Die ganze Welt auf drei mal drei Meter
Es ist Samstagnachmittag auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Das Picknick ist in vollem Gange und ein paar Nachzügler suchen vergeblich die Picknicker. „Hey Manuel“, brüllt einer in sein Handy, der neben zwei Gitarrenspielern steht. „Wo seid ihr?“ Manuel verrenkt seinen Kopf. „Vorne, in der Nähe dieser großen Startbahn mit den Pfeilen.“ Leider gibt es davon mehrere und leider wird das Gespräch noch zehn Minuten andauern, bis sie sich endlich gefunden haben.
„Unsere zwei Gründer haben früher eigentlich Musikfestivals in der Pampa veranstaltet“, sagt Clare Jones. „Und eines der Hauptprobleme war stets, die anderen Besucher dahin zu lotsen, wo es keine Adresse gibt.“ Sie ist Kommunikationschefin von What3words, einem britischen Startup, das etwas sehr Einfaches gemacht hat, das aber trotzdem gut funktionieren könnte: Sie haben die Welt aufgeteilt in drei mal drei Meter große Quadrate. Und jede von den 57 Milliarden Kacheln hat eine Bezeichnung, die aus genau drei aussprechbaren Wörtern besteht – zum Beispiel „auto.vogelhaus.marmelade“.
Wo bin ich?
Der Vorteil dabei: Man kann in der App des Unternehmens nachsehen, in welchen drei Wörtern man gerade steht, und die jemand anderem schicken oder am Telefon sagen. Und die andere Person findet einen dann, denn auf drei mal drei Metern ist es schwer, sich zu verpassen.
Am Montag hat nun die Deutsche Bahn ihren Turm am Potsdamer Platz als erstes Unternehmen in Deutschland mit der neuen Adresse markiert. Sogar der Vorstandsvorsitzende Richard Lutz kam extra kurz aus seinem Büro herunter vor die Tür, um zusammen mit der Vertreterin von What3words einen Vorhang vom Glas zu ziehen, wo die drei Wörter jetzt angeschrieben sind. Die Deutsche Bahn ist mit ihrem Investitionsfonds DB Digital Ventures seit April an dem Startup beteiligt. Der Fonds hat bisher in fünf Unternehmen investiert, bis 2019 stehen insgesamt 100 Millionen Euro Risikokapital zur Verfügung.
Hilfreich für Passagiere und Logistik
„Die Ideen, die ganz einfach sind, schnell nachvollziehbar und die es trotzdem noch nicht gibt“, sagt Lutz, „sind immer die schönsten.“ Und so sei der Bahn die Entscheidung nicht schwergefallen, sich an dem Unternehmen zu beteiligen. Nicht nur, weil es eine möglicherweise gewinnbringende Investition sein könnte. Sondern auch, weil die Bahn sich sowohl in ihrem Personenverkehr, vor allem aber für ihre Logistiktochter Schenker viele nützliche Anwendungsbeispiele vorstellen kann. Mit Schenker sei man gerade dabei, erste Anwendungsbeispiele für aufstrebende Märkte auszuarbeiten, sagt Lutz.
Das ist im Übrigen auch das größte Verkaufsargument der Macher der App. „Während es hier ein recht detailliertes Adresssystem gibt, haben in Lateinamerika und Afrika viele Gegenden noch schlechte oder gar keine genauen Adressen“, sagt What3words-Sprecherin Jones. Heißt konkret: Einem deutschen Spediteur fällt es dann schwer, dort möglichst effizient etwas hinzuliefern. Und das System funktioniert auch ohne Netzempfang, da es auf GPS basiert, worüber alle neueren Handys verfügen. Aber auch in Großstädten wie Berlin und London sei es immer wichtiger, 30 Sekunden oder drei Minuten zu sparen. Und wenn ein System genau angeben kann, an welchem Eingang eines Bürokomplexes man sich melden soll, spart das Zeit im Vergleich zur regulären Straßenadresse, sagt sie. In Zeiter der Digitalisierung sei es doch verrückt, dass wir immer noch von einem Adresssystem abhingen, das einige hundert Jahre alt sei.
Drohnen und autonomes Fahren
Die Bahn sieht allerdings noch viele weitere Anwendungsmöglichkeiten neben der Logistik – etwa die Pizzalieferung in den Park, das autonome Fahren, Smart-City-Lösungen oder Lieferungen per Drohne. Das sagte Manuel Gerres, einer der beiden Geschäftsführer des Bahn-Investitionsfonds. Kennengelernt habe man das Startup „über das persönliche Netzwerk“, wie Gerres sagt. Nun will die Bahn ihre Kontakte nutzen, um das Startup bei seinem weiteren Wachstum zu unterstützen.
Einen Nachteil hat das System dann allerdings doch, das mit Wörtern in insgesamt 13 Sprachen funktioniert: Je bewohnter eine Gegend ist, desto kürzer sind die Wörter. So werden sich Großstädter nur kurze Wörter zuschicken müssen, wenn sie sich gegenseitig suchen. Auf dem Land werden die Wörter hingegen immer länger sein. Der einsame Jäger im Wald muss dann vielleicht seinem Jagdgefährten zurufen: „verlorenheitsgefuehl.gewitterwarnung.donaudampferschifffahrtsgesellschaft“, oder so ähnlich.