Der universelle Dolmetscher
Von Facebook bis Tinder: Viele „soziale Netzwerke“ haben weltweit so schnell Verbreitung gefunden, weil sie elementare Bedürfnisse befriedigen, die es in jeder Kultur gibt. In diesen Fällen Freundschaft, Liebe oder Sex. Die Schöpfer eines neuen Dienstes namens Oroboo Angel stammen nicht aus dem sonnigen Kalifornien, sondern aus dem hessischen Offenbach am Main. Entsprechend unromantischer ist ihr Angebot, aber nicht minder universell gefragt: Es geht um die Überwindung von Sprachbarrieren.
Die Plattform soll schnelle und kostenlose Hilfe in Situationen bieten, in denen man mit Händen und Füßen nicht mehr weiterkommt: auf der Suche nach einem Bahnhof in Tokio, nach einer Autopanne in der Pampa oder – so sind die Gründer auf ihre Idee gekommen – bei einem Gespräch mit Syrern und Afghanen auf einer deutschen Amtsstube.
Hilfe vor Gericht und überall sonst
Unter den sieben Gründern von Oroboo ist auch ein Haftrichter aus Offenbach. In seinem Berufsalltag kämpft er fast täglich mit Sprachbarrieren: Geschätzt 60 Prozent aller Bewohner der 120.000-Einwohner-Stadt nahe Frankfurt haben einen Migrationshintergrund. 37 Prozent besitzen keinen deutschen Pass. Offenbach gilt als die deutsche Stadt mit dem größten Ausländeranteil. Im Multikulti-Berlin liegt er bei knapp 31 Prozent. 167 Nationalitäten sind in Offenbach vertreten, wie Oberbürgermeister Horst Schneider bei einer Feierstunde zum Start der Plattform dieser Tage sagte. Er ist Schirmherr des Projekts.
„Oroboo Angel haben wir ausdrücklich nicht kommerziell angelegt, aber die komplexe Technologe dahinter bietet natürlich auch andere Anwendungsmöglichkeiten und Produkte“, sagt Benedikt Girz. Der Entwickler stammt auch aus Offenbach, hat aber viele Jahre im Ausland verbracht, unter anderem in San Francisco. Er lebt und arbeitet jetzt in Berlin. Ohne Experten der deutschen Gründerhauptstadt geht es auch bei diesem Startup nicht. „In Berlin haben wir das Netzwerk an Spezialisten, das wir für dieses Projekt brauchen“, erklärt Girz. Hier könnten Spezialisten unter Bedingungen arbeiten, die sie aus den USA gewohnt seien. In Frankfurt und Umland hätten derartige Profis nicht genügend Aufträge. Unter anderem die Videotechnologie und das Design von Oroboo sind „made in Berlin“. Trotzdem bleibt die Firma in Offenbach – eben wegen der Internationalität der Stadt und aus Heimatverbundenheit des Gründerteams.
Mithilfe von Engeln
Programmiertechnisch war und ist Oroboo eine Herausforderung. Bekannte Video-Chat-Programme wie Skype oder Apples Facetime haben das Manko, dass Sender und Empfänger eigens eine Software auf ihrem Gerät installiert haben müssen – oder mitunter das gleiche Betriebssystem. Oroboo Angel hingegen soll mit jedem Browser funktionieren, der in einer beliebigen Weltregion gerade besonders verbreitet ist: Microsofts Explorer, Firefox, Safari oder Opera.
Der Nutzer wählt seine Ausgangssprache und seine Zielsprache (von Afrikaans bis Farsi), dann klickt er auf „Angel finden“. Und draußen in der weiten Welt erhalten alle „Engel“ (Dolmetscher), die gemeldet haben, dass sie beide Sprachen fließend sprechen, eine Nachricht. Dann können sie sich per Video ins Gespräch einklinken und live übersetzen.
Übersetzen ist Ehrensache
Der Dienst ist kostenlos – aber begrenzt auf fünf Minuten. Danach muss man sich neu anmelden. Es sollen nur die wichtigsten Fragen in Notlagen übersetzt werden. Die „Angel“ erhalten kein Geld, aber Übung in einer Fremdsprache und das schöne Gefühl, Menschen mit einem Problem geholfen zu haben.
Viel Geld werden die Macher von Oroboo Angel mit dem Produkt wohl nicht machen. Auch sammeln sie angeblich keine großen Datensätze der User. „Transparenz und Datenschutz sind uns extrem wichtig“, beteuert Mitgründer und Vorstand Stephan Mourlane. Bekannt seien der Firma nur Vorname, E-Mail-Adresse und Sprachkompetenz der Nutzer. Allerdings seien die Video-Technik und die Erfahrungen, die man mit dieser Plattform sammele, wertvoll für die Entwicklung anderer Geschäftsmodelle. So könnte man zum Beispiel Mitarbeiter in Großunternehmen damit ausrüsten. Sie können Kollegen an anderen Standorten schnell um Rat fragen, sofern man das System gegen den Zugriff Dritter sichert. Schließlich gibt es in fast jeder Firma Notsituationen und Verständnis- und Verständigungsbarrieren – auch wenn man dieselbe Sprache spricht.