Welcher Urheber, welche Rechte? In der Debatte um das Leistungsschutzrecht zeichnet sich eine Debatte um die Zukunft des Internets ab. Grafik: shutterstock

EU-Urheberrechtsreform: Axel Voss und Julia Reda im Streitgespräch

Uploadfilter und die Rechte von Google & Co. Die Reform des EU-Leistungsschutzrechts geht in die finale Phase. Wir dokumentieren Auszüge aus einem Streitgespräch der zwei wichtigsten Akteure: Axel Voss und Julia Reda.

Zwei der zentralen Akteure bei der Reform des EU-Leistungsschutzrechts sind deutsche EU-Parlamentarier: Axel Voss, der seit Ende 2017 formell die Fäden in der Hand hält. Die von ihm ausgearbeitete Position ist aber vor der Sommerpause im Plenum durchgefallen. Widerstand gegen die umstrittenen Paragrafen erhält Voss aber nicht nur von den politischen Gegnern: Einige deutsche Unionspolitiker, darunter auch Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) und die stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Nadine Schön, warben Anfang Juli offen für eine Ablehnung seines Vorschlags. Auch der Koalitionsvertrag von Union und SPD spricht sich gegen Upload-Filter aus. Den Widerstand gegen Upload-Filter und Leistungsschutzrecht organisiert die Piratin Julia Reda, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im EP. Doch worin genau liegen ihre größten Streitpunkte?

Julia Reda und Axel Voss treffen sich am 30. August zum Streitgespräch mit dem Background Digitalisierung, dem neuen Tagesspiegel-Politikbriefing. Im Berliner Tagesspiegel-Verlagshaus sitzt Julia Reda vor einem Notebook auf dem Axel Voss per Skype zugeschaltet ist. Eine dreiviertel Stunde lang tauschen sie Argumente für und gegen LSR und Upload-Filter aus – dann lassen sie sich auf die Frage nach möglichen Kompromisslinien ein. Axel Voss hält mehrere handgezeichnete Schaubilder vor die Kamera. Das seien seine Überlegungen, wie ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Interessen hergestellt werden könne. Aber er wisse noch nicht, ob er sie überhaupt als Antrag zu Papier bringen könne. Die juristischen Fragen seien sehr komplex, kleine Änderungen würden gleich für großen Protest sorgen. Und die Zeit für die Kompromissversuche sei knapp.

Axel Voss: Das “notice and take down”-Verfahren ist nicht mehr zeitgemäß. Wir haben heute massenweise Urheberrechtsverstöße auf Plattformen. Das Maß dieser Verstöße müssen wir versuchen einzugrenzen.

Julia Reda: Wenn wir versuchen, alle Verletzungen des Urheberrechts aus dem Internet zu verbannen, wird das meiner Meinung nach immer dazu führen, dass zu viel gelöscht wird. Es gibt ja auch kein anderes Recht, inklusive dem Eigentumsrecht, bei dem automatisch sichergestellt wird, dass niemand dagegen verstößt.

Axel Voss: In der digitalen Welt haben wir aber nicht mehr die Möglichkeit, gegen jede Rechtsverletzung vorzugehen. Es gibt Millionen von Uploads jeden Tag. Wenn wir das “notice and take down”-Verfahren beibehalten, dann haben wir massenweise Urheberrechtsverletzungen gebilligt. Wir sollten versuchen, diese von vornherein zu vermeiden. Deswegen versuchen wir, einen anderen Weg zu gehen.

Julia Reda: Aber die Urheberrechtsverletzungen, die auf Plattformen stattfinden, sind ja nicht erlaubt. Nur stellt die Plattform eine Infrastruktur dar und wir definieren auf diesem Weg, dass die Plattformen für die Urheberrechtsverstöße direkt verantwortlich sind. Das heißt, dass sie jeden Upload zunächst überprüfen müssen.

Axel Voss: Nein, die Plattform soll Uploads nur auf Grundlage der Informationen der Rechteinhaber überprüfen. Das heißt, dass nur die Werke, die ein Rechteinhaber geschützt sehen will, auch überprüft werden müssen. Das ist ähnlich wie bei einem Blitzer, der nur die schnellen Autos erfasst.

Julia Reda: Wenn ich eine Nadel in einem Heuhaufen suche, muss ich doch trotzdem den gesamten Heuhaufen angucken.

Axel Voss: Was ist denn die Alternative?

Julia Reda: Eine Alternative ist zum Beispiel das Prinzip “Vergüten statt Verbieten”. Wir können sagen, dass bestimmte Plattformen an Verwertungsgesellschaften zahlen müssen, aber damit wird die Nutzung abgegolten. Dann braucht man keine Upload-Filter einzusetzen. Wenn man auf die Upload-Filter verzichtet und klar definiert, welche Plattformen zahlen müssten und an wen, wäre man einer Lösung deutlich näher. Wir haben das im Binnenmarktausschuss versucht. Das ist ein Vorschlag aus den Reihen der Konservativen. Er trifft die Balance zwischen den Rechten der Urheber und der Allgemeinheit wesentlich besser und führt trotzdem zu mehr Bezahlung.

Axel Voss: Das Problem, das ich dabei sehe, ist: Wenn man die Urheberrechtverstöße zulässt, wie will man dann mit den Schäden später umgehen? Wir müssen den Künstlern ein Recht in die Hand geben, damit ihre Inhalte erst gar nicht hochgeladen werden können. Den Internet-Plattformen geht es letztendlich ums Geschäft. Die wollen Geld verdienen und so wenig wie möglich an andere abgeben. Deshalb wird es letztendlich auch keine faire Vergütung der Urheber geben.

Julia Reda: Wenn das Ziel ist, dass die Plattformen die Rechteinhaber vergüten – warum gibt man ihnen dann eine andere Möglichkeit an die Hand? Diesen Ansatz verfolgt ja auch der Rat. Die Mitgliedstaaten wollen, dass beispielsweise YouTube die GEMA bezahlen muss – es sei denn YouTube setzt Filter ein. Damit verschaffen wir doch Google regelrecht ein neues Geschäftsmodell, denn die nutzen solche Filter ja bereits. Das bedeutet, dass die Urheber nicht mehr Geld bekommen und die Plattformen ihre Filter alle bei Google einkaufen müssen. Dann gewinnen einzig die Plattformen. Ich befürchte, wir versuchen einen Ausgleich zu schaffen, aber machen es am Ende nur schlimmer. Wenn wir im Parlament keinen Kompromiss finden und weiterhin die Augen davor verschließen, dass Plattformen nicht in der Lage sind, legale Inhalte von Urheberrechtsverletzungen zu unterscheiden, wird sich der Rat in den Verhandlungen durchsetzen.

Axel Voss: Das ist natürlich das Worst-Case-Szenario auf der politisch-gesetzgeberischen Ebene. Dass wir es nicht mehr schaffen einen Kompromiss im Europaparlament hinzubekommen und dann nachher einzig die Ratsposition haben. Dann sind wir alle gekniffen.

Julia Reda: Das sehe ich auch so.

Wie kann ein Kompromiss aussehen?

Axel Voss: Die politische Realität ist, dass es bei der Abstimmung am 5. Juli eine Mehrheit gegen dieses Mandat gab – gemeint sind damit aber die Artikel 11 und 13. Wenn wir den Gegnern eine Brücke bauen wollen, muss ich noch etwas an dem Text verändern. Die Frage ist für mich, zu welchem Grad wir Veränderungen hinbekommen.

Eine Idee ist, dass wir alle Maßnahmen komplett rausnehmen und nur die Verantwortung der Plattformen regeln bzw. den Mitgliedstaaten überlassen, zu was genau sie die Plattformen verpflichten wollen. Das ist nicht ideal, aber wäre eine Möglichkeit.

Wenn wir automatisches Blocken vermeiden wollen, könnte eine Lösung sein, dass Uploads zwar nicht verhindert werden, aber zumindest eine Information an den Rechteinhaber versandt wird. Der kann dem User dann erlauben, eine Lizenz zu erwerben oder verlangen, dass der Inhalt entfernt wird. Das “notice and take down”-Verfahren müsste man dann zu einem “notice and stay down”-Verfahren weiterentwickeln, sodass Urheberrechtsverletzungen nicht erneut hochgeladen werden können.

Julia Reda: Ich finde das widersprüchlich. Ich bin froh, wenn ich höre, dass man automatische Blockierungen vermeiden will. Das ist mir sehr wichtig und dann wäre ich auch bereit auf die andere Seite zuzugehen und zuzustimmen, dass Plattformen wie YouTube oder Facebook lizenzieren müssen. Damit wäre ich einverstanden.

Aber wie können wir gleichzeitig automatische Blockierungen verhindern und ein “notice and stay down”-Verfahren einführen. Solch ein Ansatz bedeutet ja, dass ein Inhalt, der einmal blockiert oder gelöscht wurde, nicht wieder auftauchen darf auf der Plattform. Aber was, wenn der Inhalt einmal eine Urheberrechtsverletzung war und ein anderes Mal ein legales Zitat? Dann haben wir effektiv trotzdem einen Filter. Ich würde mir wünschen, dass wir uns darauf einigen, dass Plattformen eine Lizenzpflicht bekommen, aber nicht filtern müssen.

Axel Voss: Die Schwierigkeit ist, das zu verschriftlichen in einem Text. Ich möchte ja sowohl auf die Rechteinhaber als auch auf Julias Position eingehen.

Julia Reda: Ich meine, wir haben als Politiker auch die Verantwortung, einen Text zu finden, mit dem beide Seiten unglücklich sind, bei dem sowohl die NGOs als auch die Verwertungsgesellschaften grummeln und nicht sagen, alles ist toll. Wir müssen in der Lage sein, uns selbst zu einem Text zu verpflichten.

Axel Voss: Man braucht dennoch eine vernünftige Balance, weil das Thema inzwischen so sensibel ist, dass man durch eine minimale Veränderung manchmal schon eine Reaktion erzeugt. Dann stellt sich wieder jemand dagegen und beeinflusst Abgeordnete und wir bekommen wieder keine Mehrheit.

Zur Kompromisssuche beim Leistungsschutzrecht

Axel Voss: Wenn wir bei Artikel 11 die Standards Deutschlands unterschreiten, dann glaube ich, dass ich die Unterstützer in der eigenen Fraktion verliere.

Julia Reda: Aber Deutschland kann doch sein Leistungsschutzrecht behalten. Oder wir sagen: Mitgliedstaaten können ein Leistungsschutzrecht einführen, aber wenn sie es machen, dann muss es soundso aussehen.

Axel Voss: Das Schlimme an diesem Vorschlag ist, dass wir Europa dann nicht einheitlich haben. Dann ist Google in der Lage zu sagen, was interessiert mich Spanien, was interessiert mich Deutschland noch, ich konzentriere mich auf die französische Presse…

Julia Reda: Aber das hat der Rat ja auch schon nicht geschafft. Die Position des Rates ist ja auch: Jeder Staat soll selber entscheiden, wo die Grenze ist…

Axel Voss: Aber das ist eben die Überlegung: Kann Google es sich leisten ganz Europa außen vor zu lassen, bloß weil sie etwas abgeben müssen von den horrenden Einnahmen, die sie da haben.

Julia Reda: Also, wenn alles worauf sie verzichten müssen, Links auf Nachrichtenseiten sind… (lacht)

Axel Voss: Wenn wir anfangen, uns aufzuteilen, dann ist das tot. Das ist meine Überzeugung.

Julia Reda: Aber Google wird doch niemals für das Verlinken bezahlen.

Das Gespräch moderierten Sascha Klettke und Lina Rusch.

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