»Wir müssen uns verteidigen«
Selten konnte man so viele Chefs von Großkonzernen auf einer Startup-Konferenz erleben. Von Lufthansa-Boss Carsten Spohr über Metro-Chef Olaf Koch bis hin zum neuen Bahn-CEO Richard Lutz gaben sich auf der Noah-Konferenz in Berlin am Donnerstag und Freitag reihenweise Konzernlenker das Mikro in die Hand. Auch die Chefs von Tui, der Deutschen Börse, Innogy, Karstadt oder ProSiebenSat.1 waren gekommen. Dazu sprachen die Technikchefs und Digitalverantwortlichen von Thyssen-Krupp, Siemens, Porsche oder der Deutschen Bank. Die Industrie hat offenbar erkannt, dass sie in Sachen Digitalisierung etwas tun muss.
Konzerne pumpen hohe Summen in Startups
Gerhard Cromme, Siemens-Aufsichtsratschef und lange mächtiger Strippenzieher der deutschen Wirtschaft, warnte eindringlich, es bestünde die Gefahr für die europäische Industrie, als Zulieferer zu enden. „Wir haben Risiken unterschätzt und waren nicht in der Lage, Gefahren zu sehen”, räumte auch Bahn- Chef Lutz ein. Obwohl der Konzern beispielsweise ein Pionier in Sachen Onlinetickets war, die es schon seit 1999 gibt, sei man noch am Anfang der Digitalisierung. Den Herausforderungen in Verkehr und Logistik durch neue Wettbewerber will die Bahn durch Kooperationen mit Startups im Accelerator-Programm Beyond1435 begegnen. Zudem hat der Konzern mit DB Digital Ventures Ende vergangenen Jahres einen eigenen Investitionsfonds gestartet. 100 Millionen Euro stehen in den kommenden zwei Jahren zur Verfügung.
Siemens will mit seiner neuen Startup-Einheit „next47” in den kommenden fünf Jahren sogar eine Milliarde Euro investieren. Und auch Karstadt will die Krise der vergangenen Jahre durch Investitionen ins Onlinegeschäft hinter sich lassen. „Wir haben in den letzten 15 Monaten sieben Unternehmen übernommen”, sagte Karstadt-Chef Stephan Fanderl. Gerade erst vor einer Woche kam der Marktplatz hood.de dazu.
Das digitale Handelsdefizit
Wie dringend massive Investitionen im Digitalgeschäft nötig sind, machte Klaus Hommels in seinem Vortrag klar. Der Gründer des Schweizer Wagniskapitalfonds Lakestar gehört zu den renommiertesten Geldgebern in Europa und hat beispielsweise schon in Skype, Facebook oder Spotify investiert.
Gerade die auch von Donald Trump so gern kritisierten Ungleichgewichte im Außenhandel seien enorm trügerisch. Denn durch die alten Industrien hat Europa zwar einen Handelsüberschuss von 66 Milliarden Dollar gegenüber den USA. „Doch wir dürfen uns auf den Handelsüberschuss nicht verlassen”, warnt Hommels. Denn dem stünde ein noch größeres digitales Handelsdefizit von 68 Milliarden Dollar gegenüber. Allein in Deutschland liege das Minus im digitalen Handel bei 26 Milliarden Dollar.
»Kapital ist eine geopolitische Waffe«
„Kapital ist eine geopolitische Waffe”, sagte Hommels. Denn die wirtschaftspolitischen Gewichte verschieben sich enorm. So stammen von den 20 größten digitalen Plattformen nicht einmal zwei Prozent des investierten Kapitals aus Europa. Und das hat auch Folgen für die Einflussmöglichkeiten auf die Unternehmen: Der europäische Anteil an den Sitzen im Aufsichtsrat beträgt sogar nur 1,44 Prozent.
„Wir müssen uns verteidigen”, sagt Hommels. Europa müsse mit einer Stimme sprechen und Regulierungen überdenken, die dafür sorgten, dass es wie im Telekommunikationsbereich viele kleine nationale Player gebe statt mehrerer großer mit globalem Gewicht. Es drohe eine negative Spirale, denn sowohl bei Wagniskapital als auch bei Forschungsausgaben hinkt Europa weiterhin enorm hinter den USA hinterher. Während fast zwei Drittel der Forschungsausgaben im Softwarebereich aus den Vereinigten Staaten kommen, sind es in Europa nur zwölf Prozent.
Startups aus München sind oft weiter als die aus Berlin
„Das Startup-Ökosystem in Europa ist noch sehr fragil”, sagt auch Yann de Vries, Partner des Risikokapitalfonds Atomico, der unter anderem von Skype- Gründer Niklas Zennström ins Leben gerufen wurde. Grundsätzlich ist Vries aber optimistisch, es gab noch nie so viele gute Gründer in Europa. Bei der Suche nach interessanten Startups sind die Atomico-Investoren dabei viel mehr unterwegs. „Das Startup-System in Europa hat sich verbreitert und konzentriert sich nicht mehr nur in Städten wie London oder Berlin”, sagt Vries. So entstünden vielversprechende Unternehmen öfter auch in Spanien, Portugal und anderen Ländern. Das gelte auch für Deutschland. „Wir gucken viel über Berlin hinaus”, sagt Vries. So seien oft gerade im Bereich Internet der Dinge und bei anderen neuen Technologien Startups aus München weiter. Ähnlich sei es bei Hardware. So hat Atomico beispielsweise in das Münchner Startup Lilium Aviation investiert, das ein senkrecht startendes Elektroflugzeug entwickelt.
Und auch im europäischen Vergleich muss Berlin aufpassen. So habe Paris die deutsche Hauptstadt bei der Verfügbarkeit von Kapital inzwischen überholt. Und auch bei Fachkräften sind andere Standorte besser aufgestellt. Mit 52.000 Entwicklern liegt Berlin deutlich hinter Paris, in London leben sogar 181.000 Programmierer.