Republica 2017: Liebe in Zeiten der Filterblase
Wenn wir ein anderes Internet wollen, dann müssen wir uns ganz praktisch darum kümmern, dass es anders wird. Während die Republica in ihren Anfangsjahren euphorisch von der grenzenlosen Freiheit des Netzes sprach und in den letzten Jahren melancholisch feststellen musste, dass die Netzgesellschaft eben genauso fies, autoritär und undemokratisch sein kann, wie die Offline-Gesellschaft, wird dieses Jahr endlich stärker nach Lösungen gesucht. Um dabei doch noch Zukunftseuphorie zu retten, gab man sich ein schon fast kitschig-utopisches Motto: „Love out Loud!“ als Zeichen gegen Hate-Speech und Populismus.
Automatisierte Öffentlichkeit
Womit wir schon beim meistdiskutierten Problem wären, das der Rechtsprofessor Frank Pasquale von der University of Maryland auf den Punkt brachte. In seinem Vortrag über „die automatisierte Öffentlichkeit“ beschrieb er, wie Google zu Hass beiträgt, wenn beispielsweise die Autovervollständigung bei der Suche nach „Warum sind schwarzen Frauen…“ erst einmal rassistische Vorschläge macht. So wird einem vorgeschlagen: „Warum sind schwarze Frauen so gemein?“ Oder die Leugnung des Holocausts. Da liefern viele englische Suchen nach Hitler erst einmal geschichtsrevisionistische Ergebnisse. Seiten, die den Holocaust leugnen oder die Nazis glorifizieren. Zusammengefasst: Weil viele Menschen rassistische Fragen an das Netz stellen, wird das Netz in Teilen selbst rassistisch.
„Deregulierung im Netz ist deshalb ein Irrglaube“, sagte Pasquale. Denn dadurch würden Plattformen wie Facebook und Google de facto zu den neuen Regulierern der öffentlichen Sphäre. Es brauche hier stattdessen klare rechtsstaatliche Regeln für diese Plattformen. Oder, wie es später re:publica-Gründer Markus Beckedahl sagte: „Wir können nicht Facebook in die Rolle von Richtern setzen.“ Die Durchsetzung von Recht sei die Aufgabe von Gerichten. Hier brauche es vor allem mehr gut ausgebildetes Personal, um vorhandene Rechte im Netz durchzusetzen.
Eine Netzreform
Um demokratiefeindliche Auswahlmechanismen der Plattformen abzufedern, müsste es für sie beispielsweise eine Dokumentationspflicht geben, schlug Pasquale vor. Die Auswahlmechanismen und genutzten Daten der Plattformen könnten von den Unternehmen so dokumentiert werden, dass Gerichte in Verfahren gegen diese Plattformen darauf zugreifen könnten. Es sei an der Zeit, mit der demokratischen Reformierung des Netzes zu beginnen.
Pasquale nannte dafür noch ein anderes Beispiel: Wenn die Gefahr von Filterblasen vor allem darin besteht, dass man nur noch in seiner eigenen Meinung bestätigt wird, wäre es dann nicht genauso möglich, den Nutzern von Facebook immer auch die Gegenmeinung in ihrer Timeline anzuzeigen? Statt nur die Meinung seiner Freunde auf Facebook zu sehen, müsste man sich dann auch mit den Meinungen der Leute auseinandersetzen, die laut dem Algorithmus von Facebook besonders weit politisch von einem entfernt sind.
»Die Logik des Shoppings lässt sich auf politische Diskurse nicht anwenden«
Dafür, dass es nicht reicht, auf technische Lösungen zu warten, um den Diskurs im Netz zu reparieren, argumentierte Carolin Emcke in einem aktivistischen Vortrag. „Es ist eine selbstzugeschriebene Entmachtung, wenn man selbst seine Filterblase als Grund nimmt, die anderen nicht mehr zu erreichen”, sagte sie. Es sei fatal, wenn hier Effizienzerwägungen bestimmten, ob sich politische Auseinandersetzung lohnt. „Die Logik des Shoppings lässt sich auf politische Diskurse nicht anwenden“, sagte Emcke und wies die Anwesenden darauf hin, dass Meinungsmehrheiten schon immer mühsam erkämpft werden mussten. Es brauche den Mut, auch mal Umwege zu gehen, „auch mal zu Flüstern und zu Murmeln“, um für eine vernetzte Gesellschaft einzutreten, die nicht von Populisten und Hass dominiert ist.
Damit nicht die Regeln der Plattformen solchen Einsatz verhindern, forderte Frank Pasquale genauso wie Markus Beckedahl vor allem mehr Medienbildung. „Viele haben gedacht, wenn Leute alle Smartphones haben, dann fällt auch die Digitalkompetenz irgendwie vom Himmel“, kritisierte Beckedahl. Weil genau das aber nicht der Fall sei, müsse der Staat mehr Geld dafür ausgeben, seine Bürger in die Lage zu versetzen, digitale Mechanismen besser einordnen zu können. Vielleicht können dann ja auch mehr Leute dazu beitragen, dass am Ende doch die Liebe gewinnt. Das zumindest wünschen sich dieses Jahr die Organisatoren der re:publica.