Das neue Leben der Chelsea Manning
Am Tag der Entlassung lud sie ein Foto auf Instagram hoch. Es zeigt ihr erstes Stück Pizza in Freiheit: Salami mit viel Käse. Die Reaktionen gingen stark auseinander. Viele gratulierten Chelsea Manning und wünschten guten Appetit. Andere wünschten, sie möge an der Pizza ersticken oder sonst wie verrecken. Einer schrieb, sie solle doch mal probieren, sich vegan zu ernähren.
Seit Chelsea Manning vorigen Monat aus dem Gefängnis entlassen wurde, nach sieben von eigentlich 35 Jahren Haft, gewährt sie der Internetöffentlichkeit regelmäßig kleine Einblicke in ihr neues Leben. Hier ein Starbucksbesuch, da eine Runde Xbox, dort Kalbfleisch mit Brokkoli im Restaurant. Die schlimmsten Hassbotschaften, aber auch die meisten Komplimente, bekam sie für das Foto, auf dem sie im schwarzen Sommerkleid auf einer New Yorker Parkbank posiert.
Chelsea Manning wohnt jetzt in Manhattan
Fans wie Feinde rätseln: Wird die berühmteste Whistleblowerin der Welt, die 2009, damals noch mit Vornamen Bradley, hunderttausende geheime Dokumente des US-Militärs und Außenministeriums an Wikileaks weitergab, jetzt Politaktivistin – oder wird sie sich ins Privatleben zurückziehen und Versäumtes nachholen?
Bekannt ist, dass die 29-Jährige in Manhattan eine Einzimmerwohnung bezogen hat. Und dass sie jedes Mal Personenschutz benötigt, wenn sie auf die Straße will, schließlich haben ihr Tausende mit Mord gedroht.
Die geleakten Dokumente sollten ursprünglich nicht an Wikileaks gehen
Dem Sender ABC gab sie ein erstes Fernsehinterview, in dem man allerdings wenig Neues erfährt. An einer Stelle bricht sie in Tränen aus, als sie Barack Obama für die Begnadigung dankt. Erhellender ist das ausführliche Interview, das sie einem Reporter der „New York Times“ gegeben hat. Dort sagt sie zum Beispiel, dass sie die geheimen Behördendokumente ursprünglich gar nicht Wikileaks, sondern klassischen Medien zuspielen wollte. Um unentdeckt zu bleiben, suchte sie verschiedene öffentliche Telefonzellen auf und versuchte, Redakteure der „Washington Post“ und „New York Times“ zu erreichen. Denen kamen die anonymen Anrufe allerdings suspekt vor. Der Termin mit einem Journalisten der Zeitung „Politico“ wurde kurzfristig abgesagt. Begründung: schlechtes Wetter. Schließlich verlor Manning die Geduld und mailte ihre Dateien an Wikileaks. Von der Existenz dieser Organisation hatte sie bei einem IT-Sicherheitstraining der Armee erfahren. Dort hatte man gewarnt, es gebe da eine Gruppe, die Böses im Sinn habe.
Wahrscheinlich wird man bald ihre ganze Geschichte nachlesen können. Die Zeit im Gefängnis hat Chelsea Manning genutzt, um ein Buch zu schreiben. Darin will sie sowohl über ihre Haftzeit als auch über ihre Transsexualität berichten. 300 Seiten sind es geworden. Welcher Verlag sie veröffentlichen darf, ist noch nicht entschieden.
Das Handy wird in der Mikrowelle aufbewahrt
Einen Kinofilm soll es auch geben. Regie führt Laura Poitras, die als Vertraute Edward Snowdens, dem anderen großen Whistleblower der Jetztzeit, bekannt wurde. Für ihre Snowden-Doku Citizenfour erhielt sie einen Oscar.
Wie stark sich Chelsea Manning selbst in der Öffentlichkeit engagieren will, hat sie noch nicht verraten. Auf jeden Fall fürchtet sie, dass die Geheimdienste hinter ihr her sind. Aus Angst, abgehört zu werden, verstaut sie elektronische Geräte wie Handys und Laptops in ihrer Mikrowelle. So hat es der Reporter der „New York Times“ beobachtet. Wenn die Mikrowelle voll ist, weicht Manning auf den Kühlschrank aus. Sogar die Bedienung ihrer Xbox-Konsole liegt darin.
Diese Kolumne ist in gedruckter Form im Sonntags-Magazin des Tagesspiegels erschienen. Sie können ihm auf Twitter unter @TSPSonntag folgen.