Hand in Hand statt Bank. In der Blockchain verifizieren sich die User gegenseitig, anstatt über eine Zentralinstanz. Grafik: Bettina Seuffert

Die Kettenreaktion – wie die Blockchain Berlin erobert

Es geht schon lange nicht mehr nur um die Online-Währung Bitcoin. Rund um die Blockchain entwickeln sich ganze Branchen in der Stadt.

Katzenvideos sind im Netz der Renner, millionenfach werden sie bei Youtube geklickt. Noch sind sie kostenlos, jeder kann sie beliebig oft anschauen. Dabei ließe sich mit Katzenvideos viel Geld verdienen, meint der Berliner Gründer Meinhard Benn. Ein paar Cent pro Video und Nutzer zu verlangen, würde schon reichen. Benn ist vermutlich nicht der Erste, der auf diese Idee kommt. Nur ist er einer der wenigen, der das Bezahlen von solchen Kleinstbeträgen im Netz tatsächlich möglich machen will.

Denn bislang lohnt es sich schlichtweg nicht, für Netzinhalte – seien es Katzenvideos, Blogeinträge oder Artikel – Minibeträge von drei, fünf oder zehn Cent zu nehmen. Dafür sind die Gebühren, die Zahlungsdienstleister für den Bezahlvorgang verlangen, viel zu hoch. Wickelt zum Beispiel der Anbieter Paypal eine Zahlung im Netz ab, kostet das den Verkäufer pauschal 35 Cent zusätzlich zu einem prozentualen Anteil am Kaufpreis. Wer da für das Abspielen eines Videos nur zehn Cent verlangt, macht ein Minusgeschäft.

Blockchain statt zentraler Bank

Gründer Benn hat einen Weg gefunden, das zu ändern. Satoshipay heißt sein Startup, das Mikrozahlungen im Internet möglich machen will. Die Pauschalgebühr fällt bei ihm weg, für jeden Bezahlvorgang kassiert er zehn Prozent vom Kaufpreis. Soll heißen: Bezahlt jemand über seinen Dienst zehn Cent, verdient er daran eben nur einen Cent. Dass sich das für Benn trotzdem lohnt, liegt daran, dass er anders als die meisten bisherigen Anbieter keine Bank braucht. Statt über ein Geldinstitut, wickelt er die Zahlung über eine neue Technologie ab: eine schlaue Datenbank namens Blockchain.

Vorstellen kann man sich diese wie ein riesiges Kassenbuch, eine Art Superdatei. Das Besondere an ihr: Sie ist nicht nur auf einem einzelnen Computer hinterlegt, sondern parallel auf jedem der angeschlossenen Geräte. Die speichern die Datei und prüfen sie kontinuierlich auf ihre Richtigkeit. Will nun zum Beispiel jemand per Blockchain Geld überweisen, werden die Daten zunächst an alle anderen Computer im Netzwerk geschickt und dort mit der Superdatei abgeglichen: So kontrollieren die Geräte zum Beispiel, ob das Konto, von dem ein Nutzer Geld überweisen will, auch tatsächlich ihm gehört. Nur wenn alle Rechner ihr Okay geben, lässt die Blockchain die Zahlung zu. Das heißt: Was bislang eine zentrale Institution wie die Bank gemacht hat, wird nun dezentral von einer Vielzahl an Computern übernommen.

Erfunden haben die Blockchain die Macher der Bitcoins: einer Digitalwährung, die statt von Zentralbanken durch Computerleistung geschaffen wird. Mit ihr wollten sich die ersten Nutzer nach der Finanzkrise unabhängiger von den Banken machen. Die Blockchain ist die Software, über die Bitcoinzahlungen im Hintergrund abgewickelt werden.

Strom und Immobilien auf der Kette

Längst arbeiten Entwickler aber daran, diese Technologie auch für andere Geschäfte nutzbar zu machen – ganz unabhängig von Bitcoins. Denn so, wie die Blockchain eine Bank ersetzen kann, kann sie theoretisch auch Stromanbieter, Immobilienmakler oder Aktienhändler überflüssig machen. Statt des Stromanbieters verteilt dann die Blockchain den Strom an die Nutzer, statt einer Börse transferiert die Blockchain Aktien vom Verkäufer zum Käufer. Selbst Tech-Firmen, die gerade erst groß geworden sind, könnte die Blockchain überflüssig machen. Airbnb zum Beispiel, eine Firma, die Privatleuten ermöglicht, ihre Wohnungen als Ferienunterkünfte zu vermieten. Oder das Unternehmen Uber, das Taxifahrer und Fahrgäste zusammenbringt.

Für Berlin könnte das eine große Chance sein. „Die Hauptstadt ist der wichtigste Standort für die Entwicklung der Blockchain-Technologie in Deutschland“, sagt Nicolas Zimmer, Chef der Technologiestiftung Berlin. Er schätzt, dass sich hier schon jetzt mindestens 100 Startups und selbstständige Programmierer mit der neuen Technologie befassen – und das, obwohl die Entwicklung noch ganz am Anfang steht (hier eine Studie dazu von der Technologiestiftung). So sitzen in Berlin sowohl Firmen, die an der Basistechnologie – also der Blockchain an sich – arbeiten, als auch Startups, die bereits erste Anwendungen für die Blockchain entwickelt haben. Die Firma Bitbond zum Beispiel vermittelt Kredite auf Blockchain-Basis, wofür sie bereits eine Lizenz der Finanzaufsicht Bafin bekommen hat. Ein anderes Startup, Vaultoro, handelt per Blockchain mit Gold. Die Gründer von Ascribe schützen durch Blockchain die Eigentumsrechte für digitale Kunstwerke.

Blockchain-Kieze in Berlin

Dass Gründer wie sie, sich in Berlin ansiedeln, liegt nicht nur an der lebhaften Startup-Szene in der Stadt – sondern auch daran, dass die Internetwährung Bitcoin, für die Blockchain ursprünglich entwickelt worden ist, hier weit stärker verbreitet ist als in anderen deutschen Städten. Rund um die Graefestraße in Kreuzberg hat sich ein regelrechter Bitcoin-Kiez entwickelt: Dort kann man in vielen Bars mit der Cyberwährung zahlen und an einem speziellen Automaten Euros in Bitcoins tauschen. Neben den Nutzern der Internetwährung lockt das auch die Entwickler an, die sich für die Technologie dahinter interessieren. So sitzt in Berlin auch ein Team von Ethereum, einer Organisation, die eine der derzeit führenden Blockchain-Varianten erfunden hat. Anders als mit der ursprünglich Bitcoin-Blockchain, kann man mit Ethereum nicht nur Geld hin- und herschicken, sondern zudem alle möglichen Arten von Verträgen abwickeln. Zum Beispiel prüft die Blockchain automatisch, ob eine Person das Recht hat, einen bestimmten Gegenstand zu nutzen – etwa einen Rasenmäher.

Wie das in der Praxis funktionieren kann, zeigt das Startup Slock.it. Die Gründer versehen Türen oder Gegenstände mit schlauen Schlössern: also Schlössern, in denen ein Minicomputer integriert ist, auf dem die Blockchain läuft. So soll man in Zukunft zum Beispiel per Slock.it tatsächlich seinen Rasenmäher gegen Kaution an Fremde verleihen können. Das Geld hinterlegen die nicht bar in Scheinen sondern virtuell über eine App auf dem Smartphone. Die Blockchain erkennt, wenn jemand die Kaution geleistet hat, öffnet das Schloss und gibt den Rasenmäher frei. Auf diese Weise könnte man in Zukunft auch seine Wohnung an Feriengäste vermieten oder sein Auto an Fremde verleihen.

Dezentrales Recht, lokale Probleme

Großkonzerne haben längst erkannt, dass sich mit der Blockchain viel Geld verdienen lassen könnte. Sechs Großbanken, darunter die Deutsche Bank, haben zum Beispiel gerade ein Joint Venture gegründet. Per Blockchain wollen sie es für Mittelständler leichter machen, grenzüberschreitende Zahlungen abzusichern. Für Berlin ist interessant, woran Energiekonzerne arbeiten. So kooperiert Innogy (früher RWE) mit Slock.it, um es einfacher zu machen, das Laden eines Elektroautos zu bezahlen. Bislang brauchen Nutzer dafür einen Vertrag mit den örtlichen Stadtwerken. Künftig soll das Geld per Blockchain automatisch vom Konto abgebucht werden.

Trotz dieser Praxisbeispiele gibt es aber immer noch viele Hürden zu überwinden, bis Blockchain tatsächlich massentauglich wird. Shermin Voshmgir sieht vor allem rechtliche Schwierigkeiten. Die Wirtschaftsinformatikerin hat in Berlin den Blockchain-Hub gegründet, einen Thinktank, der Diskussionen über die neue Technologie anregen will. „Bislang gilt das Recht des Landes, in dem der Server steht“, sagt sie. Bei Blockchain gibt es aber keinen zentralen Server mehr. Er wird ersetzt durch ein global verteiltes Rechner-Netzwerk.

Auch deshalb haben Gründer aus dem Blockchain-Umfeld es oft nicht leicht. So berichtet Meinhard Benn, dass er mit seinem Startup für Mikrozahlungen anfangs Schwierigkeiten hatte, überhaupt ein Konto bei einem deutschen Geldinstitut zu bekommen. Das bekamen er und seine Mitstreiter erst, als sie den Vorstandschef einer Bank persönlich kennenlernten und ihn überzeugten.



Neben den besagten Beispielen entwickeln sich noch andere Branchen rund um die Blockchain. Hier ein paar Beispiele:

Die Crowd zahlt

Das Unternehmen Ethereum bietet unter anderem eine Lösung an, bei denen Nutzer anonym ein Projekt per Crowdfunding mit Kapital unterstützen können. Eine andere ihrer Anwendungen gleicht eher Aktiengesellschaften, die Geldgeber hinterher an Gewinnen beteiligen.

Verträge per Blockchain

Sogenannte Smart Contracts nutzen die Blockchain, um Verträge abzuschließen – ohne Anwalt. Denn in dem Code lässt sich fälschungssicher hinterlegen, zwischen welchen Parteien welche Vereinbarungen getroffen wurden. Das erste solche Start-up in Berlin gründet sich gerade unter dem Namen Lexys.

Schulgebühren

Die Europäische Schule für Management und Technologie (ESMT), eine Privathochschule in Berlin, erlaubt ab diesem Jahr ihren Schülern, ihre Studiengebühren (38 000 Euro für einen MBA) per Bitcoin zu bezahlen. Das lohnt sich vor allem für Studenten aus anderen Ländern, von wo aus sonst hohe Überweisungsgebühren fällig würden. Solche Überweisungen per Blockchain bietet das Berliner Start-up Bitwala an.

Direkte Demokratie

Bei Online-Abstimmungsverfahren ist bislang die eindeutige Identitätsfeststellung das größte Problem. Mehrere Startups aus den USA und Argentinien arbeiten aktuell an Abstimmungsplattformen, die fälschungssichere direkte Demokratie ermöglichen würden.