»Wir müssen mehr testen.« Cassie Kozyrkov diskutiert beim Tech Open Air in Berlin über die Zukunft von Künstlicher Intelligenz.

Googles neue Botschafterin für Künstliche Intelligenz

Cassie Kozyrkov beriet früher Unternehmen beim Einsatz von Cloud und Künstlicher Intelligenz. Doch dann stieß sie auf ein Problem.

Wer den Namen McCarthy hört, denkt normalerweise an den amerikanischen Senator Joseph McCarthy. Er behauptete im Kalten Krieg, die Kommunisten würden die US-Regierung heimlich unterwandern. Sein Name gilt heute als Metapher für falsche Anschuldigungen. Zur gleichen Zeit gab es aber noch einen anderen McCarthy, der für die heutige Zeit vielleicht weit wichtiger ist. Der war erst Kommunist und dann Republikaner, trug den Vornamen John und prägte auf einer Konferenz 1956 den Begriff Künstliche Intelligenz. Die Begeisterung war groß. Vor allem bei McCarthy selbst. Er war energischer Optimist.

Diese Eigenschaft teilt Cassie Kozyrkov mit ihm. Am Donnerstag sprach die Statistikerin und Neurowissenschaftlerin beim Berliner Tech Open Air über Künstliche Intelligenz (KI). Sie arbeitet für Google Cloud und nennt KI lieber Maschinelles Lernen, wie die meisten Forscher in dem Feld. Ungewöhnlich an Kozyrkov ist, dass sie es mit Vergleichen wie Kochrezepten schafft, zu erklären, wie solche Verfahren funktionieren. Zum Beispiel erklärt sie, dass ein Algorithmus letztlich auch nichts anderes ist als ein Kochrezept: eine Anleitung, wie man mithilfe von Regeln aus Zutaten ein Ergebnis erzeugt.

Die intelligente Schnittstelle

Die Fähigkeit hat ihr in den letzten Jahren eine steile Karriere im Google-Konzern verschafft. Bis heute hat sie 15 000 Angestellte in Statistik und KI fortgebildet und war eine der Schlüsselfiguren beim Aufbau von Unternehmensstrukturen, die es erlauben, die verschiedenen Schritte in KI-Projekten zu planen. Doch Kozyrkov hat ein Problem. Und wechselt deshalb jetzt innerhalb des Unternehmes den Posten. Doch dazu später.

Bis vor Kurzem hat Kozyrkov Firmen dabei beraten, wie sie mit Google- Cloud-Anwendungen und Maschinellem Lernen neue Geschäftszweige aufbauen können. Natürlich immer mit der Möglichkeit, dass die Firmen die Lösungen dann von Google kaufen. Gleichzeitig hat sie von den Unternehmensleitern versucht, herauszuhören, was deren wichtigste Bedürfnisse für die Zukunft sind. Damit Google auch in einigen Jahren die Lösungen fertiggestellt hat, die Firmen dann brauchen. Mit wem sie da so gesprochen hat, darf sie nicht sagen.

Computerleistung als Abo

Öffentlich ist: Bislang setzen hierzulande unter anderem die Unternehmen Conrad Electronics und die Metro AG auf Lösungen von Google Cloud. Die Metro beispielsweise, um einen eigenen „Data Lake“ aufzubauen, in dem Verkaufsdaten gespeichert und ausgewertet werden. Wer genau weiß, was, wann, wo und von wem gekauft wird, kann Lagerhaltung und Preise gewinnmaximierend kalkulieren. Und der schwedische Streaming-Anbieter Spotify erstellt mit den Google-Cloud-Diensten automatische Kataloge seiner Musik.

Weil solche Cloud-Anwendungen den Unternehmen erlauben, immer so viel Speicherplatz und Rechenleistung zu nutzen, wie sie brauchen, und sie dafür keine eigenen teuren Rechenzentren mehr betreiben müssen, brummt das Geschäft: 2017 überschritt der Umsatz von Google Cloud eine Milliarde Dollar pro Quartal. Während das immernoch wenig ist im Vergleich zu den 31,1 Milliarden Dollar, die Google im ersten Quartal 2018 vor allem durch Werbung umsetzte, ist es nach Unternehmensangaben der Geschäftsbereich, der am stärksten wächst.

Michael Korbacher, der Google-Cloud-Chef für die DACH-Region, sagt: „Wir werden unser Engagement für den Ausbau der besten Public Cloud für alle Unternehmenskunden fortstezen – dazu gehört auch die stetige Weiterentwicklung in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Machine Learning. Hier sind wir weltweit führend mit unserer Technologie.“

»Die Leute halten oft Wasser für heiliges Wasser«

Womit wir wieder bei Kozyrkov und McCarthy wären. Denn während die Nachfrage nach solchen Abo-Modellen für Computerleistung schon von McCarthy vorhergesagt wurde, betonte dieser auch, dass es viel zu wenig Kenntnisse in der Bevölkerung gibt, um künstliche Intelligenz zu verstehen. Und Kozyrkov sagt: „Ich glaube, dass in Zukunft ein Basisverständnis von Maschinellem Lernen absolut notwenig ist“. Sonst würden immer alle für heiliges Wasser halten, was einfach nur Wasser ist.

Weil das bislang auch in vielen Unternehmen so ist, gäbe es weder genug Führungskräfte in dem Bereich, noch Strukturen, wie man solche KI-Verfahren verantwortungsvoll plant und testet. Kozyrkov glaubt zwar, dass KI extrem viele neue Möglichkeiten eröffnet, sagt aber auch: „Es gibt dadurch eine Menge Dummheit, die sich plötzlich vervielfältigen kann“. Für sie ist das Testen solcher Systeme deswegen durchaus eine ethische Frage.

Gerade deshalb ist es auch gefährlich, davon zu reden, dass solche Systeme ohne Menschen funktionieren, sagt Kozyrkov: „Die Trainingsdaten kommen von Menschen und es sind Menschen, die solche Systeme nutzen“. Das zu ignorieren, führe häufig zu völligen Fehleinschätzungen. Vor allem würden dadurch viele denken, dass KI Dinge kann, die sie noch auf lange Sicht nicht können wird. Was zwar den Hype um KI anheizt, aber zwangsläufig zu Enttäuschungen führt.

Cassie Kozyrkov wird deshalb jetzt eine Art Botschafterin für Google. Sie entwickelt Video-Vorlesungen, Blogs und interaktive Geschichten, die erklären, was Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen eigentlich sind. Denn die technischen Möglichkeiten, sagt sie, überschreiten schon jetzt bei Weitem das menschliche Wissen, wie man sie nutzen kann.