Wenn Worten Taten folgen. Nach der Veröffentlichung der »Panama Papers« demonstrieren Tausende vor dem Regierungssitz des isländisches Ministerpräsidenten David Gunnlaugssonin. Foto: Birgir Por Hardarson/dpa/picture alliance

Panama Papers: Journalisten, bildet Banden!

Mindestens so wichtig wie ihr Inhalt ist die Arbeitsweise, welche die »Panama Papers« ermöglichte. Um die Probleme der Gegenwart zu lösen, brauchen wir dringend mehr davon. Ein Kommentar

Kaum sind sie veröffentlicht, sammelt sich ein Kreis altgedienter Journalisten um die »Panama Papers«, um ihnen ihren Erfolg streitig zu machen: »Unjournalistisch«, »ergebnislos«, »ein Medienkartell«, schallt es hinter den Schreibtischen hervor.

Unsinn! Die Panama Papers sind keine Gefahr für den Journalismus, sondern sind dessen Zukunft. Weniger aufgrund der Inhalte der Veröffentlichungen, denn aufgrund der Arbeitsweise, in der sie erstellt wurden. Eine Arbeitsweise, die dringend notwendig ist, um die Probleme der Gegenwart zu anzugehen.

Nach dem Neid

2,6 Terabyte Daten wurden geleakt. Geschenkt. Die Größe einer Datensammlung ist unwichtig für die Bedeutung ihres Inhalts. Interessanter ist, dass die 11,5 Millionen Dokumente vor allem eines bedeuten: Jede Menge Arbeit. So viel Arbeit, dass es selbst mit technischen Hilfsmitteln nicht möglich ist, die Daten in einer kleinen Gruppe auszuwerten.

Anstatt schnell den größten Nachrichtenwert für ihre Zeitung daraus zu generieren, haben die beiden SZ-Redakteure, denen die Daten zugespielt wurden, nicht Konkurrenz, sondern Kollaboration gewählt. In einer Branche, in der regelmäßig ein Sport daraus gemacht wird, sich untereinander Nachrichten vor der Nase wegzuschnappen, alles andere als selbstverständlich und die größte Leistung der SZ-Journalisten.

Die zweite kluge Entscheidung: sich an das »International Consortium of Investigative Journalists« (ICIJ) zu wenden. An eine Nichtregierungsorganisation, die ein klar nach außen kommuniziertes Gemeinwohl verfolgt, statt an eine weitere Firma (die SZ ist schließlich eine private Firma). Nur eine solche Organisation hat die Legitimation und die Ressourcen, die Gewinninteressen einzelner Verlage untereinander auszugleichen und in Schach zu halten.

Gemeinsam mit dem ICIJ wurde das Unmögliche möglich: 400 Journalisten aus 80 Ländern, die ein Jahr lang dicht gehalten haben und damit die nötige Recherche und Gegenrecherche ermöglicht haben.

Wofür? Offensichtlich für die Sache. Denn um des Ruhmes willen wäre es für jeden einzelnen aus diesem Netzwerk sinnvoll gewesen, vorher zu veröffentlichen. Was dieses Team bewiesen hat, ist Loyalität, Ausdauer und Vertrauen über Länder und Verlagshäuser hinweg.

Der Schreiber alleine reicht nicht mehr

Neben dieser Teamleistung über Redaktionen hinweg hat das Rechercheteam rund um die Panama Papers aber noch eine weitere Hürde meisterhaft genommen: die technische. Um einen solchen Wust an Daten auszuwerten, braucht es nicht nur viele Menschen, sondern auch gute Maschinen. Und Menschen, die diese Maschinen (die meisten davon Computer) bedienen können. Von Excel über Datenbank-Anwendungen bis hin zu Visualisierungstools. Hier haben schreibende Journalisten nicht nur gut mit anderen Schreibern zusammengearbeitet, sondern auch mit Programmierern, Verschlüsselungsexperten, Webdesignern und Illustratoren.

Einfach erklärt: Die zehn Banken, die laut den Panama Papers die meisten Offshore-Firmen bei Mossack Fonseca beantragt haben.

Klingt selbstverständlich? Ist es nicht. Innerhalb hundertjähriger Strukturen aus Druckmaschinen und Papierbergen ist das zumindest eine Herausforderung. Und diese wurde im Falle der Panama Papers so gut gemeistert, dass sich der Leser nirgendwo alleine gelassen fühlt, Komplexität begreifen kann und sich sogar noch an der Schönheit der Gestaltung erfreut. Denn genau das ist die Stärke der Online-Medien: Sie können die ehemaligen Genre-Grenzen zwischen Zeitungen, Film, Datenanalyse und Illustration mühelos überschreiten. Das haben die Beteiligten getan – hervorragend sogar.

Eine neue Welt braucht eine neue vierte Macht

Kontrolle des Staatshandelns, Analyse von Machtstrukturen, Kritik an sozialen Missständen – das waren seit jeher die noblen Ziele von Recherchejournalisten, die etwas auf sich halten.

Nur haben diese leider ein Problem: Wenn jemand seine Steuern hinterzieht, dann tut er das nicht mehr auf nationalem Level, wenn jemand illegal Müll entsorgt, macht er das über weltweite Umwege. Das gleiche gilt für Arbeitsrechte, Umweltprobleme oder eben Briefkastenfirmen. Solche Probleme sind schon lange globalisiert. Und jeder einzelne Journalist, der sich anmaßt, solche globalen Mechanismen aus seiner kleinen Stadt in seinem kleinen Land heraus aufdecken, analysieren und vor allem einordnen zu können, ist schlichtweg naiv.

Globale Recherche, um globale Strukturen aufzudecken. Die Grafik zeigt die Steuerparadiese, die Mossack Fonseca nutzte

Man kann sich darüber streiten, wie relevant die Enthüllungen der Panama Papers nun im Einzelnen sind, wie neu das System Briefkastenfirma ist. Viel wichtiger ist, dass es hier gelungen ist, eine Blaupause eines transnationalen Journalismus zu entwerfen, der es mit globalen Machtstrukturen aufnehmen kann. Solchen Journalismus werden wir künftig viel stärker brauchen. Denn eine grundsätzliche Abkehr von der Globalisierung wird es abseits von neu-nationalistischem Gepolter nicht geben.

Kehrt man den Blick ab von der etwas bombastischen Sprache im Bezug auf die Enthüllungen, dann leisten die Panama Papers genau das, was guter Journalismus schon immer geleistet hat: Sie versetzen die Allgemeinheit in die Lage, mitzureden, sie geben staatlichen Behörden Ansatzpunkte für strafrechtliche Ermittlungen und sie machen Strukturen sichtbar und verständlich.

Das Ganze als Kartell zu bezeichnen, ist wenig zielführend. Gegenfrage: Sollen etwa internationale Konsortien oder die organisierte Kriminalität die einzigen Organisationen bleiben, denen die arbeitstechnischen Vorteile von internationaler Kollaboration gestattet sind? In der aktuellen Lage des Printmarkts ist es kaum einer einzelnen Publikation möglich, eine solche Recherche durchzuziehen. Dafür fehlen schlicht die Mittel. Zusammenarbeit ist da die einzige Möglichkeit. Dass solch eine Arbeitsweise die Gefahr erhöhen soll, dass Inhalte nicht unabhängig und pluralistisch aufgearbeitet werden ist absurd. Vielmehr schauen sich die Journalisten gegenseitig auf die Finger – nicht zuletzt, weil es lukrativ wäre eine Geschichte über die Fehltritte der Konkurrenten zu veröffentlichen.

Weg mit dem Ego!

Neben technischen Hürden und der Konkurrenz zu anderen Medien kratzen die Panama Papers noch an einem heiligen Gral: Dem starken einzelnen Autoren. Leitartikel sind darauf ausgelegt, dass ein Einzelner sein Wissen und seine Meinung kundtut. Das ist bei Multimedia-Reportagen schlichtweg hinderlich, erst recht bei der Bearbeitung großer Daten-Leaks. Gut funktioniert das nur, wenn alle ihr mediales Ego ein klein wenig zurücknehmen und sich fragen: Was kann ich zu diesem Projekt beitragen? Wer kann am besten Fotografieren? Wer kann Filmen? Wer bekommt es hin, den Datenberg in maschinenlesbare Formate zu konvertieren? Dazu dann noch den besten Text zu schreiben, straff und wohlklingend, engagiert, aber mit sachlicher Distanz, bleibt weiterhin wichtig. Es ist aber im Zweifel nicht wichtiger als die anderen Fähigkeiten.

So ist der größte Schwachpunkt in der Präsentation der Panama Papers dann auch der Versuch, hier die zwei SZ-Redakteure Frederik Obermaier und Bastian Obermayer zu überhöhen. Unnötig. Es wäre ruhmhafter gewesen, sich weniger als Helden zu gerieren. Ihre Wahnsinnsleistung, letztlich ein Team aus 400 Personen zusammen bekommen zu haben, würde durch Bescheidenheit noch mehr glänzen.

Aber das ist nur ein kleiner Ausrutscher. Man verliert sein Ego eben nicht an einem Tag. Und an der fantastischen Geschichte ändert es auch nichts. Wir brauchen dringend mehr davon.

Texte werden nie alleine produziert: In diesen Text flossen Kritik, Korrekturen und Ideen von Anna Graefe, Markus Hesselmann, Sabrina Markutzyk und Christian Tretbar mit ein.