Inhalte im Netz entwickeln immer mehr Komplexität. Web Annotations sollen bei Verständnis und Einordnung helfen. Foto: picture-alliance/Malte Christians

Folien für Klarsicht

Mit »Web Annotations« legen Nutzer Notizen auf Websites an. Das erleichtert die Wissensvermittlung. Die gleiche Idee soll aber auch Bauern und Forschern helfen.

Im Radio läuft „Lucy In The Sky With Diamonds“ von den Beatles. Schönes Lied, gut zum Mitsingen, aber die Textsicherheit fehlt. Also schnell das Handy gezückt und den Songtext gegoogelt. Beim Mitlesen der Zeilen fällt einem wieder einmal auf, dass man nicht alle Wörter kennt. Und worum geht es überhaupt in dem Lied? Ein kurzes Tippen auf die Liedzeilen und eine Seitenspalte taucht auf, die genau diese Fragen beantwortet. Diese Anmerkungen-Spalten für Websites, genannt Web Annotations, könnten in den kommenden ein bis zwei Jahren das nächste große Ding im Internet werden.

Die Idee dahinter ist simpel: Jeder Nutzer kann auf jeder Website im Netz Notizen anlegen. Das kann man sich wie eine Folie vorstellen, die man über die jeweilige Seite legt. Je nach Einstellung sind diese Anmerkungen für jeden oder nur für eine geschlossene Gruppe sichtbar. Die Technologie ist bereits nutzbar, man muss sich lediglich ein kleines, kostenloses Plug-in für den eigenen Browser installieren. Der Einsatz eines derartigen Software-Moduls ist vielfältig und bietet völlig neue Möglichkeiten der Kommunikation und Wissensvermittlung. Anbieter für die Software sind beispielsweise Hypothes.is, Pundit oder Genius. Um die Entwicklung eines technischen Standards voranzutreiben gibt es seit 2012 die Konferenz I Annotate. Die ersten drei Jahre fand die Zusammenkunft noch in den USA, in San Francisco, statt und kürzlich nun in Berlin. 150 Teilnehmer diskutierten an zwei Tagen über die technischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Anmerkungen-Software und tauschten sich über Ideen, Erfahrungen und mögliche Weiterentwicklungen aus.

Ein Gehirn für die Welt

Auch Oliver Sauter nahm an der Konferenz teil. Der 27-Jährige hat Anfang des Jahres das Startup Worldbrain gegründet. Sein Ziel ist es, einen Fakten-Check für Informationen im Internet anzubieten. Dazu setzt Sauter auf die Web-Annotations-Technologie. Durch die Schwarmintelligenz von Journalisten und Wissenschaftlern einerseits und Alltagsnutzern andererseits sollen immer wieder auftauchende Aussagen identifiziert, paraphrasiert und bewertet werden. Geld will das Unternehmen über kostenpflichtige Zusatzfunktionen ihrer Produkte, spezielle Suchmaschinen oder auch Expertennetzwerke verdienen.

Für Boris Anthony kann der Standard für Web Annotations nicht schnell genug kommen. Er will die Software für die von ihm mitgegründete Plattform Rebus nutzen, die Lehr- und Fachliteratur im Internet frei verfügbar machen soll. Finanziert werden soll Rebus sowohl durch soziale Investoren als auch durch spezielle Produktentwicklungen für Dritte, ähnlich wie Sauter bei Worldbrain. Anthony sieht eine flächendeckende Nutzung von Web Annotations jedoch noch skeptisch. „Die Bedürfnisse und Funktionen sind noch nicht auf den Massenmarkt ausgerichtet“, sagt Anthony.

Annotierte Feldarbeit

Christoph Peylo und Ernst-Joachim Steffens von den Telekom Innovation Laboratories nähern sich dem Thema von einer ganz anderen Seite. Für sie sind Web Annotations ein Teil der Industrie 4.0, integriert in die Smart-Service-Welt, und können etwa in der Landwirtschaft eingesetzt werden, wo sie zur datenbasierten Optimierung der Wertschöpfungskette beitragen. Maschinen, Anlagen und Fabriken werden dabei mit wenig Aufwand nach dem Prinzip über digitale Plattformen an das Internet angeschlossen. Dort verfügen sie über ein virtuelles Abbild. „Die Integration über Plattformen ermöglicht einen ortsunabhängigen Zugang zur Felddatenebene, also den Betriebsdaten der Produkte“, sagt Peylo in seinem Vortrag auf der Konferenz. I-Annotate-Organisator Dan Whaley schätzt, dass die Standardisierung noch dieses Jahr fertig wird. Dann folge die Implementierung in die großen Browser wie Firefox und Chrome, sodass die Technologie standardmäßig, ohne Extra-Installation, verfügbar ist.