Das automatische Finale
Die Spieler rasen über das Feld, drängen einander ab und stoßen zusammen im erbitterten Kampf um den Ball. Dann „Tooor!“ Die Menge, die sich um die grüne Spielfläche geschart hat, tobt. Ein Spieler des Mannheimer Teams hat den Ball im gegnerischen Tor versenkt – endlich! Was nun folgt sind keine Freudenausbrüche, kein Herumspringen, kein Schlittern über den Rasen mit nach oben gestreckten Armen. Zu solchen Emotionen sind die Spieler dieses Turniers nicht fähig. Sie sind Roboter. Und die etwa 15 Zentimeter großen Fußballautomaten können keine Freude oder Wut empfinden. Sie führen nur Befehle aus, die sie von der künstlichen Intelligenz in einem entfernten Rechner erhalten. Dieses technische Mastermind wacht über jede Bewegung der auf dem Boden herumflitzenden Roboter.
Auf dem RoboCup, der internationalen Wettkampfarena für autonome Maschinen, sind in diesem Jahr 3500 Teilnehmer aus 45 Ländern in den Hallen der Leipziger Messe gegeneinander angetreten. Auf Fußballfeld, Tanzbühne und in simulierten Lagerhallen zeigten sie trotz cleverer Programmierung und teurer Hardware, wie weit ihre Fähigkeiten noch von denen des Menschen entfernt sind. Und wie viel Equipment nötig ist, damit die teilautonomen Geräte einigermaßen das tun, wozu sie erschaffen wurden.
Eingeschränkte Autonomie
„Dort oben befinden sich vier Kameras“, erklärt Florian Lehmann und deutet Richtung Hallendecke. Die Kameras überwachen eigene und gegnerische Bewegungen, sagt der 21-jährige Student, dessen Roboterteam gerade einen Punkt gemacht hat. Aus den Bilddaten kann die Software errechnen, wo sich die kleinen Maschinen, die „Bots“ relativ zu den Toren, zum Spielfeldrand und zu den anderen Spielern befinden. Die Fußballmaschinen haben sogar Namen, sie heißen zum Beispiel „Willy“ oder „Q“. Die Steuerinstanz erkennt sie anhand unterschiedlicher Farbkreise, die jeden Bot eindeutig identifizieren.
„Die einzelnen Spieler handeln nicht autonom“, sagt Lehmann. Die kleinen, zylinderförmigen Geräte werden aber auch nicht wie Spielzeugautos von ihren Erschaffern ferngesteuert. „Man kann sich vorstellen, man hat die Augen verbunden und jemand sagt ‚lauf links!‘ oder ‚lauf rechts!‘“, erzählt der Bachelorstudent. Die Anweisungen erhalten die Robo-Sportler von ihrer Über-Software, die die Studenten der DHBW Mannheim selbst programmiert haben.
In der „Small Size League“, in der auch das Mannheimer Team antritt, sind kleine, schwarze Kästen mit abgerundeten Ecken, vier Rädern und einer Schussvorrichtung die einzig erlaubte Hardware. Beim „Standard Platform“ Wettkampf treten hingegen Roboter an, die sich mit Hilfe winziger Trippelschrittchen mühsam aufrecht halten. Die zweibeinigen Bots der japanischen Firma SoftBank ähneln mit ihren schwarzen Knopfaugen und den runden Gesichtchen deutlich menschlichen Vorbildern. Genauer gesagt, kleinen Kindern, denn die gräulich-weißen Roboter reichen ihren Programmierern gerade bis zum Knie. Es ist eine Strategie des Industriezweigs, Robotern ein kindähnliches Antlitz zu verleihen und sie mit vielfältigen Niedlichkeits-Features auszustatten. Hohes Fiepen, ein schräg in den Nacken gelegtes Maschinenköpfchen und zwinkernde Augenimitate täuschen darüber hinweg, dass es den künstlichen Intelligenzen oft noch an selbiger mangelt.
Wenn die laufenden Figürchen den Ball nicht finden oder auf dem Platz grundlos zusammensacken, reagieren die Zuschauer mit einem mitleidigen „Ohhhh!“, anstatt die Güte der Programmierung zu hinterfragen. Inzwischen treten über 1200 autonome oder teilautonome Maschinen in 17 verschiedenen Ligen gegeneinander an.
Fußball als Entwicklungshilfe
Vor 20 Jahren hatten sich die Gründer des RoboCups zum Ziel gesetzt, die Entwicklung von Maschinen zu fördern, die bis spätestens im Jahr 2050 fähig sein sollten, die besten Profifußballer zu besiegen. Davon ist die heutige Entwicklung noch weit entfernt. Aber: „Wenn man auf die vergangenen Jahre blickt, kann man es nicht ausschließen“, sagt Gerhard Kraetzschmar, Vizepräsident der RoboCup Federation in Europa. 34 Jahre seien in der Robotik eine sehr lange Zeit. Man habe sich bei der Gründung des RoboCups 1997 für den Fußball als Kompetenztest entschieden, weil die Herausforderungen des Spiels in ihrer Komplexität vielen unvorhersehbaren Situationen des normalen Lebens ähneln, erklärt der Informatikprofessor. „Der Ball, der durch die Luft fliegt, ist ein hochdynamisches Ereignis.“ Deshalb müsse die Software in der Lage sein, schnell zu handeln, vorausschauend zu planen und auf Unvorhergesehenes zu reagieren.
Aber nicht nur die Robo-Sportler stehen vor einem Motorikproblem. Rainer Bischoff, Leiter der Konzernforschung bei Kuka zeigt auf einen stark geschwungenen Roboterarm, an dem in einer angedeuteten Wohnumgebung ein paar Studenten herumbasteln. „Was Sie hier sehen, ist weit davon entfernt, einsatzfähig zu sein“, sagt der Entwicklungsleiter des Augsburger Unternehmens, das weltweit für seine Industrieroboter bekannt ist.
Auch bei dem Roboterarm handelt es sich um Technik von Kuka, an der die Studenten heute Robotik lernen und die irgendwann mal in Haushalten eingesetzt werden soll. Aber „es hapert an Interaktionsfähigkeit und komplexen Bewegungen“, erläutert Bischoff. Deshalb hätten die Roboter etwa Probleme beim Türöffnen. Bis zum Haushaltsroboter, der zum Beispiel älteren Menschen kontinuierlich und sinnvoll helfen könnte, sei es laut Bischoff noch ein langer Weg. Und von menschenähnlicher Leistungsfähigkeit sei man sowieso meilenweit entfernt.
Viel mehr als ein Spiel
Aber müssen Roboter wirklich menschenähnlich sein, Fußball spielen oder als Haushaltshilfe funktionieren um den Menschen zu schlagen oder zu ersetzen?
Beim RoboCup kämpfen die Maschinen noch in vielen anderen Disziplinen. Auf Hindernisparcours erproben Studenten- und Schülerteams die Katastrophenrettung mittels autonomen Bots. Auf einer anderen Bühne interagieren Schüler mit ihren selbstgebauten Robotern in Tanzperformances, die von einer Jury bewertet werden. Und bei der angeschlossenen Amazon Picking Challenge geht es darum, Roboter zu entwickeln, die Gegenstände zielsicher aus unsortierten Regalen fischen. Für Amazon ist diese Technik wichtig, weil das Sortiment enorm ist und ständig wechselt, erläutert ein Sprecher des Konzerns. Automatisierung ist der Kern für Effizienzsteigerungen bei Amazon. Ein Ziel, das dem Logistikunternehmen offensichtlich viel Geld wert ist. Den Gewinnern des Wettkampfs winken 80.000 US-Dollar. An den RoboCup in Leipzig sind inzwischen eine ganze Messe, eine Konferenz und Berufsinformationsmöglichkeiten für den Bastlernachwuchs angeschlossen.
So winkt den Teilnehmern mit etwas Glück inzwischen noch mehr. Vor vier Jahren übernahm Amazon den Roboterhersteller Kiva Systems für 775 000 US-Dollar. Viele der Kiva-Mitarbeiter hatten zuvor an RoboCups teilgenommen. Mit der Technik des US-Unternehmens revolutionierte Amazon seine Lagerlogistik. Da die Kiva-Roboter in den Lagerhallen selbstständig die angeforderten Waren und dazu passende Verpackungen finden, können sie menschliche Arbeit in diesem Bereich vollständig ersetzen. Amazon ist dabei nur ein Beispiel. Erst im Mai hatte Apple-Zulieferer Foxconn in China 60.000 Arbeiter durch Roboter ersetzt. Während die autonomen Maschinen also noch immer schlechter Fußball spielen als Menschen, gewinnen sie in anderen Disziplinen den Kampf Mensch gegen Maschine immer öfter.