Das Geheimnis des rechtsradikalen Reservemajors
Manche Geschichten sind so irre, man muss sie chronologisch erzählen, um das Ausmaß an Irrsinn zu vermitteln. Vor sechs Wochen schrieb ich einen Text über Rechtsradikale in der Bundeswehr. Daraufhin erhielt ich den Hinweis einer Leserin. Sie war auf Facebook auf einen 55-jährigen Soldaten namens Rainer R. gestoßen, der dort seit Jahren Fotos von sich in Uniform präsentiert, aber auch sein Gedankengut: Er ruft zu Gewalt gegen Politiker auf, etwa dazu, Angela Merkel zu erschießen. Er glaubt, die Kanzlerin wolle Deutschland zerstören, da sie Jüdin sei. Er postet Bilder mit Hakenkreuzen und rühmt die Wehrmacht. Dunkelhäutige nennt er „Fehlplanung der Natur“, er schlägt vor, sie zu vergiften. Zwischen all diese Hetze lädt er Selfies aus dem Bundeswehr-Alltag hoch. Rainer R. ist nicht irgendein Rekrut, sondern Elitekämpfer. Laut den Abzeichen seiner Uniform wurde er zum Scharfschützen ausgebildet. Wenn er also rät, man solle Merkel bitte aus 800 Metern Entfernung erschießen, und dazu noch den geeigneten Gewehrtyp plus das Kaliber nennt, klingt das doppelt gruselig.
Überlebenstraining in Mittenwald
Weiterhin ist Rainer R. Mitglied des Gebirgsjägerbataillons 233. Das hat den Ruf, nur die Besten und Fittesten aufzunehmen. Es ist im bayerischen Mittenwald stationiert, nah der Grenze zu Österreich. Als Reservemajor wohnt Rainer R. jedoch die meiste Zeit des Jahres daheim in Berlin-Spandau, nach Bayern reist er hauptsächlich zu den Übungen. Auf Facebook sieht man, wie er in Mittenwald vor dem Ortsschild und vor Denkmälern posiert, dazu teilt er Fotos vom Überlebenstraining im Gebirge und Schießübungen.
Wenn er wegen zu grober Hetze zwischendurch von Facebook gesperrt wird, postet er unter dem Namen Tommy von R. weiter. Tommy heißt eigentlich sein Hund.
Darf einer, der Politiker abknallen und Migranten vergiften lassen will, in Deutschland Soldat sein?
Was sagt die Bundeswehr dazu?
Ich schrieb die Pressestelle der Bundeswehr an, schickte Screenshots drastischer Facebook-Einträge. Parallel nahm ich Kontakt zum Presseoffizier jener Brigade auf, der das Bataillon 233 angehört. Und zu Soldaten, die in Mittenwald stationiert waren oder sind. Jeder, den ich ansprach, nahm die Sache sehr ernst.
Das überraschende Ergebnis: Es gibt gar keinen Rainer R. in der Bundeswehr. Es gab auch nie einen. An das Gesicht des Mannes kann sich in Mittenwald niemand erinnern. Bei einem seiner Abzeichen handelt es sich um das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit. Das wurde bislang 29 Mal vergeben, ganz sicher aber nicht an diesen Mann.
Rainer R. ist ein Hochstapler, und zwar ein ziemlich perfektionistischer. Die Einzelteile seiner Uniform muss er sich in Spezialläden zusammengekauft haben. Damit fährt er seit Jahren privat nach Mittenwald, lässt sich dort vor dem Ortsschild fotografieren. Anschließend klettert er allein in die Berge, um später vor Freunden mit Bildern seines „Überlebenstrainings“ prahlen zu können.
(K)eine Sache für den Militärischen Abschirmdienst
Die Pressestelle der Bundeswehr sagt, man habe den Vorgang an den Geheimdienst, also den Militärischen Abschirmdienst, weitergereicht. Der werde sich gegebenenfalls kümmern.
Bloß stimmt das nicht. Wer beim Abschirmdienst nachfragt, erfährt, dass dieser überhaupt nichts unternehmen darf – weil er eben nur für die Bundeswehr zuständig ist, nicht aber für Zivilisten, die sich unerlaubt Uniformen anziehen und dann zum Mord aufrufen. Kann das wahr sein? Dass einer jahrelang strafbare Hetze verbreitet, dabei auch den Ruf der Bundeswehr beschmutzt, und obwohl die Stellen darauf aufmerksam gemacht werden, stellt am Ende niemand eine Strafanzeige? Alles muss man selber machen.
Update: Zwei Tage nach Erscheinen des Artikels hat die Bundeswehr Strafanzeige gegen Rainer R. gestellt - wegen des Verdachts auf Verstoß gegen §132 a StGB Amtsanmaßung in Verbindung mit § 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, § 130 StGB Volksverhetzung, § 185 StGB Beleidigung und § 241 (1) StGB Bedrohung.
Diese Kolumne ist in gedruckter Form im Sonntags-Magazin des Tagesspiegels erschienen. Sie können ihm auf Twitter unter @TSPSonntag folgen.