Über eine Meerenge ist Hongkong mit dem Perlfluss verbunden. 200 Millionen Euro investiert die Regierung, um Start-up-Gründer anzuwerben. Foto: imago

Die Hongkong-Connection

Hongkong will zur Gründer-Stadt werden und lockt daher junge Berliner Firmen an. Warum manche dem Ruf folgen.

Anfangs war Julian Vogels skeptisch. Hongkong ist weit weg und hat noch dazu eine ganz andere Kultur. Dorthin umzusiedeln, um ein Start-up aufzuziehen? Das klingt riskant. Doch im Nachhinein war das für Vogels und die anderen Gründer von Soundbrenner das Beste, was ihnen passieren konnte. Heute hat das Start-up, das ein neuartiges Metronom für Musiker entwickelt hat, gleich zwei Standorte: Einen in Berlin, einen in Hongkong. Und die Gründer sind sehr froh darüber.

Noch denken die wenigsten beim Stichwort Hongkong an eine boomende Startup-Gemeinde. Tatsächlich spielt die Sonderwirtschaftszone bislang noch eine eher untergeordnete Rolle in der Gründerszene. Die dort angesiedelten Startups kommen Schätzungen zufolge auf den vergleichsweise niedrigen Wert von 2,8 bis 3,5 Milliarden Dollar – in Singapur zum Beispiel sind die Startups zusammen viermal so viel wert. Doch auch wenn Hongkong von einem niedrigen Niveau kommt, wächst die Gründerszene schnell. Charles Ng von der staatlichen Wirtschaftsförderung Invest Hongkong macht das zum Beispiel an der Zahl der Coworking-Spaces fest: Büros, in denen Gründer günstig Schreibtische oder Räume mieten können. “Vor vier Jahren gab es in Hongkong gerade einmal vier Coworking-Spaces, heute sind es bereits 55”, sagt Ng.

Wandel nach Plan

Dieser Wandel ist staatlich gewollt. Während sich in anderen Städten wie Berlin die Gründerszene mehr oder weniger von selbst entwickelt hat, ist die Ansiedlung von Startups in Hongkong eine Anordnung von oben. Erst Anfang des Jahres hat die Regierung einen neuen Innovationsfonds mit zwei Milliarden Hongkong-Dollar ausgestattet, umgerechnet gut 200 Millionen Euro, um Gründer zu fördern. Regierungschef Leung Chunying hofft auf einen Nachahmereffekt. Die staatliche Förderung soll mehr private Risikokapitalgeber dazu animieren, ebenfalls in Hongkonger Startups zu investieren. Auf diese Weise will die Regierung das Henne-Ei-Problem lösen: Investoren kommen nur in eine Stadt, wenn es dort viele Gründer gibt – Gründer kommen aber nur, wenn auch Investoren vor Ort sind. Wachsen soll die Startup-Szene nicht nur durch Gründer aus Asien, sondern aus der ganzen Welt: vor allem aus Städten wie Berlin.

Deshalb ist Wirtschaftsförderer Ng inzwischen regelmäßig in der deutschen Hauptstadt unterwegs. Es gehe ihm nicht darum, Berlin die Startups streitig zu machen. Im Idealfall behielten die Gründer einen Standort in Deutschland, würden aber einen zweiten in Hongkong aufmachen. “Dadurch haben sie dann ein Standbein in Europa, eins in Asien”, sagt Ng. “Das ist die beste Voraussetzung für Gründer, um global zu wachsen.

Den Takt fühlen

Anlocken will Hongkong vor allem Startups, die an neuer Hardware arbeiten. Die also nicht nur eine App oder ein Onlineportal entwickeln, sondern ein neues Gerät auf den Markt bringen wollen. Das Berliner Start-up Soundbrenner passt daher ins Beuteschema der Hongkonger. Die Gründer haben ein Metronom für Musiker entwickelt, das man wie eine Uhr trägt und das den Takt per Vibration vorgibt. Damit wollen die Gründer ein Problem vieler Musiker lösen. Um im Takt zu bleiben, sind sie aufs Metronom angewiesen – doch bei den meisten Geräten wird das Tempo über Klackgeräusche vorgegeben, die viele als nervig empfinden. Mit dem Gerät der Berliner Gründer können die Musiker den Takt dagegen erfühlen.

Dass die junge Firma heute halb in Berlin, halb in Hongkong sitzt, ist mehr oder weniger Zufall. Vor zwei Jahren präsentierten sie ihre Idee beim Tech Open Air, einer Startup-Veranstaltung in Berlin, und gewannen den Publikumspreis. Dadurch wurde Manav Gupta auf sie aufmerksam, ein Investor, der zu dem Zeitpunkt in Hongkong gerade einen privaten Accelerator für Startups aufbaute.

Ein Wunderland für Hardware-Tüftler

Gupta erzählte den Gründern wie leicht es in Hongkong sei, einen Prototyp zu entwickeln. Genau das stand bei den Berlinern als Nächstes an. Doch längst nicht alle im Team waren davon begeistert, kurzerhand nach Hongkong umzusiedeln und sei es auch erst mal nur vorübergehend. Fünf der ursprünglich sieben Gründer wollten in Berlin bleiben und ließen sich ausbezahlen. Julian Vogels und Florian Simmendinger dagegen zogen in die Sieben-Millionen-Metropole um. Vogels, der bei Soundbrenner für die technische Entwicklung verantwortlich ist, hatte sich in Deutschland die Komponenten für den Prototyp mühselig zusammensuchen müssen. Die diversen Motoren, die er testen wollte, weil sie fürs Produkt so wichtig waren, konnte er nur teuer im Internet bestellen – maximal 30 bekam er so zusammen. Auf den großen Elektronikmärkten in Shenzhen fand er dagegen auf Anhieb gut 200 Motoren.

“Elektronische Teile, die Sie in Shenzen nicht finden, finden Sie nirgendwo”, sagt Wirtschaftsförderer Ng. Mit der Nähe zu Shenzhen will Hongkong bei Hardware-Startups punkten. Die chinesische Provinz, die im Süden an Hongkong grenzt, ist schließlich bekannt für ihre Elektronikfabriken und -märkte. “Für Elektronikbegeisterte ist das ein Wunderland”, sagt Vogels.

Software ist in Berlin leichter zu entwickeln

Doch so toll das klingt: Ganz einfach war der Start in Hongkong für sie trotzdem nicht. In dem Designstudio, das den Prototyp bauen sollte, sprachen gerade einmal zwei Mitarbeiter Englisch. Auch mit seinen detaillierten Listen, die Vogels in deutscher Manier erstellt hatte, kam er in Shenzhen nicht weit. Schnell lernte er, dass er nur einen Wunsch auf einmal äußern durfte, was ─nderungen anging. Dafür war der Prototyp nach zwei Monaten fertig. Auch eine Fabrik, die das Produkt in Serie fertigen würde, fanden sie schnell.

Trotz dieses Erfolgs ist die junge Firma nicht endgültig nach Hongkong ausgewandert. Während Florian Simmendinger als Vorstand dort geblieben ist, zog Julian Vogels nach einem Jahr zurück nach Berlin – und zwar nicht nur aus privaten Gründen. Fast noch wichtiger als die Hardware ist für die Firma die Software. Denn gesteuert wird das tragbare Metronom über eine App auf dem Smartphone. “Die lässt sich leichter und günstiger in Berlin entwickeln”, sagt Vogels. Anders als in der deutschen Hauptstadt ist es in Hongkong schwer Entwickler zu finden. Dazu kommt auch noch die Angst vor Nachahmern. Wenn die Hardware – also das Armband mit der Vibrationstechnik – von Chinesen kopiert würde, wäre das eine Sache. Würden sie jedoch auch die Software nachahmen, wäre das Alleinstellungsmerkmal der noch jungen Firma dahin. In Berlin lässt sich die Software dagegen sehr viel besser schützen. Die wichtigsten Daten hat Soundbrenner auf europäischen Servern gespeichert.