Stolzer Barbesitzer. Carlos Rahlwes betreibt die E-Sports-Bar Interface in Moabit. Foto: Georg Moritz

Als die Gamer den Keller verließen

Das Image einsamer Computerspieler ist überholt. In Berlin gibt es erste E-Sports-Bars. Dort werden epische Häuserkämpfe und Schlachten in Fantasiewelten übertragen. Die Szene fordert die Anerkennung als Sportart.

An der Wand der Interface Bar hängen Grafikkarten und Motherboards, wie anderswo Fußballschals und Trikots. Hinter dem Tresen übertragen zwei große Bildschirme ein Computerspiel in den abgedunkelten Raum in Moabit, in dem an diesem Abend vor allem junge Männer sitzen. Immer wieder wechselt das Bild zwischen verschiedenen Spielern, die mit Waffen durch Gebäudekomplexe laufen und versuchen, einander zu erschießen. Das Spiel heißt Counterstrike Global Offensive, die zwei gegeneinander kämpfenden Teams Natus Vincere und Virtus Pro. Kommentatoren ordnen das Spiel ein, erklären Taktiken, weisen auf Fehler hin, am Bildschirmrand wird ein Spielstand angezeigt. Es geht um viel an diesem Abend, der Wettkampf findet im Rahmen der Intel Extreme Masters im polnischen Kattowitz statt, der Weltmeisterschaft des E-Sports.

Noch vor einigen Jahren galten Computerspiele als einsame Freizeitbeschäftigung junger Männer, als Flucht aus der Realität. Computerspiele wie Counterstrike wurden in den Medien als „Ballerspiele“ abgetan, und jedes Mal, wenn irgendwo jemand Amok lief, eskalierte die Diskussion über ihr Verbot. Inzwischen haben es Multiplayerspiele aus den Jugendzimmern dieser Welt auf die große Bühne geschafft. Die Wettkämpfe in Spielen mit Titeln wie League of Legends, Counterstrike und Starcraft heißen jetzt E-Sport, Sky und Sport1 übertragen die Turniere im deutschen Fernsehen. Es geht um hohe Preisgelder, bei manchen Turnieren in zweistelliger Millionenhöhe. Manche Wettkämpfe werden vor mehr als 100.000 Zuschauern in großen Hallen abgehalten, Millionen sehen über das Internet zu, zu Hause oder in Bars wie dem Interface in Berlin.

Außerirdische Armeen und ganz normale Fans

Die Idee, eine Sportsbar für Computerspiele aufzumachen, kam Carlos Rahlwes, dem Besitzer der Interface Bar, vor sechs Jahren – beim Computerspielen. Währenddessen unterhielt er sich per Headset mit einem Freund darüber, da studierte er noch Lehramt an der Freien Universität. Reine E-Sports-Bars gab es damals in Berlin nicht, erzählt der heute 31-Jährige. Ein Ereignis waren die Wettkämpfe aber damals schon. Um gemeinsam Wettkämpfe im Strategiespiel Starcraft zu verfolgen, bei dem außerirdische Armeen gegeneinander antreten, trafen sich Fans in normalen Sportsbars, die sie für den Abend mieteten.

Rahlwes organisierte eine Weile solche Veranstaltungen, bis er vor vier Jahren die Interface Bar in Moabit eröffnete. Einmal in der Woche lädt er dort auch zu internen Turnieren ein. Rahlwes steht meist selbst hinter der Bar, mit Locken und Kapuzenpulli. Es läuft gut.

E-Sport wächst stärker als Fußball

Dass E-Sport ein wachsender Markt ist, hat die Computerspielebranche selbst längst bemerkt. Die Umsätze aus Ticketverkäufen, Merchandise, Sponsoring und dem Verkauf von Premiumangeboten wie Abos für Streamingdienste lagen 2016 bei 50 Millionen Euro, eine Studie in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) geht davon aus, dass sie sich bis 2020 mehr als verdoppeln werden, das wären mehr als 27 Prozent pro Jahr. Zum Vergleich: Fußball, Handball und Basketball wachsen pro Jahr je um zwischen fünf und zehn Prozent. Im vergangenen Jahr gründete deshalb der BIU, der in Deutschland die Computerspielebranche vertritt, eine eigene Abteilung für E-Sport.

Felix Falk, der Geschäftsführer des Verbands verfolgt den Erfolg des E-Sports schon seit mehreren Jahren. Er ist, als Chef des Verbands, selbstverständlich begeistert. Als 2015 das „League of Legends“-Finale in der Mercedes-Benz-Arena abgehalten wurde, seien die Karten schneller weg gewesen als beim Konzert der britischen Sängerin Adele in der Arena. Im Internet hätten den Wettkampf teilweise 14 Millionen Fans gleichzeitig verfolgt. Zum Vergleich: Den Sprung des Basejumpers Felix Baumgartner aus dem All schauten sich bei YouTube rund 11 Millionen Menschen an.

»Wenn Motorsport und Schach als Sport anerkannt sind, warum dann nicht E-Sport?«

Ideal, sagt Falk, laufe es für den E-Sport in Deutschland trotzdem noch nicht. Denn obwohl die Computerspielwettkämpfe das Wort „Sport“ im Namen tragen und Sportvereine wie Schalke 04 und der VfL Wolfsburg eigene E-Sport-Abteilungen unterhalten, ist E-Sport in Deutschland, anders als zum Beispiel in den USA, offiziell kein Sport.

„Die fehlende Anerkennung als Sport behindert die weitere Entwicklung des E-Sports in Deutschland, unter anderem wird so die Gründung von Vereinen erschwert“, sagt Falk. Auf staatliche Leistungen im Rahmen der Sportfördergesetze müssen die Computerspieler also derzeit verzichten. Als Grund für die Nichtanerkennung wird von denen, die sich weigern, immer wieder die fehlende körperliche Anstrengung beim E-Sport angeführt. Dabei, sagt Falk, ließen sich bei E-Sportlern während des Wettkampfs ähnliche Werte messen wie bei körperlichen Sportarten – der Puls gehe hoch, der Kortisolspiegel sei mit dem von Rennfahrern vergleichbar. „Wenn Motorsport und Schach als Sport anerkannt sind, ist für mich nicht nachvollziehbar, warum eine Anerkennung von E-Sport nicht möglich sein sollte.“

Meltdown am Hermannplatz

45 Mitglieder, eine Leidenschaft. Philip Brülke, Vorstandsvorsitzende des 1. BeSC. Foto: Thilo Rückeis

Die Tatsache, dass E-Sport kein Sport ist, heißt allerdings nicht, dass es nicht wie einer betrieben werden kann, auch im Kleinen. In Berlin wurde vor Kurzem der erste E-Sportverein gegründet, der 1. Berliner eSport-Club – vorerst als normaler gemeinnütziger Verein. Philip Brülke ist der Vorstandsvorsitzende des 1. BeSC. 45 Mitglieder hätten sie bereits, erzählt er im Meltdown, einer anderen E-Sports-Bar am Hermannplatz. Jeden Sonntag trainieren die aktiven Spieler des Vereins vier Stunden dort, spielen League of Legends, bei dem zwei Teams von fünf Spielern Fantasy-Kreaturen zum Kampf gegeneinander antreten lassen. Trainer schauen den Spielern während der Trainingsrunden zu, geben taktische Tipps: welche Angewohnheiten hat der Gegner, welche Rüstung wäre gerade die beste? Nach jeder Runde schauen sich dann alle im Training die Aufzeichnung des Spiels an, analysieren gemeinsam was gut und was schlecht lief. Auch er setzt sich dafür ein, dass E-Sport Sport wird. „Es wäre zeitgemäß“, sagt er. Vor Kurzem war er in Amerika bei einem Turnier. Die Achtelfinale wurden live in einem großen Theatersaal gespielt, die Sponsoren waren Nintendo und der Grafikkartenhersteller NVIDIA.

Zurück in der Interface Bar hat Natus Vincere das Spiel gegen Virtus Pro mit 16:9 gewonnen. Damit sind sie einen Schritt näher am Preisgeld von 250.000 Dollar. Hinten in der Bar spielen ein paar Gäste Mario Cart, Carlos Rahlwes schaltet den Live Stream aus. Wie Brülke und Falk sieht er Luft nach oben, was den Erfolg „seiner“ Sportart betrifft: „Darüber, dass E-Sport richtig angekommen ist, reden wir noch mal, wenn in den Sportteilen von Zeitungen neben Fußball über E-Sport berichtet wird“, sagt er und lacht.