Hort von Datenbergen. Der Bundestag sammelt extrem viele Daten – aber die Wichtigsten sind nicht öffentlich. Foto: Kay Nietfeld/picture alliance

Die Daten der Macht

Ministerien, Bundestag, Geheimdienste – sie alle hüten die Daten der Macht. Das Staatswissen ist, trotz zehn Jahren Informationsfreiheit, ein ungehobener Schatz.

Von der Macht der Daten ist viel, von den Daten der Macht selten die Rede. Daten sind die Kernressource des Informationszeitalters, zumal eine, die sich niemals verbraucht. Ständig werden neue Daten erhoben, mit jeder Weitergabe und Vervielfältigung findet ein Wachstum statt. Ein Terabyte Speicherkapazität, ehedem ein Maß für Industrierechner, ist für den PC des ambitionierten Privat-Gamers zur Alltagsnorm geworden, als externe Festplatte für weniger als hundert Euro zu haben.

Wer Daten hat, ist reich, wer sie nutzt, möglicherweise sogar reich und mächtig. Die Konzentration auf Datenkonzerne wie Google oder Facebook verstellt aber den Blick darauf, dass jene, die schon immer mächtig waren, einen ganz besonderen Datenvorrat anlegen und verwalten: Die staatlichen Institutionen.

Eine Frage der Mitbestimmung

Die Daten der Macht spielen eine Sonderrolle. Behörden verwalten ein Gemeinwesen und sammeln dabei nicht nur Daten, sie vernetzen und verwerten sie. Aus Daten werden Informationen. Niemand weiß mehr über den Staat und seine Bürger als der Staat selbst.

Die Datenmassen stellen die Frage nach demokratischer Teilhabe neu. Denn wenn das Wissen beim Staat bleibt und er es für seine Verwaltungs- und Regierungstätigkeit nutzt – wie soll diese ohne dieses Wissen von den Bürgern angemessen mitbestimmt und kontrolliert werden?

Das Ende der Datenaristokratie

Der Tod dessen, was früher „Amtsgeheimnis“ hieß, war im modernen Verfassungsstaat deshalb ein unausweichliches Schicksal. Ereilt hat es die Bundesrepublik vor rund zehn Jahren, mit Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Es verkehrte das Amtsgeheimnis in sein Gegenteil. „Jeder“, heißt es in Paragraf eins, hat „einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen“. Öffentlichkeit muss seitdem zwar noch nicht aktiv hergestellt, aber auf Anfrage gewährt werden.

Zuvor hatten die Behörden ein anderes Prinzip. Bürger, die etwas von der Behörde wissen wollten, mussten ein berechtigtes Interesse nachweisen. Selbst wenn sie dies taten, konnten die Informationen verweigert werden. Es reichte, wenn nach „pflichtgemäßen Ermessen“ entschieden wurde. Das IFG machte Schluss mit dieser Datenaristokratie und markierte ein neues Regel-Ausnahme-Verhältnis. Schweden und die USA hatten es schon vorgemacht, die EU gab wichtige Impulse.

Angst vor Transparenz

Freilich bemerkten die Abgeordneten schon bald, dass sich das Gesetz theoretisch auch gegen sie wenden konnte. Zum Beispiel, indem jemand auf die Idee kommt, die Prüfungsunterlagen des Bundesrechnungshofs anzufordern, der die Verwendung der Fraktionsmittel kontrolliert. Das war dann doch etwas zu viel Transparenz, und so schuf der Gesetzgeber für die Dokumente des Rechnungshofs eine Sonderregel.

Auch der Bundesregierung war es nicht ganz geheuer, was da passierte. „Amtliche Informationen“ schön und gut, aber Regierung war dann doch Regierung. „Regierungshandeln“, meinten Ministerien und Kanzleramt, sei vom „Verwaltungshandeln“ zu trennen; eine Auffassung, die sich als Irrtum herausstellte. Ein paar Jahre nach IFG-Erlass stellte das Bundesverwaltungsgericht klar, dass sich auch die obersten Stellen der Aktentransparenz zu ergeben haben.

Sensible Behörden & unsichere Beziehungen

Die Daten der Macht sind damit öffentlich, jedenfalls unter zwei Voraussetzungen. Zum einen muss sich immer jemand finden, der fragt. Von nichts kommt nichts. Wie transparent die Demokratie sein soll, bestimmen seitdem jene, die mit dem IFG arbeiten, allen voran Bürgerinitiativen, engagierte Privatleute, Journalisten oder Programmierer. Die zweite Voraussetzung ist, dass es keine Ausschlussgründe gibt. Und davon ist das Gesetz voll. Sicherheitsbelange, internationale Beziehungen, der Schutz besonders sensibler Behörden, all dies kann eine Verweigerung tragfähig begründen. Oft ist es auch der „Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses“, der die Akteneinsicht unmöglich macht.

Auch meint nicht jede Bundesbehörde, sich dem Diktat unterwerfen zu müssen. Die Parlamentsverwaltung zum Beispiel. Sie ermöglicht dem Bundestag, seine Gesetzgebungsarbeit zu erledigen – agiert dabei aber prinzipiell wie jede andere Behörde auch. Der IFG-Anspruch richtet sich gegen die Exekutive, nicht aber die Legislative. Was, wenn die Exekutive die Informationen der Legislative verwaltet?

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch auf diese Frage eine Antwort gefunden, etwa am Beispiel der so genannten Sachleistungspauschale, mit der Abgeordnete ihre Büros ausstatten dürfen. Einzelheiten dazu, etwa, was genau angeschafft wurde, dürfen per IFG herausverlangt werden. Lange gewehrt hat sich der Bundestag auch gegen die Freigabe von Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste, die im Auftrag der Parlamentarier erstellt werden. Die Parlamentsverwaltung meinte, es handele sich um die schützenswerte Freiheit des einzelnen Mandatsträgers, sich Informationen nach seinem Gusto zu verschaffen – und dies eben auch vertraulich. Auch hier stellte sich das Gericht quer. Die Bundestagsgutachten stehen jetzt auf der Webseite des Bundestags. Staatswissen für alle.

Geheimdienste bleiben geheim

Besonders heikel sind die Daten der geheimen Macht, namentlich: der Geheimdienste wie Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst (BND). Ihnen gegenüber, so hatte sich der Gesetzgeber entschieden, soll kein IFG-Anspruch geltend gemacht werden können. Freilich ist das Bundeskanzleramt die Aufsichtsbehörde des BND und weiß im Prinzip alles, was der BND weiß. Muss das Kanzleramt also seine „amtlichen Informationen“ über den BND zugänglich machen?

Eigentlich ja, meinten die Bundesverwaltungsrichter kürzlich in einer mündlichen Verhandlung. Denn wirklich sensible BND-Informationen müssten ohnehin nicht preisgegeben werden. Dennoch entschieden sie sich später, durchaus überraschend, den Geheimdienst-Schutz auch auf die Geheimdienst-Kontrolle im Kanzleramt auszudehnen. Wer, etwa als Journalist, Informationen vom BND beschaffen will, hat entweder seine vertraulichen Quellen oder muss das Presserecht in Stellung bringen. Danach sind sowohl Kanzleramt wie BND selbst grundsätzlich zu Auskünften verpflichtet.

Ein unumkehrbarer Weg

Die „Daten der Macht“ sind ein ungehobener Schatz. In den Ministerien zum Beispiel lagern alle Informationen, die bis ins Einzelne belegen, wie stark Lobbyisten auf die Gesetzgebung eingewirkt haben. Der Bundestag sitzt auf tausenden Protokollen seiner nichtöffentlichen Ausschusssitzungen; es fragt sich auch, warum die Inhalte von Kabinettssitzungen auf Jahrzehnte geheim bleiben sollen. Der Weg, den die staatliche Transparenz mit dem IFG eingeschlagen hat, ist unumkehrbar. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir noch nicht sehr weit gegangen sind.