»Die Stimmung bei unseren Fahrern ist gut.« Die müssen Räder und Reparaturen selbst zahlen. Deliveroo-Chef Chrobog verspricht Änderungen. Foto: Thilo Rückeis

Chef von Deliveroo: »Die Proteste der Fahrer sind nicht repräsentativ«

Der Deutschland-Chef des Essenslieferdienstes Deliveroo, Felix Chrobog, weist im Interview die Kritik der Fahrer zurück. Außerdem plant er die Einführung von Containerküchen in Berlin – und expandiert in neun neue Städte.

Herr Chrobog, wie läuft das Geschäft?

Derzeit wächst unser Bestellvolumen monatlich um rund 20 Prozent. Wir arbeiten inzwischen mit 2000 Restaurants in Deutschland zusammen, 700 davon in Berlin, wo wir in den Stadtteilen Mitte und Prenzlauer Berg mit 140 Restaurants weiterhin am stärksten wachsen. Deutschland ist einer unserer wichtigsten Märkte. Deswegen expandieren wir jetzt in weitere Städte. Bis Ende August werden wir in Dortmund, Essen, Hannover, Nürnberg, Leipzig, Dresden, Stuttgart, Mainz und Bonn starten.

Hauptkonkurrent Foodora hat schon wesentlich früher in mehr Städte expandiert.

Sie haben einfach eine andere Expansionsstrategie. Wir achten zuerst darauf, dass die Städte, in denen wir sind, solide laufen. Und wir wollen nicht in Städte expandieren, aus denen wir uns später vielleicht wieder zurückziehen müssen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, auch wegen der Nachfrage von großen Restaurantketten wie etwa Dean & David oder Nordsee, die zusammen mit uns dort weiter wachsen möchten. Wir wollen ein nachhaltiges Wachstum.

Was heißt das?

Vor allem eine gute Beziehung zu Restaurants, Fahrern und Kunden. Daneben ist die Lieferzeit ein Riesenfaktor für die Besteller. Wir legen Wert darauf, die Zeit einzuhalten, die den Kunden beim Bestellen angezeigt wird. Und wir wollen sie mithilfe unserer Technologie immer weiter verkürzen. Derzeit sind wir bei durchschnittlich 32 Minuten. Es wäre natürlich super, wenn wir irgendwann in zehn oder zwölf Minuten liefern könnten.

Welche Gerichte werden eigentlich am meisten über Deliveroo bestellt?

Die Leute lieben derzeit vor allem Burger in allen Formen. Und Pizza natürlich. Aber auch Vietnamesisch und Koreanisch wird viel bestellt.

Worauf achten sie bei der Auswahl der Restaurants?

Ziel ist es, in jeder Gegend mit einer Bandbreite an Restaurants zusammenzuarbeiten, mit den besten idealerweise exklusiv. Im Gegenzug unterstützen wir sie dann beispielsweise stärker mit Marketingmaßnahmen. Manche generieren bis zu 30 Prozent zusätzlichen Umsatz durch uns.

Wie das?

Sehr viel durch zielgerichtete Werbung auf Websites und Social Media. Auf Litfaßsäulen und Plakaten werben wir für Restaurants in genau dieser Gegend. Wir sehen, dass das nicht nur zu mehr Bestellungen über unsere Website führt, sondern auch zu mehr Besuchern in den Restaurants vor Ort.

Wie hoch ist der Anteil, den die Restaurants an Deliveroo zahlen müssen?

Das sagen wir nicht öffentlich. Er wird mit jedem Restaurant individuell ausgehandelt. Für die Restaurants lohnt sich das aber, wegen der zusätzlichen Umsätze. Zum Beispiel wenn es regnet und die Leute möchten nicht raus. Das Restaurant hat schon sein Personal da, die Zutaten eingekauft, die Miete bezahlt. Durch uns generieren sie dann trotzdem Umsatz. Ihre eigene Logistik aufzubauen, wäre hingegen für die meisten zu zeit- und kostenintensiv. Wir sind genau darin Spezialisten.

Plant Deliveroo mehr Güter als Essen auszuliefern?

Aktuell nein. Ob langfristig, überlasse ich den Gründern in London. Derzeit entwickeln wir vor allem die Deliveroo Editions weiter.

Was genau ist das?

Mobile Küchen, entweder in Containern oder gemieteten Gebäuden, wo wir versuchen, Küchen von fünf bis sieben verschiedenen Restaurants zu sammeln. Von dort aus kann dann im entsprechenden Stadtteil Essen geliefert werden. Der Plan ist, bis Ende des Jahres über 150 Editions in Großbritannien zu eröffnen.

Was haben die Restaurants davon?

Wir überlegen vorher zusammen, wo in der Stadt es wenige Restaurants dieser Art gibt und deswegen hohe Nachfrage bestehen könnte. Die Kunden in der Gegend bekommen dann schlagartig eine ganz neue Auswahl. Weil die verschiedenen Restaurants an einem Ort geballt sind, ist die Logistik für uns noch effizienter, so können wir kürzere Lieferzeiten erreichen und eventuell sogar das Essen billiger anbieten. Denn die Restaurants brauchen ja nur noch Köche dort.

Kommen Sie mit dem Konzept auch nach Deutschland?

Wir sind schon in rigoroser Planung. Ich hoffe, noch dieses Jahr die ersten Deliveroo Editions in Berlin zu starten und das Konzept dann deutschlandweit auszurollen.

Deliveroo wird vorgeworfen, zu wenig zu bezahlen, keine verlässliche Planung zu erlauben und nicht für den Verschleiß der Fahrräder zu bezahlen.

Wir haben über 1000 Fahrer in Deutschland, etwa 55 Prozent sind über Midijobs angestellt, 45 Prozent sind selbstständig. Wir führen regelmäßig Umfragen bei den Fahrern durch und treffen die Teamleiter monatlich, um anonymes Feedback aus der Community zu bekommen. Wir bekommen eigentlich sehr gutes Feedback.

Woher kommen dann die Unzufriedenen?

Schauen wir uns doch mal diese „Kundgebung“ an, die hier vor einigen Wochen vor unserem Haus stattfand. Es waren vielleicht 60 Leute dabei und die meisten waren Foodora-Fahrer oder Mitglieder der Gewerkschaft FAU, die den Protest organisierte. Das sehen wir nicht als repräsentativ.

Was sagen Sie denn zu den konkreten Forderungen?

Zu der Forderung nach einer Stunde bezahlter Arbeitszeit extra pro Woche für die Schichtplanung: Unsere angestellten Fahrer müssen sich einmal in die Schichten eintragen, dann werden die Pläne Woche für Woche kopiert und sie müssen nichts mehr machen.

Kritikpunkt zwei: Fahrer bekommen angeblich nicht genug Schichten. Wir haben mit den Midijobbern vertraglich vereinbart, dass sie mindestens 15 Stunden pro Woche für uns fahren, rechtlich dürfen sie bis zu 23 Stunden, im Durchschnitt fahren sie 17 bis 18 Stunden.

Die dritte Forderung betrifft den Verschleiß von Arbeitsmaterial, vor allem der Fahrräder und Handys. Das Thema haben wir schon länger aufgenommen und arbeiten daran. Ich denke, wir finden da bald eine faire Lösung.

Wie ist es bei den freiberuflichen Fahrern?

Sie verpflichten sich nicht zu festen Stundenkontingenten und wir verbieten ihnen nicht, nebenbei für die Konkurrenz zu fahren. Weil die Entlohnung besser ist und die Arbeit flexibler, wechseln aber immer mehr Angestellte lieber zum freiberuflichen Modell. Wie viel verdienen sie denn?

Midijobber bekommen neun bis zehn Euro die Stunde. Die freien Fahrer haben in den letzten Wochen durchschnittlich 16 bis 19 Euro die Stunde verdient, weil sie pro Auftrag bezahlt werden. Trinkgeld bekommen beide obendrauf. Außerdem gibt es unter Umständen einen Bonus.

Letzten Winter hat man oft Fahrer gesehen, die zwischen den Aufträgen in Waschsalons warten mussten, weil sie keine Aufenthaltsräume hatten. Kann man das ändern?

Wir prüfen Kooperationen mit Coffeeshops in den Kiezen, wo Fahrer dann Rabatt auf Kaffee bekommen oder in Restaurants billiger Essen können. Das ist nicht ganz einfach, aber wir versuchen, da voranzukommen.

Das Interview führte Hendrik Lehmann.

Über Felix Chrobog

Felix Chrobog ist in Brüssel geboren und hat in Washington Englisch und Geschichte studiert. Der 35-jährige Sohn einer Diplomatenfamilie hat vor Deliveroo unter anderem bei Siemens gearbeitet und ein Start-up in Abu Dhabi mit aufgebaut.

Über Deliveroo

Deliveroo wurde 2013 in London gegründet. In Berlin ist der Anbieter seit Anfang 2015 aktiv. Fast gleichzeitig startete in Berlin Konkurrent Foodora, ein Subunternehmen von Delivery Hero. Beide bringen Essen von Restaurants, die bislang keine eigenen Fahrer haben. Mittlerweile liefern mehr als 20.000 Kuriere in zwölf Ländern und 160 Städten Essen für Deliveroo aus, 1000 davon in Deutschland. Deliveroo erhielt insgesamt 474 Millionen Dollar von zwölf Investoren.