Digital ist besser. Jeannine Koch soll bei der re:publica neue Strukturen aufbauen – um größer zu werden. Foto: Jan Florian Dietrich

»Digitalisierung kann nicht mehr als Randthema behandelt werden«

Jeannine Koch ist neue Direktorin der Digitalkonferenz re:publica. Im Interview spricht sie über politische Fehlentscheidungen und Expansionspläne.

Frau Koch, was halten Sie davon, was im Koalitionsvertrag zu Digitalisierung steht? Aus unserer Sicht sind die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die durch die gesellschaftliche Veränderung, die mit der Digitalisierung entstehen, nachhaltig und grundsätzlich. Von daher kann Digitalisierung nicht als Randthema behandelt werden, sondern müsste eine viel zentralere Rolle spielen. Breitbandausbau ist dabei nicht das wichtigste Thema, sondern eine Selbstverständlichkeit. Es scheint, als sei dieses Thema eher als Verhandlungsmasse innerhalb der Ressortverteilung genutzt worden als nach Kompetenz entschieden.

Bevor Sie Gesamtleiterin der re:publica wurden, haben Sie die Kommunikation bei der Internationalen Gartenausstellung (IGA) in Marzahn geleitet. Wie kommt man von der IGA zur re:publica? Eigentlich gibt es da einen roten Faden. Ich habe 2010 meine Abschlussarbeit in Berlin geschrieben – zum öffentlichen Umgang mit privaten Daten am Beispiel Facebook. Dann bin ich in die Modeindustrie gegangen, wo ich viel damit beschäftigt war, Strukturen zu schaffen und Kommunikationskanäle aufzubauen. Ab 2012 habe ich ganze sechs Jahre bei der IGA verbracht. Ich musste also ein ganzes Unternehmen mit aufbauen und wieder abwickeln.

Auch die re:publica muss jedes Jahr neu aufgebaut werden. 2015 fragte mich Andreas Gebhard, Geschäftsführer der re:publica, ob wir nicht einmal etwas zusammen machen wollen. Wir haben dann auf der re:publica 2016 eine IGA-Oase gebaut und haben uns damit beschäftigt, wie Arbeit im Freien, Nachhaltigkeit, Kleingärten und Digitalisierung zusammenpassen. Später haben wir eine ganze Reihe zu Digitalisierung im Grünen bei der IGA veranstaltet. So war mein Weg zur re:publica eigentlich recht stringent.

Welche neuen Themen bringen Sie ein? Im Augenblick wachsen wir vor allem sehr stark. Es wird daher viel darum gehen, dafür vorhandene Strukturen, um weitere Bereiche zu ergänzen.

Was sind diese Wachstumspläne? Alles kann ich noch nicht verraten. Klar ist, dass wir die Internationalisierung weiter ausbauen werden. Wir haben 2016 und 2017 schon eine re:publica in Dublin veranstaltet und eine in Thessaloniki. Und es gibt noch viele Länder und Städte, die keine solche Plattform haben.

Und die Berliner re:publica?

Die bleibt der Kern. Hier wollen wir in die Breite und Tiefe wachsen. Wir haben letztes Jahr 9000 Besucher gehabt. Und wir haben unter ihnen nochmals eine Umfrage gemacht. Da kam heraus, dass man manche Themen noch breitenwirksamer darstellen muss. Die Inhalte so transportieren, dass sie massenkompatibler sind, damit noch mehr Leute verstehen, was da in der Digitalisierung eigentlich passiert. Außerdem gehen wir in diesem Jahr noch stärker in die Tiefe. Parallel zur re:publica finden erstmals die Fachkonferenzen im:pulse statt. Direkt neben der re:publica – im Deutschen Technikmuseum – tauschen sich dabei Expertinnen und Experten zu den Themen „Digital Food“, „Digital Retail“, „Women in Fintech“ und „Experience Marketing“ aus. Außerdem feiern wir fünfjähriges Jubiläum mit der Media Convention.

Um was wird es bei der Konferenz vom 2. bis 4. Mai noch gehen?

Ein Thema wird Kryptowährungen sein. Ich war gerade einen Monat in Australien. Da sind Bitcoins, Ether und wie sie alle heißen schon in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Natürlich werden wir uns aber auch weiter mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen. Und mit dem Internet of Things, Chatbots oder Sprachsteuerung.

Digitalisierung betrifft inzwischen fast alles. Wird die re:publica nicht langsam eine Konferenz über alles und nichts?

Es ist natürlich ein Drahtseilakt. Wir haben 2007 mit 700 Bloggern begonnen, die sich über ihre Nischenthemen ausgetauscht haben. Inzwischen sind wir im Mainstream angekommen. Also haben wir das dieses Jahr auch zu unserem Motto gemacht: Pop. Mainstream bedeutet ja nicht immer was Schlechtes, sondern einfach „in der Gesellschaft angekommen“. Da geht es um Popkultur: Wie gehen wir mit so einer Massenverbreitung von Digitalisierung um? Warum werden Instagrammer auf einmal zu Stars? Und was haben die eigentlich zu sagen? Oder die Digitalisierung der Verwaltung, die enorme Chancen birgt. Wir gucken uns aber auch an, wo das „Pop“ in „Populismus“ herkommt und welche Mechanismen dahinter stecken. Wir sind zu einer holistischen Konferenz geworden.

Trotzdem kommen noch viele Hacker der ersten Stunde. Die kritisieren immer häufiger, dass inzwischen Werbestände von Daimler oder Google die halbe Halle füllen. Verträgt sich das langfristig?

Google ist schon seit der ersten re:publica mit dabei, Daimler seit fünf Jahren. Verändert hat sich eher die Wahrnehmung dieser Firmen. Wir nehmen diese Kritik zwar ernst. Tatsache ist aber, dass die Finanzierung dieser noch immer recht billigen Konferenz schon immer aus drei Säulen bestand: Sponsoren, Eintrittsgelder und Kooperationen. Wir markieren aber klar im Programm, welche Teile Partnerveranstaltungen sind.

Welche Technologien benutzen Sie selbst am meisten?

Ich bin wahrscheinlich altmodischer als man vermuten würde. Ich habe weder Google Home noch Alexa zu Hause sitzen. Am meisten freut mich die Musikerkennungs-App Shazam, die ich ständig nutze. Musik ist nebenbei so meine Leidenschaft. Aber ich benutze auch Apps für Carsharing, Bildbearbeitung oder Projektmanagement. Eigentlich alles, was meine Arbeit entlastet.

Das Gespräch führte Hendrik Lehmann