Der Fall von Rocket Internet
„Ich bin der aggressivste Mann im Internet“, schrieb Oliver Samwer 2011 einmal in einer E-Mail an seine Mitarbeiter. „Ich würde sterben, um zu gewinnen, und von euch erwarte ich das Gleiche.“ Einer seiner wichtigsten Investoren sieht das wohl anders – und hat sich am Mittwoch von 50 Prozent seiner Anteile an Berlins mächtigster Startup-Schmiede verabschiedet. Der schwedische Investor Kinnevik warf nun 10,9 Millionen Aktienanteile für insgesamt 209 Millionen Euro auf den Markt, der Kurs der Rocket-Aktie sackte daraufhin auf den tiefsten Wert seit dem Börsengang 2014 ab.
Man habe eine Gelegenheit genutzt, erklärte Kinnevik-Interimschef Joakim Andersson dazu gegenüber Reuters knapp. Künftig wolle man seine Ressourcen auf weniger Unternehmen im Portfolio konzentrieren. Die Gewinne sollen für neue Investitionen bereitgestellt werden. Der Ausstieg der schwedischen Risikokapital-Beteiligungsgesellschaft ist insofern bemerkenswert, als Kinnevik seit den Anfangsjahren zu Rockets größten Geldgebern gehörte. Auch zu vielen einzelnen Firmen, die Rocket gründete, steuerte Kinnevik immer wieder Geld bei. Kinnevik hat Zalando, Rockets bis dato größten Erfolg, genauso mitfinanziert wie später die Global Fashion Group, einen Onlinehandel für Kleidung in Schwellenländern oder den Möbelversand Home24.
Das steigende Risiko
Insgesamt hat Rocket Internet derzeit knapp 300 Mitarbeiter und ist in unterschiedlichem Maße an mehr als 100 Startups weltweit beteiligt, die 30 000 Mitarbeiter beschäftigen. Dabei blieb das Geschäftsmodell von Rocket lange dasselbe. Man suchte sich amerikanische Startup-Ideen und baute sie für andere Länder nach. Dieses Modell wird laut Analysten jedoch immer riskanter, weil es immer mehr Marktteilnehmer gibt, andere Startups agiler auf solche Kopierversuche reagieren und immer schwerer vorhersehbar ist, welche der Firmen profitabel werden.
Rocket-Finanzvorstand Peter Kimpel sagte: „Wir arbeiten auch weiterhin bei den Beteiligungen zusammen, die uns gemeinsam gehören.“ Kinnevik ließ derweil offen, ob und wann Kinnevik sich von seinem restlichen Anteil an Rocket trennen will. Denn auf den anderen Anteilen liegt eine Sperrfrist für 90 Tage.
Auf neue Engagements von Kinnevik in Rocket-Beteiligungen darf der Berliner Investor wohl nicht mehr hoffen. Rocket habe sich verändert und investiere nun in reifere Firmen statt wie am Anfang in Startups, sagte der Kinnevik-Chef. „Wir sind so etwas wie Konkurrenten geworden… deshalb haben wir uns ein bisschen von Rocket distanziert.“ Finanziell war der Einstieg bei Rocket Internet 2010 für die Schweden durchaus lukrativ: Einschließlich Dividenden kassierte Kinnevik 500 Millionen Euro – ein Überschuss von 350 Millionen. Das Geld gebraucht habe Kinnevik nicht: „Wir werden es investieren, wenn wir später Gelegenheiten dazu finden.“
Die schwelende Krise
Zwischen den beiden Unternehmen kriselt es Insidern zufolge schon länger. Bereits 2016 hatten die Schweden beide Vertreter aus dem Aufsichtsrat von Rocket zurückgezogen. Zwist hatte es laut Insidern beim abgeblasenen Börsengang des Lebensmittel-Lieferanten HelloFresh gegeben, der Zutatenboxen zum Selberkochen nach Hause liefert. Oliver Samwer habe auf den Börsengang gedrängt, Kinnevik habe das aber mithilfe von Anwälten blockiert. Die beiden Firmen haben das nie bestätigt. Samwer wartet deshalb weiter darauf, den Aktionären einen erfolgreichen Börsengang einer seiner Beteiligungen zeigen zu können. Als heißester Kandidat gilt derzeit der Lieferdienst Delivery Hero, der inzwischen Lieferheld, Foodora, Pizza.de und unzählige weitere Lieferservice unter seinem Dach versammelt hat. Dort zögert Finanzkreisen zufolge aber das Management. Rocket ist seit 2015 zwar mit 37 Prozent an der Firma beteiligt, hat aber sehr beschränkte Einflussrechte.
Ein Ärgernis für Rocket war stets, dass Kinnevik die Werte gemeinsamer Beteiligungen in den eigenen Büchern immer wieder nach unten korrigierte, während die Berliner selbst die Firmen stets relativ intransparent, unregelmäßig und extrem hoch bewertet hatten. So bewertete Rocket HelloFresh mit 2,6 Milliarden Euro, die Schweden dagegen nur mit zwei Milliarden. Den Wert ihrer Beteiligung an Rocket selbst hatten die Schweden wegen des schon länger währenden Wertverlustes der Rocket-Aktie ebenfalls reduziert. Ende Dezember 2016 hatte die Beteiligung nur noch einen Wert von 420 Millionen Euro – das waren 29 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Und auch die Global Fashion Group kann zwar steigende Umsätze nachweisen, wurde aber ebenfalls kürzlich ruckartig von 3,1 Milliarden Euro auf eine Milliarde abgewertet.
Zeit für realistischere Versprechen
Michael Kunert von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger war von dem plötzlichen Verkauf Kinneviks dennoch sehr überrascht. „Es gab Gerüchte, dass sich Rocket und der Investor zerstritten haben, aber die wurden nie bestätigt“, sagte er am Freitag. Für ihn ist der Schritt „ein Beweis für fehlendes Vertrauen in die Führung und die Zukunft des Unternehmens“. Für die Startup-Fabrik bedeute die Entscheidung einen enormen Imageverlust. Für die ganze Branche könnte sie aber auch einen bereinigenden Effekt haben. „Vielleicht wird es jetzt Zeit für realistischere und vorsichtigere Prognosen“, sagte Kunert. „Das täte dem Markt auf jeden Fall gut.“
Ähnlich schätzt auch Malte Diesselhorst von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz die Situation ein. Auch seine Vereinigung habe in den letzten Jahren immer wieder bei Rocket nach dem genauen Wert ihrer Beteiligungen gefragt, wo man stets intransparent geblieben sei. Gerade jetzt, wo viele Anleger die Entscheidung von Kinnevik als Warnsignal sehen könnten, sei es eigentlich wichtig, dass Rocket ausführlicher erläutere, wie es dazu kam. Viele würden sich zudem wünschen, dass Rocket endlich bekannt gibt, welche seiner drei Firmenbeteiligungen es 2017 in die schwarzen Zahlen führen will. Das hatte das Unternehmen mehrfach versprochen.