Unterredung im Scanner. Manfred Ostermeier (links), Gründer des Berliner Startups Botspot erklärt EU-Kommissar Günther Oettinger die 3D-Scannertechnologie auf der Cebit 2016. Foto: Botspot/ promo

Flirt mit Folgen

Die Cebit und die Youngsters: Wie in der Start-up-Halle alte und neue Tech-Welt aufeinandertrafen.

Um sich für ein aufregendes Date zu treffen, ist morgens um halb zehn keine ideale Zeit. Aber das hier ist auch keine klassische Verabredung, sondern Speeddating der besonderen Art: Start-up-Gründer treffen auf Vertreter der etablierten Industrie. Auch Georg Wittenburg, 36, ist an diesem Morgen ins provisorische Café in Halle 11 auf der Cebit gekommen, um für sein Berliner Start-up Inspirient auf Partnersuche zu gehen. 15 Minuten hat er jeweils Zeit, um sein Unternehmen, das auf Datenanalyse spezialisiert ist, vorzustellen – am Ende des Tages wird Wittenburg mehr als einen lockeren Flirt verbuchen können.

Das Speeddating am Donnerstagmorgen ist nur eine der zahlreichen Veranstaltungen, die auf der Cebit veranstaltet werden, um die alte und die neue Welt miteinander zu verkuppeln. Bereits zum zweiten Mal hat die Technologiemesse in Hannover jungen Gründern eine eigene Halle zur Verfügung gestellt – und die lassen sich gerne umwerben. War die Halle im vergangenen Jahr nur halb gefüllt mit rund 120 Start-ups, hatte sich die Zahl der Aussteller mehr als verdoppelt, rund 300 Start-ups präsentierten sich dieses Jahr aus 18 Ländern, davon alleine 50 aus Berlin, 3300 Aussteller gab es auf der Messe insgesamt.

Acht Quadtratmeter Hoffnung

Für die Cebit ist dieser enge Austausch mit den „cool Kids“ unabdingbar, will sie weiter ihren Ruf als Leitmesse für Digitalisierung in Europa verteidigen. Während die CES in Las Vegas und South by South West (SXSW) in Austin, Texas, zu Pilgerstätten für Nerds und Newcomer aus der ganzen Welt geworden sind, sodass mit Barack Obama vergangenen Freitag erstmals sogar ein US-Präsident die SXSW besuchte, droht die Cebit den Anschluss zu verlieren. Sie steht damit stellvertretend für die schleppende Digitalisierung in Deutschland.

„Die Zeit drängt“, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an, als sie am Dienstag die Messe besuchte, Angebote müssten schneller mit dem Internet verschmelzen, denn das Potenzial für mehr Effizienz sei groß. Wittenberg will einer dieser Tempomacher sein. Er hat das spezielle Start-up-Angebot der Messe gebucht: Für 1500 Euro gibt es einen Stand mit Aufsteller, Firmenlogo, Tisch und zwei Stühlen, ein bescheidender Auftritt im Vergleich zu großen Ausstellern wie Microsoft oder Samsung, acht Quadratmeter Hoffnung auf den großen Deal.

Künstliche Intelligenz für Geschäftszahlen

Das gesamte Inspirient-Team ist aus der Hauptstadt angereist, Wittenburg und zwei Kollegen, mehr Mitarbeiter hat das Unternehmen nicht, schließlich wurde es erst Anfang des Jahres gegründet. Wittenburg trägt einen schicken dunklen Anzug und polierte Schuhe, Menschen mit Kapuzenpullover und Turnschuhen sind in der Start-up-Halle dagegen kaum zu sehen – zumindest optisch haben sich die jungen Wilden dem traditionellen Dresscode angepasst.

Donnerstagnachmittag, eine Gruppe von 14 Besuchern macht an Wittenburgs Stand Halt, sie haben eine Tour gebucht, die sie zu Unternehmen führt, die auf Datenanalyse spezialisiert sind, gestartet wird beim Start-up. Wittenburg erklärt, wie Inspirient mithilfe von künstlicher Intelligenz die Analyse von Geschäftsdaten automatisiert, sodass auch Benutzer ohne technischen Hintergrund diese leicht nutzen können, seine Augen leuchten, auch an Tag vier der Messe keine Ermüdungserscheinung, keine Abgeklärtheit, wie sie an manchen Ständen der großen Aussteller teilweise zu spüren ist. Einige Besucher stellen Wittenburg Fragen zum Preis und zur Sicherheit der Daten, dann ziehen sie weiter. Kein großer Deal in Sicht. Doch kurz danach bleibt ein Mann stehen, er sucht im Auftrag eines größeren Unternehmens eine neue Lösung für die Aufbereitung der Geschäftszahlen und findet die Idee von Inspirient passend, er tauscht mit Wittenburg Visitenkarten aus, sie wollen nach der Cebit einen Termin ausmachen.

Die Deutsche Bahn auf Kuschelkurs

„Genau darum soll es in dieser Halle gehen“, erklärt Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Start-ups, der in Halle Elf ebenfalls mit einem Stand vertreten ist. „Hier ist der ideale Ort, um die Start-ups mit der etablierten Wirtschaft ins Gespräch zu bringen.“ Nicht nur an den Ständen der Aussteller, sondern auch auf den verschiedenen Bühnen, wo sich die jungen Unternehmen in kurzen Präsentationen vorstellen und über die neuen Trends diskutieren. Nöll versucht als Mittler zu fungieren, bringt potenzielle Investoren mit Start-ups in Kontakt. Für ihn repräsentiert die Start-up-Halle „die neue Cebit“, er hofft jedoch darauf, dass hier in den kommenden Jahren „noch mehr etablierte Wirtschaft“ stattfindet.

Die Deutsche Bahn ist bereits auf Kuschelkurs gegangen, erstmals ist der Konzern in diesem Jahr auf der Cebit mit einem eigenen Stand vertreten, ganz bewusst nicht dort, wo die „Großen“ ausstellen, sondern in der Start-up-Halle, erklärt Martin Kaloudis, der die Digitalisierung der Bahn vorantreiben soll: „Wir wollen uns auf Augenhöhe mit den Start-ups bewegen und in der Szene sichtbarer werden.“

Warum sind wir hier?

Zwischenhalt Zukunft. Bahn-Chef Rüdiger Grube lässt sich den 3D-Scanner erklären.

100 000 Euro habe der Konzern in den Messeauftritt investiert, an diesem Donnerstag lässt sich Bahn-Chef Rüdiger Grube von Kaloudis nun die neue Welt zeigen, unter anderem geht’s an den Stand des Berliner Start-ups Botspot, das mit seinem 3-D-Scanner Personen und Objekte in einer Millisekunde fotografieren kann – die alte Welt braucht allerdings einige Sekunden mehr, um den Nutzen dahinter zu verstehen: „Warum genau sind wir hier?“, fragt Grube, während er den rund zwei Meter hohen Scanner von innen begutachtet. Botspot-Geschäftsleiter René Strien versucht zu erklären, dass das Gerät flexibel im Aufbau sei und beispielsweise auch Züge scannen könne, bevor sie zur Kontrolle in die Werkstatt kommen. So könnten die Techniker schneller erkennen, wo möglicherweise eine Reparatur nötig sei. Das findet Grube wiederum interessant, Visitenkarten werden ausgetauscht. Bevor es zum nächsten Start-up geht, lässt sich Grube noch selbst scannen, als Andenken soll er von Botspot einen Mini-Grube aus Kunststoff bekommen. Strien ist zufrieden mit dem Treffen. „Die Cebit hat sich für uns auf alle Fälle gelohnt“, sagt er. Viele große Unternehmen seien hier auf Botspot aufmerksam geworden, auch mit einem Autohersteller sei nun ein konkretes Projekt in Planung. Für Inspirient hat sich die Messe ebenfalls gelohnt. „Wir haben unseren ersten Investor gefunden“, freut sich Wittenburg. Vielleicht ist das ja der Beginn einer großen Liebe.