Donnerwetter bei Soundcloud: Berliner Streaming-Dienst kämpft ums Überleben
Der Schock über die Massenentlassungen sitzt bei vielen Soundcloud-Mitarbeitern noch tief. Fast die Hälfte verliert ihren Job bei dem Musikstreamingdienst. „Wir hatten nicht damit gerechnet”, sagt einer, dem gerade gekündigt wurde. „Schließlich wurden Anfang des Jahres noch viele Leute eingestellt.” Einige sind extra aus anderen Ländern nach Berlin gezogen, um bei dem einstigen Vorzeige-Startup anzuheuern. Als der Chef und Gründer Alexander Ljung dann überraschend das komplette Team zu einem Meeting zusammenrief, dachten viele noch, nun würde endlich die Übernahme verkündet. Denn seit Langem führte Soundcloud immer wieder Gespräche. Verhandlungen mit Twitter oder Spotify waren aber gescheitert. Zuletzt wurde über einen Verkauf an Google oder den Streamingdienst Deezer spekuliert. „Wir haben immer Witze gemacht, wer uns nun wieder kauft”, sagt der Ex-Mitarbeiter. „Stattdessen ist die Bombe geplatzt”.
»Die Mehrheit der Welt streamt noch nicht«
Ljung verkündete, dass 173 der zuvor 420 Mitarbeiter gehen müssen. Die Büros in San Francisco und London werden geschlossen. Als einziger Standort neben Berlin bleibt New York. Wie viele Stellen im Berliner Hauptquartier betroffen sind, sagt Soundcloud nicht. Doch auf einer öffentlichen Liste, die gekündigte Mitarbeiter gestartet haben, damit sie schnell einen neuen Job finden, haben sich schon mehr als 40 Personen eingetragen, die bislang in den durchdesignten Büroräumen an der Rheinsberger Straße gearbeitet haben.
Das Startup hat lange über seine Verhältnisse gelebt. Der letzte bekannte Umsatz aus dem Jahr 2015 betrug 21 Millionen Euro, der Verlust jedoch 51 Millionen. Allein die Personalkosten lagen mit mehr als 30 Millionen Euro weit über den Einnahmen. Und die Ausgaben für Löhne sind weiter gestiegen: seit Anfang 2016 hatte Soundcloud 120 weitere Mitarbeiter eingestellt. „Die Organisation war aufgebläht”, sagt ein Unternehmenskenner. Das Unternehmen habe nun aber gute Chancen profitabel zu werden. Das glaubt auch Ljung. Der englische Journalist Mike Butcher fragte ihn am Mittwoch auf der Bühne des Berliner Tech Open Airs: „Na, wie fühlt es sich an, gerade halb Berlin entlassen zu haben?” Darauf Ljung: „Es war an der Zeit, wieder mehr Kontrolle über die Situation des Unternehmens zu gewinnen.” Es täte ihm um jeden einzelnen Mitarbeiter leid. Aber durch die Reduzierung der Kosten sei Soundcloud nun auf einem guten Weg. Der Umsatz habe sich in den vergangenen zwölf Monaten verdoppelt. Eine mögliche Übernahme ist offenbar erstmal vom Tisch. Ziel sei eine „unabhängige eigenen Plattform”, sagte der schwedische Firmengründer betont oft. Er glaubt, dass der Markt noch ganz am Anfang steht. „Man darf nicht vergessen, dass die Mehrheit der Welt noch nicht streamt”, sagt der Soundcloud-Chef. „Aber langfristig werden alle streamen.”
Rückhalt bei Techno und Hip Hop
Welche Rolle Soundcloud dabei spielen kann ist die Frage. Ljung muss nun zeigen, ob er eine Wende einleiten kann. Sein Vorteil ist, dass Soundcloud immer noch enorm populär ist. Während Soundcloud ursprünglich vor allem elektronische Musik und DJ-Mixe bot und so weltweit unter Clubgängern und Produzenten berühmt wurde, hat die Plattform inzwischen einen extrem breiten Rückhalt in verschiedensten Genres. Künstler von Pop-Hoffnung Lorde über den deutschen House-Produzenten Felix Jaehn bis hin zum Hip-Hop-Newcomer Chance the Rapper veröffentlichen ihre Songs zuerst auf der Musikplattform. Weil dort innerhalb der einzelnen Songs jede Stelle markiert und kommentiert werden kann, sehen das viele als interaktive Probebühne und Möglichkeit, Fans zu binden. Chance the Rapper, der bewusst auf ein Label verzichtet und trotzdem mit dem Grammy als bester Nachwuchs-Hip-Hopper ausgezeichnet wurde, sagte in seiner Rede: „Danke an Mama, Papa und Soundcloud.”
Zuletzt wurde der Berliner Musikdienst gar zum Namensgeber eines eigenen Genres: „Soundcloud Rapper” werden eine junge Generation von Underground-Musikern genannt, die derzeit für Furore sorgen. Als Punks des Hip-Hop bezeichnen viele Musikkritiker die jungen Rapper mit ihren Gesichtstattoos, den rohen, einfach produzierten Tracks und einer Vorliebe für „Xanies“, wie sie das als Angstlöser verschriebene Beruhigungsmittel Xanax nennen. Selbst die „New York Times“ schwärmt von der „rebellischen Musik mit ihrer vulkanischen Energie“. Natürlich freut sich auch Soundcloud über den Hype.
»Die Labels haben Soundcloud gefickt«
Eigentlich sollte das auch die Nutzerzahlen hochtreiben. Doch seit Jahren nennt Soundcloud die Zahl von 175 Millionen monatlichen Hörern. Das spricht dafür, dass die Hörerschaft nicht weiter gewachsen ist. Wie erfolgreich der kostenpflichtige Abodienst funktioniert bleibt ebenfalls vage. Fragen nach der Zahl der Nutzer weicht das Unternehmen konsequent aus. Auch bei seinem Auftritt auf dem Tech Open Air am vergangenen Mittwoch blieb Ljung gewohnt unkonkret. Er wiederholte lediglich mehrfach, dass Soundcloud weiterhin dabei bleiben werde, sich auf die Produzenten von Musik zu konzentrieren. Zwölf Millionen davon seien auf der Plattform. In der Tat, die größte Stärke des Dienstes ist immer noch die Vielfalt.
Während Spotify, Apple Music und Co. im Schnitt 30 Millionen Songs anbieten, sind es bei Soundcloud 150 Millionen. Doch statt sich darauf zu konzentrieren, wurde mit dem Bezahldienst Soundcloud Go eine Art Spotify-Klon entwickelt, der vor allem auch die Mainstream-Musik zugänglich machte. Damit kam Soundcloud jedoch zu spät. Zu lange konnten sich die Berliner mit den Plattenfirmen nicht über Konditionen einigen. „Die Labels haben Soundcloud gefickt”, sagt ein Insider. Insbesondere Universal hätte die Verhandlungen lange verzögert. In der Zwischenzeit wurden zudem immer wieder Inhalte durch die Plattenfirmen gesperrt, was für Ärger bei vielen Nutzern und betroffenen Musikern sorgte.
Zurück zu den Wurzeln?
„Soundcloud will nun wieder zurück zu seinen Wurzeln”, sagt ein Mitarbeiter. Und obwohl er selbst gerade gefeuert wurde, bezeichnet er den Strategiewechsel als richtigen Schritt. Statt Geld von den Hörern zu verlangen, hatte Soundcloud sich ursprünglich damit finanziert, Geld von den Künstlern zu nehmen, die sich über die Plattform bekannt machen. Doch das funktioniert nur am Anfang. „Soundcloud macht Musiker groß und ‚verliert‘ sie, sobald sie populär werden”, sagt der Analyst Marcel Weiss. Das Startup müsste stattdessen viel mehr Werkzeuge und Dienstleistungen mit anbieten, die sonst die Plattenfirmen offerieren – von der Einbindung von Konzertinformationen bis hin zu Merchandising. Viele Musiker hätten ein Interesse daran. Ob es nun mit weniger Mitarbeitern gelingt, das noch nachzuholen ist die Frage. Zumal sich immer mehr andere Plattformen wie Bandcamp, Patreon oder Resonate als Alternativen anbieten.
Mit den Entlassungen hat sich Ljung nur eine Atempause verschafft, sagen daher manche. Denn trotz der Einsparungen reicht das Geld nur noch bis Ende des Jahres, wie Soundcloud einräumt. Ob Investoren noch einmal Geld nachschießen, ist fraglich. Positiver sind die Aussichten da für viele der gekündigten Mitarbeiter. „Ich mache mir keine Sorgen”, sagt einer. Da ist er nicht der Einzige: Auf der Liste für ehemalige Soundcloud-Mitarbeiter haben sich inzwischen neben den gerade Gekündigten nämlich auch über 600 interessierte Unternehmen eingetragen.