept aufgehen, kann Fuls sich vorstellen, weitere Standorte in Coworking-Filialen umzubauen.
Die Deutsche Bank im Gewächshaus
Bereits im Betrieb, aber deutlich kleiner ist das Coworking-Büro der Deutschen Bank in Berlin. „Gewächshaus“ nennt das Institut den Raum in der Vorzeigefiliale an der Friedrichstraße, in dem die Wände bepflanzt sind. Nutzen kann die zwölf Arbeitsplätze im Prinzip jeder, man muss nicht einmal Kunde sein oder dafür bezahlen. Auch deshalb sind die Plätze oft ausgebucht. Die Deutsche Bank erhofft sich davon, „dass die Filiale wieder ein Ort der Begegnung wird“, sagt Teamleiterin Juliane Häntsch.
So profitiert auch die Deutsche Bank davon, dass der Markt für Coworking-Büros boomt. Gibt es heute weltweit 10 000 solcher Gemeinschaftsflächen, sollen es in fünf Jahren bereits mehr als drei Mal so viele sein. „Die Nachfrage ist da - gerade in Städten wie Berlin“, sagt Bastian Bauer, Deutschlandchef von Mindspace. Im September hat der Anbieter nahe der Friedrichstraße sein zweites Coworking-Haus eröffnet. „Innerhalb von zwei Monaten waren wir ausgebucht.“
Einbettung ins Ökosystem
Das liegt eben auch an den großen Konzernen wie Siemens, Mastercard, Samsung oder Lufthansa, die Mitarbeiter ins Coworking-Haus schicken. Die Konzerne versprechen sich davon in erster Linie mehr Nähe zu Startups, von denen ebenfalls viele im Gemeinschaftsbüro sitzen. Im Idealfall treffen so Spieleentwickler auf Ingenieure, Reisefachleute auf Programmierer. Dieser Austausch reizt auch die Deutsche Bahn. Gleich mehrere Teams hat sie in Berlin inzwischen in Coworking-Büros untergebracht - obwohl der Konzern in der Stadt seinen Hauptsitz und damit eigentlich genug Arbeitsplätze vor Ort hat. So sitzt die Beteiligungstochter DB Ventures zum Beispiel im Gemeinschaftsbüro von Wework, weil man sich davon „eine Einbettung in das Startup-Ökosystem“ verspricht.
Das Team investiert für die Bahn in junge Firmen aus den Bereichen Mobilität, Logistik und Smart City. „Wir verstehen uns selber als Startup und wollen von der Arbeits- und Denkweise auch so agieren“, sagt eine Sprecherin. Dazu passt das schicke Coworking-Büro besser als die Konzernatmosphäre im Bahntower. Aus dem gleichen Grund haben auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihre Mitarbeiter ins Café Oberholz geschickt. Sie sollten sich fernab von der Zentrale etwas Neues ausdenken. Herausgekommen ist eine App für Fahrradtouren durch Berlin.