Warum Daten nicht das neue Öl sind
Es besteht schon lange kein Zweifel mehr daran, dass Daten wertvoll sind. So wertvoll, dass die Marktforschungsorganisation Gartner voraussagt, dass im Jahr 2020 jedes zehnte Unternehmen aus der Verwertung seiner Daten ein profitables Geschäft macht. Daten halten die Wirtschaft am Laufen. „Daten sind das neue Öl“ ist dabei zu einer gern zitierten Gewissheit geworden.
Auf den ersten Blick mag dieser Vergleich stimmen. Daten und Öl sind beides Schmierstoffe der Weltwirtschaft. Bei genauerer Betrachtung jedoch verliert der Vergleich schnell seine Substanz. Öl und Daten unterscheidet wohl mehr, als sie gemeinsam haben. Warum? Dieser Frage nähert man sich am Besten nicht aus gesellschaftlicher oder volkswirtschaftlicher Sicht. Sondern man nimmt die Perspektive der Eigentümer von Öl und Daten ein.
Daten sind eher vergleichbar mit Immobilien
Öl ist ein klassischer, endlicher Rohstoff. Dieser kann von seinem Besitzer nur einmal genutzt werden. Entweder indem er ihn in ein edleres Produkt verwandelt oder indem er ihn verbrennt. Vorher kann das Öl natürlich gehandelt werden und mehrfach den Besitzer wechseln. Aber nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem es genutzt wird. Auch von Daten wird oft als Rohstoff gesprochen. Doch gilt für Daten auch, dass sie nur einmalig in neue Produkte verarbeitet werden können? Offensichtlich nicht. Daten können vielfältig genutzt werden und sehr langlebig sein. Dies macht Daten zu Assets. Also zu Investitionsgütern, die eher vergleichbar mit Maschinen oder Immobilien sind. Nur kann man sie nicht anfassen. Sie sind immaterielle Güter.
Aber was unterscheidet Investitionsgüter von Verbrauchsgütern wie Öl? Investitionsgüter haben drei wichtige Eigenschaften. Erstens, sie haben das Potential langfristigen und widerkehrenden wirtschaftlichen Nutzen für ihre Eigentümer zu erzeugen. Zweitens, der Eigentümer hat ausreichend Fähigkeiten und Geld diese wirtschaftlichen Vorteile tatsächlich auch zu erzeugen. Drittens, sie sind das Resultat aktiver Handlungen, also des Kaufs oder der Erstellung durch den Eigentümer in der Vergangenheit. Wenn eine Datensammlung diese Eigenschaften erfüllt, dann ist sie faktisch ein Investitionsgut.
Personalisierte Empfehlungen im Supermarkt
Wie bei allen Investitionsgütern hängt es also auch bei Daten von der Kreativität und dem wirtschaftlichen Potential der Eigentümer ab, für welche Zwecke sie in Zukunft eingesetzt werden. Wenn beispielsweise ein Supermarkt Daten über das Einkaufsverhalten seiner Kunden sammelt, dann kann er diese auf vielfältige Art nutzen. Er kann seine eigenen Prozesse optimieren, z. B. wenn er Produkte im Regal besser anordnet. Wenn ein Supermarkt anhand seiner Daten weiß, dass Männer, die Windeln kaufen oft auch Bier mitnehmen, kann er beides nebeneinanderstellen – oder besonders weit voneinander entfernt. Wenn der Marktleiter anhand seiner Datenbank sieht, zu welchen Uhrzeiten der Kundenansturm für gewöhnlich besonders groß ist, kann er die Schichtpläne des Kassenpersonals optimieren. Er kann aber auch vollkommen neue Produkte und Dienstleistungen für seine Kunden entwickeln, wie personalisierte Empfehlungen am Weinregal. Oder er kann diese Daten anonymisiert an Dritte verkaufen, die diese für ihre Marktforschung einsetzen. Diese vielfachen Möglichkeiten der Nutzung machen Daten ökonomisch so interessant. Und damit wertvoll.
Das zeigt, dass eine Datensammlung für ihren Eigentümer immer einen ganz individuellen Nutzwert hat. Dieser ist immer abhängig von den Fähigkeiten und Fertigkeiten des Eigentümers, diesen Nutzwert zu erkennen und zu heben. Jede Raffinerie macht Benzin aus einem Fass Öl. Das macht das Öl für jede Raffinerie gleich wertvoll. Aber aus ein und derselben Datensammlung können Unternehmen einen ganz unterschiedlichen Nutzen ableiten. Diese Individualität des Nutzwerts ist wichtig, um den Preis von Daten zu verstehen. Denn Daten haben immer dann einen Preis, wenn sie verkauft oder lizenziert werden.
Daten sind keine Massenware
Zurück zum Öl: Was unterscheidet den Verkauf eines Fasses Öl vom Verkauf von Daten? Öl ist Massenware. Stehen drei Fässer Öl der gleichen Sorte nebeneinander, ist es vollkommen egal, welches dieser drei Fässer der Käufer nimmt. Alle drei sind austauschbar. Und wenn eines der Fässer verkauft wird, dann muss es physisch den Besitzer wechseln. Der bisherige Eigentümer kann das Öl in diesem Fass nicht mehr für seine Zwecke nutzen, dafür kann der neue Eigentümer es verbrauchen. In einem solchen Markt liegen Verkaufspreis und Nutzwert nah beieinander.
Auch wenn Daten heutzutage in Massen produziert werden, so sind sie keine Massenware. Denn jeder Datensatz ist individuell. Daten sind sogenannte diversifizierte Güter. Stehen drei verschiedene Datensammlungen zum Verkauf, so ist es für den Käufer nicht egal, welche gekauft wird. Jede hat einen unterschiedlichen Nutzwert. Und gibt es für eine Datensammlung drei verschiedene potentielle Käufer, so wird jeder der Interessenten einen unterschiedlichen Nutzwert aus dem Zukauf der Daten ableiten können. Im Gegensatz zum Ölmarkt hängt der erzielbare Preis also viel mehr von der Ausdauer und Kreativität bei der Käufersuche ab.
Auf dem Ölmarkt gibt es einen einheitlichen Marktpreis, egal wer das Fass kauft. Bei Daten hängt der Preis viel stärker vom Käufer ab. Wenn dem Supermarktleiter das notwendige Know-How fehlt, seine eigenen Daten zur Optimierung von Produktpräsentation oder personalisierte Weinempfehlung zu nutzen, dann haben die Daten für ihn keinen Wert. Selbst ein geringer Verkaufspreis für die Daten wäre dann schon ein gutes Geschäft. Gelingt es dem Marktleiter jedoch, ein Marktforschungsinstitut zu finden, das einen hohen Nutzwert aus diesen Daten ziehen kann, dann wird sich der Preis an diesem hohen Nutzwert des Käufers orientieren.
Da Daten immaterielle Güter sind können diese sowohl verkauft als auch lizenziert werden. Beim Verkauf wechselt die volle Kontrolle über die Daten den Eigentümer. Für den Verkäufer ist dieses Investitionsgut damit verloren. Er hat in Zukunft nicht mehr das Recht wiederkehrenden wirtschaftlichen Nutzen aus diesen Daten zu ziehen.
Ein unendliches Fass
In den meisten Fällen werden Daten deshalb nicht verkauft, sondern lizenziert. Dabei wird den Kunden erlaubt, die Daten zu nutzen. Diese Rechte können beschränkt sein: zum Beispiel auf einen Monat, auf ein Land oder auf eine bestimmte Anwendung. Der Eigentümer kann eine Lizenz kostenfrei zur Verfügung stellen – dann wird Open Data geschaffen. Im Normalfall sind Lizenzen jedoch kostenpflichtig, der Eigentümer der Daten verdient dann daran. Wenn trotz der Lizenzierung der eigentliche Nutzwert für den Verkäufer erhalten bleibt, dann ist es für ihn besonders attraktiv. Daher wird der klügste Supermarktleiter versuchen, mit seinen Daten die eigenen Prozesse zu optimieren und diese Daten gleichzeitig an ein Marktforschungsinstitut zu lizenzieren.
Während ein Ölfass wertlos wird, wenn es leer ist, kann eine kreativ genutzte Datensammlung wie ein Ölfass sein, dass nie alle wird. Und sollten darüber hinaus die Daten noch an Dritte lizenziert werden können, dann ist es, als liefe das Fass über und der Überschuss kann verkauft werden.
Genau wie Daten ist Öl heute noch notwendig um die Wirtschaft am Gang zu halten. Da enden aber auch die Gemeinsamkeiten. Öl ist endlich. Und bei jedem Fass wird auf den Weltmärkten darum konkurriert, für was es verbraucht werden kann. Aus dieser materiellen Knappheit wird sich auch in Zukunft der Preis des Öls ableiten. Daten werden permanent und unendlich neu geschöpft. Hier ist es die Kreativität und der Innovationsgeist der Eigentümer der Daten, der bestimmt, welcher Nutzen damit geschaffen werden kann. Welche Preise sich in Zukunft hierfür finden werden, ist ein Entdeckungsprozess, der gerade erst beginnt.