Startups auf dem Weg ins All
Noch heute staunt mancher Ingenieur der Airbus-Werft in Hamburg über den Auftritt von Paul Eremenko im vergangenen Sommer. „Was baut ihr eigentlich immer noch Flugzeuge?“, rief der frisch ernannte Technik-Vorstand des Konzerns den Ingenieuren zu. Und: „Mit Leuten über 40 rede ich nicht!“ Der äußerst selbstbewusste US-Amerikaner und gebürtige Ukrainer ist 38 Jahre jung und arbeitete unter anderem bei Motorola und Google. Zuletzt war er Leiter des Airbus Innovationszentrums im Silicon Valley – bis Konzernchef Tom Enders ihn nach Europa holte, um seinen Riesenkonzern an der Basis aufzumischen.
Ein Mann aber dürfte nicht genügen, um ein Unternehmen mit 137 000 Mitarbeitern auf den Kopf zu stellen – und die ganze Zulieferindustrie gleich mit. Enders hält das aber für nötig, um die Konkurrenz von Boeing aus Seattle bis Comac aus China auf Abstand zu halten. Daher begleitet und beobachtet Airbus unter anderem die jährliche Startup-Night der Luft- und Raumfahrtindustrie.
Es soll mehr gescheitert werden
Die Veranstaltung fand in den Sälen des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin statt. Branchenschreck Paul Eremenko stand nicht auf der Bühne vor den 500 Gästen, dafür Motivatoren wie Frank Salzgeber, der für die europäische Raumfahrtagentur ESA die „Business Education Center“ betreibt, wo Kleinfirmen sich ausprobieren können. Salzgeber präsentierte ein paar Zahlen, die fast jeden Risikokapitalgeber entzücken dürften, beklagte sich aber darüber, dass 89 Prozent der betreuten Startups die ersten zwei Jahre überleben würden. Diese Rate sei zu hoch. Es müsse mehr gescheitert werden, erklärte er.
Die jungen Firmen, die sich präsentierten, haben naturgemäß das Gegenteil im Sinn. So zeigten Materialwissenschaftler der Berliner Firma CellCore3D zum Beispiel, wie man – inspiriert von Pflanzenstrukturen – „bionische Bauteile“ aus dem 3-D-Drucker herstellt. Das Unternehmen German Orbital Systems, gegründet von zwei ehemaligen Studenten der TU-Berlin, stellte ein Baukastensystem vor, aus dem sich Kunden Trägersysteme für den unbemannten Flug in den Orbit zusammenstellen können, inklusive der Bordcomputer und Batterien.
Virtuelle Realität trifft Tomatensaft
Etwas schrullig war die Präsentation von Moritz Engler von Inflight VR, einem Startup aus München, das Flugzeugherstellern und Airlines ein System anbietet, mit dem sie den Fluggästen Virtual-Reality-Unterhaltung bereitstellen können, ohne dass die Passagiere mit den Armen rudernd dem Sitznachbarn den Tomatensaft aus der Hand fegen, sobald sie in die virtuelle Welt abgetaucht sind. Der deutschsprachige Gründer hielt seinen Vortrag auf Englisch, obwohl jeder der gut 500 Gäste im Saal ihm auch in der Muttersprache hätte folgen können. Er wollte wohl demonstrieren, wie international sein Team ist.
Volker Thum, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI), zeigt sich begeistert von dem Maß an Motivation mit dem die Gründer ihre Konzepte in je fünf Minuten präsentieren. Seine Erfahrung sei, sagt Thum, dass Großbetriebe im Laufe der Zeit risikoavers werden. „Und dann kommen junge Leute, die sich etwas trauen. Die Mischung macht es aus: einerseits die Erfahrung in großen Unternehmen, etwas sicher und gut zu machen. Andererseits diese jungen Unabhängigen, die aus dem Nichts heraus etwas Neues machen.“
Angst vor Innovationen
Der Verbandschef erinnert an den Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus, der vor 45 Jahren mit „nur ein paar Leuten“ und einer Vision begonnen habe. „Sie sagten, wir machen ein Flugzeug, das nur elektronisch gesteuert ist. Das war damals unvorstellbar – aber der Ansatz, mit dem sich Airbus durchgesetzt hat.“
In den etablierten Firmen seiner Branche sei man kaum vorbereitet auf das hohe Tempo der Gründer. „Wenn sie vorbereitet wären, bräuchten sie keine Startups.“ Der Wille zur Veränderung komme oft von der Spitze. „Bei Airbus ist es Tom Enders, der das Unternehmen treibt, sich auf die jungen Firmen einzulassen.“ Auf der Arbeitsebene gäbe es sicher auch Angst vor Innovationen. Denn die gefährden die eigenen Arbeitsplätze.
Die Sorge sei in der Regel nicht berechtigt. Die Entwicklung schaffe neue Jobs. Wer als Startup in der Luft- und Raumfahrtbranche das ganz schnelle Geld sucht, den muss Thum enttäuschen. Nur eine Idee kopieren und darauf warten, dass der Marktführer sie einem abkauft, um einen lästigen Konkurrenten loszuwerden: So funktioniert das in diesem Hightech-Segment nicht. Hersteller wie Airbus oder der Satellitenhersteller OHB können auch gut mit selbstständigen Zulieferern in Symbiose leben. „Wir wollen diese Startups mit ihrem innovativen Spirit fördern, Produkte zu entwickeln, mit dem sie selbst am Markt bestehen können“, sagt Thum.