Wie die Deutsche Bahn digitaler werden will
Das kennt man: Gedränge vor dem Fahrkarten-Automaten, entnervte Bahn-Kunden, ruckelnde Software. Der „Favomat“ soll das ändern. Der Automat der Zukunft wird wissen, was die Fahrgäste zu welchem Zeitpunkt wollen, er wird besonders gefragte Strecken schneller anzeigen und häufig gekaufte Tickets schneller drucken. Einen Prototyp des „Favomat“ haben sich Beschäftigte der Deutschen Bahn (DB) ausgedacht. IT-Spezialisten, die an einem September-Wochenende am ersten Mitarbeiter-Hackathon des Schienenkonzerns teilgenommen haben. Bei Hackathons werden in einer vorgegebenen Zeit gemeinsam nützliche und kreative Softwarelösungen produziert. 24 Stunden lang probierten 160 Teilnehmer aus, was sich aus den Daten der DB herausholen lässt. Dabei konnten sie das vor einem Jahr geöffnete Open-Data-Portal des Konzerns sowie eigens mitgebrachte Daten nutzen. Digitalisierung zum Mitmachen.
Ziemlich viel kam dabei heraus, wie in dieser Woche Bahn- Chef Rüdiger Grube feststellen konnte, als er acht Hackathon-Teams in Berlin auszeichnete. Im Anfang 2015 eröffneten Kreativ-Labor der Bahn – der Berliner DB Mindbox – wurden fünf der acht Teams mit 20 000 Euro prämiert und einem Zeit-Budget, um ihre Projekte zu realisieren. Darunter ein digitales Fahrtenbuch für Bahn-Card-Nutzer, eine Chat-App mit intermodaler Verbindungssuche oder ein sensorgestütztes Auslastungssystem für Konferenzräume.
„Bannig stolz“, so Rüdiger Grube, sei er auf die Mitarbeiter, die ihre „Köpfe und Festplatten zusammengesteckt“ hätten, um Nützliches aus dem Datenschatz der Bahn zu destillieren. Erfahrungen mit Hackathons hat die Bahn bereits bei vier Veranstaltungen mit externen Computer- Freaks gesammelt. 2017 sollen weitere folgen. „Perspektivisch wollen wir Geschäftsideen generieren“, sagt Onno Szillis, der die Mindbox leitet. „Was haben wir, was möchten die?“, laute die Leitfrage. Im digitalen Zeitalter werde es immer schwieriger, alles selber zu machen.
Die Bahn will den digitalen Wandel im Unternehmen beschleunigen (siehe Interview). Kommende Woche wird zudem die Deutsche Bahn Digital Venture GmbH (VC) gegründet, die zusätzlich 50 Millionen Euro an Wagniskapital für neue digitale Geschäftsmodelle zur Verfügung hat und die Startup-Gesellschaften der Bahn führen und weiterentwickeln soll – zum Beispiel den Mitfahrdienst Clever Shuttle oder die Mobilitätsplattform Qixxit. „Unsere neue VC-Gesellschaft tritt auf den Plan, wenn ein digitales Geschäftsfeld größer werden soll“, erklärt Onno Szillis. Ende des Monats will die Bahn wahrscheinlich auch einen großen Partner für die neue VC-Gesellschaft präsentieren – Namen werden nicht verraten.
Begeistert vom Ertrag des Mitarbeiter-Hackathons ist auch Manuel Rehkopf, der Leiter der Konzernentwicklung. Angetan hat es ihm besonders der „ICE Shadow Racer“, ein Tool, das die Pünktlichkeit der Züge optimieren kann. Ein sensibles Thema, das die Bahn 2017 vertiefen will. Geplant ist ein Hackathon mit Daten der japanischen Eisenbahn JR East – der pünktlichsten Bahn der Welt.
Herr Grube, seit anderthalb Jahren hebt die Deutsche Bahn an der Spree ihren Datenschatz. Wie läuft die Zusammenarbeit der Mindbox mit den Startups?
Unsere Mindbox hat ihr Netz in die Startup-Welt aufgespannt. Deren Puls schlägt ohne Frage in Berlin. Wer in der Digitalisierung etwas sein und werden will, muss in Berlin sein. Deshalb finden an der Spree auch unsere Pitchs und Hackathons statt. Inzwischen vier Startup-Pitchs und Hackathons haben unserer Reputation in der Szene sehr gutgetan.
Was können Startups besser als die Deutsche Bahn selbst?
Wir können natürlich vieles, was die Startups nicht können. Was sie aber mitbringen, sind Schnelligkeit, Entscheidungsfreude, auch die Freiheit von Regularien, auf die wir Rücksicht nehmen müssten. Mich beeindruckt die persönliche Leidenschaft junger Unternehmer, ihr unendlicher Drive, Ideen nach vorne zu bringen.
Eine Kultur, die ein Konzern in der Größe der Bahn nicht bieten kann?
Es ist eine einfache Kultur, die Startups suchen. Man muss sie sein lassen, wie sie sind, ihnen angstfreie Räume schaffen. Nur so springt der Funke über, entstehen gemeinsame Innovationen.
Ein großer Konzern, der plötzlich etwas mit Startups machen will. Gibt es da keine Berührungsängste?
Doch, natürlich. Ich glaube, es wäre völlig falsch gewesen, wenn wir einfach auf die Startups losgegangen wären. Wir haben deshalb zunächst unsere Labs in Frankfurt (Main), Dortmund und Berlin aufgebaut. Hier in Berlin, in der Mindbox, haben wir Atmosphäre und Arbeitswelten geschaffen, in denen sich Startups wohlfühlen. So wird Glaubwürdigkeit und Authentizität erkennbar, dass uns die Digitalisierung wirklich wichtig ist.
Wie vermitteln Sie Ihren Mitarbeitern diese Glaubwürdigkeit?
Veränderungen werden oft als Bedrohung wahrgenommen. Das war auch bei uns so, als ich vor zwei Jahren auf den Titel unserer Mitarbeiterzeitschrift geschrieben habe: „Die Deutsche Bahn steht vor dem größten Umbruch seit der Bahnreform.“ Einen Monat später stand dort: „Umbruch = Aufbruch“. Seitdem verspüre ich bei den Mitarbeitern immer mehr Begeisterung.
Die Bahn ist recht spät dran mit ihren Labs, Acceleratoren und der VC-Gesellschaft. Was müssen Sie noch aufholen?
Wir waren nicht die Ersten, aber wir sind noch rechtzeitig auf den Zug aufgesprungen. In den Bereichen Mobilität und Logistik sind wir inzwischen am weitesten. Wir geben allein in den kommenden zwei Jahren eine Milliarde Euro nur für die Digitalisierung aus. Es gibt im Unternehmen mehr als 300 Projekte. Ganz ehrlich, ich hätte das der Bahn nicht zugetraut.
Und was haben Bahn-Kunden davon?
Ein Beispiel zeigt, dass wir nicht erst mit der Mindbox angefangen haben. Schon 2009 waren wir mit dem DB Navigator, mit einer App auf dem Markt. Damals hatten gerade einmal fünf Millionen Deutsche überhaupt ein Smartphone. Heute wollen wir mit unseren digitalen Plattformen überall dort sein, wo der Kunde ist. Der DB Navigator ist in Europa die erfolgreichste Mobilitäts-App mit vier Millionen Besuchen täglich. Allein von Januar bis September wurden zudem 6,8 Millionen Handy-Tickets gebucht, ein Plus von 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Das Interview führte Henrik Mortsiefer