Dauerlauf. Hunderte Bestellungen werden täglich ausgeliefert. Foto: Kai-Uwe Heinrich

Im Supermarkt von Amazon

Seit Mai liefert der Konzern frische Lebensmittel in Berlin. Ein Besuch im zentralen Lager.
Eine gigantische Tiefkühltruhe mit minus 22 Grad Temperatur. Foto: Kai-Uwe Heinrich

Dieter Grond kann schon wieder nichts mehr sehen. Der Leiter des Amazon-Fresh-Zentrums in Berlin wischt seine beschlagene Brille ab. Das passiert ihm jedes Mal, wenn er die Tiefkühlpizzen inspiziert. Denn im Gegensatz zu normalen Supermärkten lagern die nicht in Kühltruhen, sondern in langen, mehr als zwei Meter hohen Metallregalen. Dafür ist der Raum, in dem sie stehen, eine gigantische Tiefkühltruhe mit minus 22 Grad Temperatur. Vor der Eingangstür steht ein Kleiderständer mit dicken Hosen und Jacken in verschiedenen Größen. Mit der Brille ist das schwieriger.

100.000 Produkte

Auch die anderen 100.000 Produkte im Amazon-Fresh-Lager werden in Metallregalen gelagert. Der Aufbau des Lagers ist an maximaler Effizienz orientiert. „Wenn Kunden ihren Einkauf packen, kommen die schweren Sachen nach unten, die leichten, zerbrechlichen obenauf“, sagt Grond. Nach demselben Prinzip hat der Standortleiter auch das Amazon-Fresh-Zentrum in Berlin aufgebaut.

Ganz am Anfang stehen die Getränkekästen. Die Auswahl ist groß, die Mengen sind überschaubar: Pro Sorte gibt es oft nur zwei Kästen. Zwischen Bier und Mineralwasser türmen sich Kartons mit Windeln. Die scheinen gefragter zu sein. Es folgen Regale mit einzelnen Flaschen, hier steht Saft neben Shampoo. Leichte und empfindliche Produkte wie Eier oder Chipstüten folgen am Schluss. Die Mitarbeiter schieben grün-schwarze Wagen durch die Regalreihen, auf die jeweils acht Transporttaschen passen. Ein Handscanner zeigt, was hineinsoll, und piept, wenn ein Teil eingepackt wurde.

Auch Hamburg wird aus Berlin beliefert

Ob sich das Liefergeschäft rechnet, muss sich noch zeigen. Foto: Kai-Uwe Heinrich

Vor einem halben Jahr hat Amazon seine Attacke auf die deutschen Supermärkte gestartet. Da begann der Konzern zunächst in Berlin und Potsdam mit der Lieferung von Lebensmitteln. Inzwischen wird aus dem Berliner Lager auch Hamburg beliefert. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Florian Baumgartner, Chef von Amazon Fresh Deutschland. Die Nachfrage habe ihn bestätigt, Fresh auch in weiteren Regionen verfügbar zu machen. Wo und wann, will er nicht sagen, doch als Topkandidat gilt München. In der Branche wird spekuliert, dass es schon diesen Monat passieren könnte.

Und auch die etablierten Händler reagieren. Kaufland hat die geplante Ausweitung seines Lieferdienstes nach Hamburg ausgesetzt. Die Supermarktkette Real hat dagegen diese Woche angekündigt, einen Lieferdienst in zehn deutschen Großstädten anzubieten, darunter auch Berlin.

Ob sich das Liefergeschäft rechnet und welche Lieferkosten von den Kunden verlangt werden, muss sich noch zeigen. Amazon will keine Angaben dazu machen, wie viele Sendungen am Tag herausgehen. Auch beim Lager selbst gibt man sich geheimniskrämerisch. Es liegt auf dem Gelände der früheren Borsigwerke in Tegel. Allerdings weist kein Schild oder Schriftzug darauf hin, was in der schwarzen Lagerhalle passiert.

Tropische 15 Grad

Der Besuch im Lager vermittelt aber einen Eindruck, wie gut das Geschäft läuft. An einem Wochentag in der Mittagszeit läuft gerade ein Dutzend fertig gepackter Tüten über ein Band. Daneben stehen mehrere Paletten, auf denen schon mehr als hundert Taschen gestapelt sind. Jeweils mittags und abends holt DHL die Paletten ab und liefert sie aus. Eine andere Frage ist, ob die Kunden mit dem gelieferten Obst und Gemüse zufrieden sind. Schließlich sind sie dabei auch im Laden besonders wählerisch. Bei Amazon Fresh wird es in zwei separaten Räumen gelagert. Der eine, in dem auch Milchprodukte liegen, ist auf fünf Grad gekühlt. Der andere heißt zwar „tropical room“, ist aber nur 15 Grad warm. Hier liegen Bananen, Ananas oder Avocado.

Ausweitung des Dienstes geplant. Foto: Kai-Uwe Heinrich

Um bei der Analyse der Obstqualität künftig noch besser zu werden, setzt der Konzern auf Hightech. In seinem Entwicklungszentrum in Mitte leitet Ralf Herbrich das „Erdbeer-Projekt“. Dabei soll eine Spezialkamera automatisch den Reifegrad von Früchten bestimmen. Das sogenannte Spektrometer analysiert das Obst unter anderem mit Infrarotstrahlen. Die Analyse von Äpfeln war anfangs besonders schwierig, denn die haben oft einen Aufkleber und der wurde als schlechte Stelle erkannt. „Da mussten wir erst einen automatischen Stickerdetektor entwickeln“, sagt Herbrich. „Bisher können wir nur erkennen, ob die Früchte gut sind oder nicht“, sagt Herbrich. Interessant wäre auch, wie lange sie haltbar sind, welche man also eher verkaufen sollte. Daran forscht sein Team noch. Bis der Computer die Äpfel auswählt, wird es daher noch dauern.

In der Kühlkammer des Berliner Fresh-Lagers wird derweil schon die vierte Sorte Handschuhe getestet. Entweder wärmen sie nicht genug oder die Scanner sind schwer zu bedienen. [Die Mitarbeiter] wünschen sich auch einen Kaffeeautomaten, um sich aufzuwärmen. Doch noch sucht der Standortleiter ein Modell, das auch bei niedrigen Temperaturen funktioniert.