Klicken Sie sich durch ungewöhnliche WLAN-Namen in Berlin. Auf der obigen Karte finden Sie alle Netze, die Federico Prandi gesammelt hat. Wenn Sie auf eines der Netze klicken, finden Sie mögliche Erklärungen und Kommentare von Prandi zu den Namen. Quelle: A More Quiet Place

»Geh raus spielen!« Die seltsamsten WLAN-Namen Berlins

The Berlin WiFi Project sammelt die ungewöhnlichsten WLAN-Namen der Stadt. Federico Prandi steckt hinter dem Projekt. Von Warnungen an Nachbarn, versteckten Berliner Orten und der Lust an Abwegen.

Wie so viele Erfindungen begann auch das Berlin WiFi Project auf dem Heimweg von einer Bar. Federico Prandi saß in der Ringbahn und langweilte sich. Er starrte auf sein Smartphone. „Dabei bemerkte ich, dass sich logischerweise die WLAN-Netze ständig ändern, da sich der Zug bewegt.“ Manche Netzwerknamen schienen Nachrichten zu sein, andere Referenzen zu Popkultur, andere schlichtweg Beleidigungen. Prandi, der in seinem Alltag für das Produktvergleichsportal „Ladenzeile“ arbeitet, fand das „irgendwie mysteriös“. Er selbst hatte sich nie die Mühe gemacht, seinem WLAN Zuhause einen besonderen Namen zu geben. „Dass andere darauf so viel kreative Energie verwenden, finde ich faszinierend“, erzählt er.

Anfang 2015 war das. Das Phänomen ließ den 32-Jährigen nicht mehr los. Was sind die Geschichten hinter den Namen? Gibt es Gegenden in Berlin, wo es besonders viele ungewöhnliche Namen für Drahtlosnetzwerke gibt? Er begann, die Namen aufzuschreiben. „Am Anfang habe ich nur immer mal wieder mein Smartphone heraus gezogen und die Namen auf einer Karte eingetragen“, sagt der 32-Jährige. Doch es blieben leere Flecken auf seiner Berlin-Karte, Kieze, in die er normalerweise nie gehen würde: „Ich erfand dann Ausreden vor mir selbst, in diese Gegenden zu fahren. Ein angeblich gutes Restaurant zum Beispiel, oder eine ungewöhnliche Bar.“ Langsam füllte er so seine Karte. Da gibt es die Überbleibsel von zwischenmenschlichen Krisen: „Dennis du Arschloch“ beispielsweise. Im gleichen Empfangsbereich aber auch die Verteidigung gegen den Affront: „Dennis ist kein Arschloch.“ Andere scheinen ihre Nachbarn zu warnen: „Die Pizza schmeckt nicht“ beispielsweise, so fand Prandi später heraus, gilt der nach Meinung der Kiezbewohner schlechtesten Pizzeria der Gegend.

Auf WiFi-Safari. Federico Prandi arbeitet normalerweise als SEO-Beauftragter und Online-Marketing-Experte. Foto: Hendrik Lehmann

Über 250 solcher Netzwerke hat Prandi inzwischen vermerkt. Doch der Antrieb des Online-Marketing-Experten wurde zunehmend ein anderer: Die seltsamen Gegenden Berlins, die er so entdeckte.

Wunderschöne Abwege

Der französische Theoretiker Guy Debord veröffentlichte in den 50er-Jahren eine Theorie des „Dérive“, des „Sich-Treiben-Lassens“. Darin proklamierte er es als revolutionäre Strategie, nach willkürlichen Regeln durch die Stadt zu ziehen. Man solle sich dabei zu den unbekannten Eigenschaften von Stadtteilen und ihren Einwohnern hinziehen lassen und so zeitweise den festgefahrenen Verhaltensweisen des urbanen Alltags entkommen. So könne man auf neue Ideen für die Stadt kommen.

Federico Prandi kannte diese Theorie nicht – und tat mit seinem „Berlin WiFi Project“ dennoch genau dies. Schon bald brauchte er keine Ausreden mehr, sich in unbekannte Kieze der Stadt zu begeben. Die weißen Flecken auf seiner Karte waren Grund genug: „Ich mag die Idee, in Gegenden der Stadt zu gehen, in die man normalerweise nicht geht, wo keine hippen Bars sind, keine Sehenswürdigkeiten, nur gewöhnliche Wohngebiete und Alltag“, erzählt der Informatiker und lächelt. Das sei das eigentlich Schöne an seinem Projekt.

Brücken und Denunzianten

Fragt man den derzeitigen Wahlweddinger, wo es ihm am besten gefiel, zeigt der Wahlweddinger auf das Weiß zwischen Jungfernheide und Mierendorffplatz auf dem BVG-Netzplan: „Es gab dort einen wunderschönen Garten mit einem Springbrunnen, eine wunderschöne riesige Brücke, unzählige Parks, es ist einfach schön dort. Und ich wäre da sonst sicher niemals hingegangen.“

Doch zurück zum Ausgangspunkt von Prandis Projekts. Es gibt ganz unterschiedliche Ebenen, die Berliner mit ihren Netzwerknamen zu kommunizieren scheinen, erzählt er. Am häufigsten seien Hinweise an die Nachbarn: „Ich kann euch beim Sex hören“ beispielsweise, „Bitte leiser Geigen“, „Vorm Späti ist es zu laut“ oder „Eure Kinder nerven“. Dabei erlaubt diese Art der Kommunikation ein seltsames Ungleichgewicht: Der Sender der Nachricht bleibt für seine Nachbarn ein anonymer Denunziant. Alle möglichen Adressaten der Nachricht jedoch werden erreicht – und können höchstens mit einem neuen WLAN-Namen antworten.

Spielverderber

Eine andere Gruppe von Namen bezieht sich auf Kultur, Musik und Filme. So war einer der häufigsten Netzwerknamen, auf die Prandi gestoßen ist „Pretty Fly for a WiFi“, eine leichte Abänderung des Songtitels „Pretty Fly for a White Guy“ von der Punk Band The Offspring. Auch Zitate aus Filmen oder Buchtitel seien häufig. Weniger häufige Referenzen werden zur geheimen Botschaft zwischen Fans: „Prinzessin Annabelle“ beispielsweise ist ein russischer Comic-Charakter, den wohl nicht allzu viele kennen dürften. Besonders beliebt bei der Namenssuche scheint auch die Fernsehserie „Game of Thrones“ zu sein. Nicht nur Figuren und Zitate aus der Fantasy-Serie sind oft Namenspaten für WLAN-Netze, sagt Prandi. Genauso oft gebe es „Spoiler“, also Hinweise darauf, was in der nächsten Folge passiert. Diese Vorankündigungen werden von Fans der Serie gehasst. Aber in der Anonymität des WiFi kann keiner die Spielverderber enttarnen. Prandi hat diese Netzwerknamen nicht in seine Karte aufgenommen. Er wolle schließlich niemandem seine Lieblingsserie vermiesen.

Ihm selbst gefallen besonders die absurden Netzwerknamen. „Mir fehlt ein Paar Socken“ zum Beispiel. „Wem nicht“, sagt Prandi. Auch „Ich dusche nackt“ mag er. „Wer nicht“, sagt Prandi und grinst. Auch lokale Unterschiede sind ihm aufgefallen: In den ehemaligen West-Bezirken der Stadt hat er mehr kreative WiFi-Namen gefunden als im Osten der Stadt. Warum das so ist, kann er sich nicht erklären.

Kindheitserinnerungen

Seitdem er seine Funde letzte Woche auf seinem Blog A More Quiet Place veröffentlicht hat, hat Prandis Spiel eine neue Dimension bekommen. Seine Karte, deren Daten er uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat (siehe oben), wurde massenhaft auf Facebook und Twitter geteilt. Seitdem schicken ihm immer mehr Menschen weitere WiFi-Namen und Erklärungsversuche. Prandi will möglichst viele davon in seine Karte aufnehmen. „Ein Name war besonders schön“, erzählt er. „Mittags schrieb mir jemand auf Facebook, ob ich seinen Netzwerknamen auch aufnehmen wolle: Geh raus Spielen!“ Einige Stunden später bekam Prandi eine Nachricht von einer Frau, die ihm zufällig das gleiche Netzwerk am Tempelhofer Ufer empfahl. Sie sagte, diese Aufforderung erinnere sie ständig an ihre Kindheit. „Eine gute Idee“, sagt Prandi, „einfach mal vom Bildschirm hochkommen und rausgehen.“

Sind auch Ihnen ungewöhnliche Netzwerknamen in Berlin aufgefallen? Sie können Sie per Facebook und Twitter direkt an Federico Prandi schicken oder per Mail an digital@tagesspiegel.de. Wir leiten die Namen gesammelt an ihn weiter.