Im kalifornischen Versuchslabor
San Francisco - Unter dem Schreibtisch von Mary Ludlam stapeln sich noch Reste von der letzten Büroparty, ihre Kollegen nebenan haben die blinkende Weihnachtsdeko einfach hängen lassen, für sie gibt es gerade Wichtigeres zu tun als aufzuräumen. An langen Laborbänken pipettieren sie eifrig Flüssigkeiten von einem Reagenzglas ins andere oder bereiten Petrischalen fürs Mikroskopieren vor.
Ludlam sitzt im Großraumbüro neben dem Labor und wertet Ergebnisse eines Experiments aus. Die Biologin ist mit ihrem Unternehmen Cairn Biosciences eines der fünf Start-ups, die der Pharmakonzern Bayer hier in San Francisco in seinem „US Innovation Center“ fördert – es ist ein Versuchslabor, in dem rund 100 Mitarbeiter nicht nur an neuen Technologien für die Pharmazie forschen. Sondern auch daran, was das 1863 in Wuppertal gegründete Unternehmen von jungen Gründern lernen kann.
Bayer in der Bay
2012 hat Bayer das CoLaborator-Programm gestartet, um junge Unternehmen aus dem Life-Science-Bereich beim Aufbau ihrer Forschung zu unterstützen. Labor und Büros, die die jungen Unternehmen zu günstigen Konditionen nutzen, sind in einem schicken Glasbau in der Mission Bay untergebracht, nur wenige Meter entfernt von San Franciscos berühmter Bucht. Berlin, wo die Bayer Pharma AG ihren Hauptsitz hat, ist hier nicht nur kilometermäßig weit weg.
„Leider wird in Deutschland und Großbritannien oft darüber gegrübelt, was bei einer Sache alles schiefgehen könnte“, erzählt Ludlam, die in London und Hamburg studiert und gearbeitet hat. Als sie ihren Kollegen von dem Plan erzählte, ihre Festanstellung aufzugeben und ein eigenes Unternehmen zu gründen, hätten sich diese ernsthaft Sorgen um sie gemacht.
Gründerstimmung statt Zukunftsangst
„Hier in San Francisco heißt es dagegen: ,Wow, eine tolle Idee‘. Die Leute fokussieren sich vielmehr darauf, was bei einer Sache alles gelingen kann.“ Deshalb habe sie sich vor drei Jahren auch entschlossen, Cairn Biosciences hier zu gründen, eine Technologie-Plattform, mit der die Wirkung von Medikamenten auf lebende Zellen untersucht wird. Auch Bayer will von dieser unternehmerfreundlichen Atmosphäre profitieren. Ist Deutschland als Land der ewigen Zweifler also nicht mehr innovativ genug?
Chris Haskell, der Bayers US Innovation Center leitet, bemüht sich um eine diplomatische Antwort: „Selbstverständlich gibt es in Berlin und an Bayers Hauptsitz in Wuppertal herausragende Forschung, aber wenn wir nicht den Anschluss verpassen wollen, müssen wir uns auch außerhalb unserer eigenen vier Wände umschauen“, betont er. Dafür sei der CoLaborator ein geeignetes Format. Start-ups würden in einem noch sehr frühen Stadium an Bayer angedockt, oft sei anfangs noch nicht klar, ob und welche konkreten Projekte sich aus der Partnerschaft ergeben könnten, gemeinsam werde dann an Ideen gefeilt. Ausgewählt für das Programm würden solche Unternehmen, die wie Ludlam eine spannende Technologie entwickelt und als Forscher bereits Erfolge erzielt hätten. „Denn nichts ist für ein Start-up leichter, als einen Haufen Zeit für die falschen Experimente auszugeben“, erklärt Haskell.
Innovation in der Pharmazie ist langsamer
Allerdings würden sich in der Pharmazie nicht so schnell Erfolge erzielen lassen wie beispielsweise in der rasant wachsenden Tech-Branche, wo die Unternehmen schnell Feedback von den Nutzern bekommen würden. „Wir können ja schlecht einem Patienten sagen: ,Hier schau mal, ein neues Medikament, schluck das und wir schauen, was passiert.‘ “ Deshalb müsse den Start-ups Zeit gegeben werden, sich und ihre Ideen zu entwickeln. Die Erfolgsquote sei groß, mit vier der bisher fünf Start-ups aus dem Programm habe sich eine engere Partnerschaft entwickelt.
Auch Ludlam schätzt den engen Austausch mit den anderen jungen Unternehmensgründern und Kollegen von Bayer. Im benachbarten Berkley unterhält das Unternehmen beispielsweise einen Forschungsstandort mit 1500 Mitarbeitern. Und gegenüber vom Gebäude in der Mission Bay liegt die Medizinische Fakultät der Universität von San Francisco.
Keine Angst vor selbstgezüchteter Konkurrenz
2014 hat Bayer in Berlin ebenfalls ein CoLaborator-Programm gestartet, in dem derzeit sieben junge Firmen arbeiten. Wird vielleicht eines der geförderten Start-ups seinen Förderer eines Tages übertrumpfen? „Das glaube ich nicht“, versichert Haskell“, „aber wir sind uns bewusst, wie schnell sich neue Technologien auch im Pharmabereich entwickeln. Deshalb suchen wir mit Programmen wie dem CoLaborator nach innovativen Ideen, die wir bei uns integrieren.“
Ludlam will ihr Unternehmen noch einige Monate unter dem Dach von Bayer weiterentwickeln, bevor sie eigene Laborräume bezieht. Klar, dass es dann ein großes Abschiedsfest gibt. Die Deko liegt schon bereit.
Die Reise wurde unterstützt von der Heinrich-Böll-Stiftung.