In Deutschland werden digitale Gesundheitsangebote derzeit in nur sehr spärlich eingesetzt. Foto: Getty Images/iStockphoto

Das Smartphone hat immer Sprechstunde

Ärztechat, Videosprechstunde, Computerdiagnose: Berliner Startups entwickeln innovative Gesundheitstechnik. Genutzt wird sie jedoch in den USA.

Anrufe beim Arzt tragen nicht unbedingt zur Genesung bei. Gerade wenn die Erkältungszeit losgeht, kann es Montagfrüh schon mal dauern, bis man in der Praxis jemanden erreicht. Simon Bolz hat einen Weg gefunden, um das zu ändern. „Das Telefon ist sowieso überholt“, sagt der Gründer des Start-ups Klara und zieht sein Smartphone aus der Tasche. Er zeigt die von ihm entwickelte App, das Programm erinnert an WhatsApp und ähnliche Chatprogramme.

WhatsApp für Ärzte und Patienten

Allerdings ist es speziell für Ärzte entwickelt. 50000 Patienten nutzen Klara bereits jeden Monat. Fast eine halbe Million Nachrichten werden über die App verschickt. Und dabei geht es um weit mehr als Terminvereinbarungen. Ärzte können auch Laborbefunde schicken und ihren Patienten Fragen dazu beantworten. „Es gibt auch Gruppenchats wie bei WhatsApp“, sagt Bolz. So können sich bei Bedarf Fachärzte, Labore oder auch Apotheker mit einklinken. Wobei 80 bis 90 Prozent der Kommunikation vom Praxispersonal übernommen wird, die Ärzte werden nur hinzugezogen, wenn es nötig ist. Dadurch soll die Kommunikation effizienter werden. 2000 Ärzte konnte Bolz davon schon überzeugen, sie zahlen für die Nutzung der Klara-Software. Für die Patienten ist das Angebot kostenlos. Und auch eine App müssen sie nicht installieren: Die Nachrichten vom Arzt kommen per SMS, antworten können sie auch online.

Fast 500 000 Nachrichten pro Monat. Klara-Gründer Simon Bolz, Foto: Raphael Krämer

Allerdings nur in den USA. Bolz sitzt zwar in einem typischen Berliner Start-up-Büro in einem Hinterhof der Chausseestraße, gleich neben dem Konferenztisch steht eine Tischtennisplatte. Doch obwohl Klara hier von einem Dutzend Programmierern entwickelt wird, fokussiert sich das Unternehmen inzwischen komplett auf den US-Markt. Bolz’ Mitgründer Simon Lorenz ist schon vor drei Jahren nach New York gezogen und kümmert sich um das dortige Team. Auch Bolz verbringt die Hälfte seiner Zeit auf der anderen Seite des Atlantiks. Von einem der letzten Trips hat er eine Glastrophäe mitgebracht: Bei einem Wettbewerb im Silicon Valley hat sich Klara gegen 80 Konkurrenten als bestes Gesundheits-Start-up durchgesetzt. Im nächsten Jahr will Klara massiv wachsen. Zunächst weiter in den USA, später auch in anderen Ländern. „Deutschland steht dabei aber nicht ganz oben auf der Liste“, sagt Bolz.

Digitale Innovationen gelten vielen als Teufelszeug

Das Beispiel ist symptomatisch, denn mit digitalen Innovationen tut sich das hiesige Gesundheitssystem besonders schwer. Selbst einfachste digitale Gesundheitsangebote werden derzeit nur sehr spärlich eingesetzt, konstatiert der Digitalverband Bitkom. Bei einer gemeinsamen Befragung mit dem Ärzteverband Hartmannbund hatten nur 37 Prozent der niedergelassenen Ärzte angegeben, inzwischen Untersuchungsergebnisse auch auf CD zur Verfügung zu stellen. Die Online-Patientenakte nutzen gar nur drei Prozent. Deutlich offener zeigen sich viele Patienten: Jeder vierte Arzt wurde von ihnen schon auf Gesundheits-Apps angesprochen.

Doch bis Technologien wie die von Klara auch hierzulande in großem Stil eingesetzt werden, wird es wohl dauern. „In Deutschland sind die Beharrungskräfte enorm“, sagt Thomas Assmann, Hausarzt im kleinen Örtchen Lindlar im Bergischen Land. „Für viele ältere Entscheider sind die digitalen Innovationen Teufelszeug.“

Assmann selbst gehört zu den Vorreitern, wenn es darum geht neue Technologien auszuprobieren. So hält er inzwischen durchschnittlich zehn Videosprechstunden pro Woche ab. Gerade auf dem Land habe das enorme Vorteile. Für Hausbesuche ist er meist eine Stunde unterwegs, um dann zehn Minuten mit einem Patienten zu sprechen.

Durch Videosprechstunde mehr Zeit für Patienten

„Meine Kernkompetenz ist aber nicht das Autofahren“, sagt Assmann. Das überlässt er daher seinen Arzthelferinnen. Die machen sich mit einem Rucksack auf den Weg, den Assmann gemeinsam mit der Medizintechnikfirma Vitaphone entwickelt hat. Darin stecken Messgeräte und ein Tablet, mit dem die Daten direkt zu Assmann in die Praxis übertragen werden, von wo er per Videotelefonie Rat geben kann.

20 Praxen in fünf Bundesländern nutzen die Tele-Arzt-Technologie inzwischen. Insgesamt wurden einige Hundert Videosprechstunden abgehalten, schätzt Assmann. „Ich selbst habe dadurch jede Woche acht Stunden mehr Zeit für Patienten“, sagt der Arzt.

Seit Juli sind solche Angebote in Deutschland möglich. Allerdings nur, wenn Arzt und Patient sich vorher persönlich gesehen haben. Nur Baden-Württemberg geht einen Schritt weiter und will das Fernbehandlungsverbot generell kippen. In Modellprojekten wird eine „ärztliche Behandlung ausschließlich über Kommunikationsnetze“ möglich sein. So wie in der Schweiz, wo Patienten schon seit Jahren online Kontakt zu Ärzten aufnehmen und auch Rezepte oder Krankschreibungen bekommen können.

Dr. Google bekommt Konkurrenz

So kommt langsam ein bisschen Bewegung in den deutschen Markt. Auch immer mehr Krankenkassen übernehmen Kosten für Apps und andere digitale Neuerungen. „Deutschland öffnet sich langsam“, sagt Daniel Nathrath, Gründer des Berliner Start-ups Ada. Und so bietet er seit Kurzem seinen Service auch auf Deutsch an. Ada ist ebenfalls eine App, mit der Patienten chatten können: Sie schildern ihre Symptome und bekommen nach etwa einem Dutzend Fragen eine mögliche Diagnose. Allerdings ist dabei keinerlei Arzt involviert. Ada ist eine Künstliche Intelligenz (KI).

Seit sechseinhalb Jahren arbeiten Nathrath und seine Mitgründer Claire Novorol und Martin Hirsch an der Technologie, ein Jahr lang ist Ada schon in den USA im Einsatz. Seither haben schon mehr als 1,5 Millionen Menschen die App genutzt. Das hat auch bekannte Investoren überzeugt, die fast 40 Millionen Euro in das Start-up gesteckt haben. Unter ihnen ist auch William Tunstall-Pedoe, ein britischer KI-Experte, der Amazons Sprachassistent Alexa entwickelt hat. Selbstverständlich kann man Ada auch mit Alexa nutzen und es befragen, wenn man krank ist.

Ihr Wettbewerber ist Dr. Google: Ada-Gründer Claire Novorol, Daniel Nathrath und Martin Hirsch (v.l.), Foto: promo

„Eine Stärke von Ada ist es, Symptome seltener Erkrankungen zu identifizieren“, sagt Nathrath. Da Hausärzte diese selten sehen, haben sie sie nicht unbedingt auf dem Radar. Daher sieht er sich auch als Ergänzung zu Ärzten. Sein wirklicher Wettbewerber ist Dr. Google. Der nervt auch Ärzte: Knapp zwei Drittel finden Patienten anstrengend, die ihre Symptome vorher gegoogelt haben. Die Internetsuche sei für Krankheiten nicht ideal, da man keine richtige Möglichkeit habe, die Symptome zu schildern. „Ärzte müssen dann viel Zeit aufwenden, um ihren Patienten zu erklären, dass sie nicht das haben, was Google ausspuckt“, sagt Nathrath.

Dagegen könnte Ada Ärzten Zeit sparen, da das System vorher schon Dinge abfragen kann. Das Start-up bietet das System auch Ärzten an, doch auch wenn Mediziner wie Thomas Assmann dafür offen sind, gestaltet sich das Geschäft wegen der Frage der Kostenübernahme noch schwierig, insbesondere in Deutschland. Dabei könnten Systeme wie das von Ada die Medizin grundsätzlich digitalisieren. „Die Software in den Praxen ist nicht für den Kern der ärztlichen Tätigkeit gebaut“, kritisiert Nathrath. Denn bislang geht es da um Administration und Abrechnung statt um Diagnose und Therapie. Doch das wird sich ändern, glaubt der Ada-Gründer – irgendwann sogar in Deutschland.