Bei Foodora gibt es immer wieder Proteste gegen die Arbeitsbedingungen. Versuche, Betriebsräte bei der Tochterfirma zu gründen, werden von Delivery Hero behindert, klagen Gewerkschafter. Foto: Tobias Schwarz/AFP

Feel Good Manager statt Betriebsrat

Mitbestimmung ist in Startups verpönt. Versuchen Mitarbeiter trotzdem, sich zu organisieren, greifen die Unternehmen oft zu Tricks. So auch beim Essenslieferdienst Delivery Hero

Plötzlich ging es ganz schnell. Am Donnerstag verkündete der Berliner Essenslieferdienst Delivery Hero, dass demnächst drei Arbeitnehmervertreter in den sechsköpfigen Aufsichtsrat einziehen werden. Zudem soll im Laufe des Jahres ein konzernweiter Betriebsrat etabliert werden. Ganz freiwillig geschah das jedoch nicht. Erst kürzlich war bekannt geworden, dass das Landgericht Berlin im März angeordnet hatte, den Aufsichtsrat zu gleichen Teilen mit Vertretern der 4000 deutschen Mitarbeiter zu besetzen. Denn die Gesetze sind eindeutig. „Sobald Kapitalgesellschaften die Schwelle von 2000 Mitarbeitern überschreiten, müssen sie in der Regel einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat einrichten“, erklärt Reimund Marc von der Höh, Rechtsanwalt bei der Großkanzlei CMS Hasche Sigle.

Schlupfloch Europa

Allerdings hatte das Startup mit seinen Marken Lieferheld, Foodora oder Pizza.de ein Schlupfloch ausgemacht. Delivery Hero plante einen Wandel der Unternehmensstruktur. Aus der deutschen Aktiengesellschaft sollte eine europäische Aktiengesellschaft (SE) werden. Denn die hat aus Unternehmenssicht einige Vorteile. „Man kann in der SE viele Dinge flexibler vereinbaren als im starren deutschen Mitbestimmungsrecht“, sagt Anwalt von der Höh.

Ein Vorbild ist dabei Zalando, das sich ebenfalls in eine SE gewandelt hat. Nach Einschätzung von Experten wie von der Höh könnten Unternehmen diesen Weg künftig immer öfter gehen. Auch um damit die strikte deutsche Mitbestimmung zu unterlaufen.

Betriebsrat so populär wie ein Faxgerät

Es ist damit eine weitere Methode von Technologieunternehmen, der klassischen organisierten Mitarbeiterbeteiligung aus dem Weg zu gehen. Denn die ist in der Branche ohnehin die große Ausnahme. Startups pflegen schließlich gern das hippe Image kreativer Buden mit flachen Hierarchien, wo jeder seine Sorgen direkt mit dem Chef am Kickertisch oder beim gemeinsamen Feierabendbier besprechen kann. Wenn der zu beschäftigt ist, kümmern sich Feel Good Manager um die Sorgen der Angestellten. Ein Betriebsrat passt dazu so gut wie Schreibmaschine oder Faxgerät.

„Startups ermöglichen ihren Mitarbeitern eine deutlich größere Mitbestimmung als die meisten etablierten Unternehmen. Das schaffen sie durch ihre innovativen Strukturen“, sagt Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Startups. „Betriebsratsstrukturen wären deshalb in vielen Startups ein Rückschritt aus Sicht der Mitarbeiter.“ So sind dem Verband auch keine Jungunternehmen bekannt, die einen Betriebsrat hätten.

SAP bekam erst nach 30 Jahren Betriebsrat

Auch Bert Stach kennt das Phänomen. Bei der Gewerkschaft Verdi betreut er seit Jahren IT-Unternehmen wie IBM und SAP. Und in Teilen kann selbst der Gewerkschafter die Argumentation nachvollziehen. „Solange Unternehmen weniger als 200 Beschäftigte haben, können vernünftige Chefs und Personaler noch einen guten, direkten Draht zu den Mitarbeitern halten“, sagt Stach. Doch wenn Unternehmen größer werden, entsteht zwangsläufig eine Anonymität. Auch potenzielle Konflikte und Gehaltsunterschiede nehmen dann zu. Bedarf nach Mitbestimmung könne zudem entstehen, wenn die Mitarbeiter mit der Firma älter werden. Berufseinsteiger hätten oft kein Problem damit, bis in die Nacht zu arbeiten und dann noch mit den Kollegen trinken zu gehen. „Aber wenn die Mitarbeiter Kinder bekommen und Windeln wechseln müssen, werden geregelte Arbeitszeiten plötzlich ein Thema“, sagt Stach. „Dann merkt man, dass ein Betriebsrat fehlt.“

Wie lange es dauern kann, bis ein Betriebsrat eingesetzt wird, zeigt das Beispiel SAP. Deutschlands erfolgreichste Softwarefirma kam über 30 Jahre ohne aus. Und selbst dann gelang es den Initiatoren 2006 nur gegen große Widerstände und mit einem Antrag beim Arbeitsgericht Mannheim, einen Betriebsrat einzuführen. Damals waren auch keine zehn Prozent der Beschäftigten davon überzeugt. „Den Gründervätern war es gelungen, die Kollegen mit Ressentiments gegen uns aufzubringen“, erinnert sich Eberhard Schick, der das Projekt initiiert hatte. Doch der Widerstand der Konzernführung war immens. In einem Schreiben an die Mitarbeiter warnte Unternehmensgründer Dietmar Hopp eindringlich vor den Gefahren für das Unternehmen und drohte: „Es warten viele Menschen in China, um den Job von SAP zu machen.“ Selbst in der Politik wurde für eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes getrommelt. Doch all das nützte nichts. Schick blieb hart und setzte den gesetzlichen Anspruch auf einen Betriebsrat durch – mit kräftiger Unterstützung der IG Metall.

Und auch wenn Gewerkschaften in Startups einen noch schlechteren Ruf haben als Betriebsräte ohnehin, rät Schick dazu, bei einer geplanten Gründung deren Know-how zu Rate zu ziehen. „Man kann schnell formale Fehler machen und bekommt dann Probleme“, sagt Schick. Ein weiterer wichtiger Hinweis: Man benötige die Kontrolle über eigene Kommunikationsstrukturen, um alle Mitarbeiter direkt zu erreichen.

Gehaltsstrukturen offengelegt

Es habe ein paar Jahre gedauert, bis das Gremium von den Mitarbeitern voll akzeptiert wurde. Doch zuletzt beteiligte sich jeder Zweite an der Betriebsratswahl. Schließlich habe die Mitarbeitervertretung einiges erreicht. So hat SAP hohe Summen für freiwillige Abfindungsprogramme bereitgestellt. „Ich weiß nicht, ob das Unternehmen ohne Betriebsrat solche Beträge investiert hätte, um älteren Mitarbeitern den vorzeitigen Ruhestand schmackhaft zu machen“, sagt Schick. Außerdem wurden beispielsweise die Gehaltsstrukturen offengelegt.

Da SAP je nach Marktlage eingestellt, bezahlt und Gehälter erhöht hat, hätten sich dabei im Laufe der Zeit enorme Unterschiede entwickelt. Schick glaubt, dass es auch bei vielen Startups viel solcher Gehaltsungerechtigkeit gebe. Auch sonst gibt es hinter der hippen Fassade viele Konflikte. Schließlich haben in letzter Zeit immer wieder ehemalige Startup-Mitarbeiter darüber geklagt, dass es oftmals mit der Mitsprache doch nicht so weit her sei und toll klingende Jobtitel einer schlechten Bezahlung und unzähligen Überstunden gegenüberstünden.

Gründung von Betriebsräten behindert

Doch nur selten versuchen die Mitarbeiter organisiert dagegen anzugehen. Wenn doch, stoßen sie schnell auf Widerstand. „Es gelingt leider oft, Versuche der Betriebsratsgründung zu ersticken und die Initiatoren aus dem Unternehmen zu drängen oder mit Abfindungen herauszukaufen“, sagt Gewerkschafter Stach. Auch der Hamburger Computerspielentwickler Goodgame wehrte sich 2015 mit allen Mitteln gegen eine entsprechende Initiative. Die damals größte deutsche Spielefirma hatte damals auch eine Wohlfühlmanagerin, doch 15 Mitarbeiter, die einen Betriebsrat gründen wollten, erhielten daraufhin die Kündigung.

Auch bei Delivery Hero sind mit der jüngsten Ankündigung längst nicht alle Konflikte ausgestanden. Zwar wird der Konzern nun in eine SE umgewandelt und im Zuge dessen ein europaweiter SE-Betriebsrat eingerichtet – der hat aber weniger Rechte als ein deutscher Konzernbetriebsrat. Ansonsten muss darum auch noch gekämpft werden. Bislang gab es nur bei der Liefertochter Foodora am Standort Köln ein solches Gremium. Gerade die Fahrradkuriere streiten immer wieder um die Arbeitsbedingungen. Auch in Münster wollen sie daher einen Betriebsrat gründen. „Delivery Hero versucht dort derzeit die Betriebsratswahl bei Foodora zu behindern“, klagt die NGG. Der Lieferdienst wollte sich dazu nicht äußern. Nun will die Gewerkschaft die Einleitung des Wahlverfahrens gerichtlich einklagen. Ein Urteil wird Mitte des kommenden Monats erwartet.