Die Zukunft des Films
Wenn die Filmindustrie eine „Fabrik der Träume“ ist, ist Michael Düwel so etwas wie ein Werkshallenleiter. Er ist Geschäftsführer des Art Departments im Studio Babelsberg. In 20 Studios wird hier auf 25000 Quadratmetern am Rand von Potsdam umgesetzt, was sich Regisseure und ihre Set Designer erdacht haben. Ob The Grand Budapest Hotel, Monuments Men oder Die Tribute von Panem, das Studio Babelsberg ist an den meisten großen Filmproduktionen in der Region beteiligt, erzählt Düwel, während er zu den Hallen hinüberläuft.
Hier werden aus Zeichnungen künstliche Kirchenfassaden, Autoteile oder antike Türklopfer. „Fassen Sie mal an“, sagt sein Mitarbeiter. Da erst fühlt man, dass der bronzene Löwenkopf in Wahrheit aus beschichtetem Styropor besteht. „Wir können ja nicht in den Baumarkt gehen und Raumschiffteile kaufen“, scherzt ein anderer, „müssen wa allet aus Teilen bauen, die es gibt“. Und es muss so billig wie möglich sein. Deutschland ist noch immer ein teures Produktionsland für Filme und stets wird gegengerechnet, was gebaut wird und was einfacher zu animieren ist.
Also digitalisieren Düwel und seine 50 Mitarbeiter ihre eigene Produktion. Im 3D-Labor nebenan stehen neben Kellen, Spachteln und Messern ein riesiger Roboterarm und mehrere 3D-Drucker. „So können wir viele Teile in einem Bruchteil der Zeit produzieren“, sagt Düwel. Und Formen herstellen, die vorher gar nicht denkbar waren. Das ermöglicht neue Fantasiewelten und viel mehr Aufträge - auch von Firmen fern der Filmwelt. So drucken die Potsdamer nun auch Elefantenköpfe für Malls in Dubai.
»Das Animieren von Gesichtern ist extrem schwer«
Genau das ist auch der Plan. „In fünf Jahren soll Potsdam nicht mehr nur Filmstandort sein, sondern ein internationaler Technologiestandort“, sagt Andrea Peters. Sie ist kommissarische Leiterin des MediaTech Hubs Potsdam, eines Zusammenschlusses von 30 Firmen, Forschungseinrichtungen und Konzernen. Es ist Teil einer Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums, das insgesamt zwölf deutsche Städte zu solchen „Digital Hubs“ erkoren hat. Potsdam will damit die Heimat für die Zukunft der Medientechnik werden – und des Films. Dafür sollen ab 1. April die ersten vier bis sechs Startups zu extrem vergünstigten Mieten in einem MediaTech Lab einziehen.
Aber wie könnte sie aussehen, diese Zukunft des Films? Eine Vorahnung bekommt man im wintergrauen Babelsberg. Da trifft man zum Beispiel Daniel von Braun in den Räumen von Baby Giant Hollyberg, einem Studio für Animation und Virtual Reality. Hier wird alles produziert, was man nicht filmen darf: „Wir sprengen zum Beispiel das Weiße Haus oder fackeln den Reichstag ab“, sagt Braun. Es gibt aber auch Mitarbeiter, die hauptsächlich auf die Animation natürlicher Bewegungen spezialisiert sind, auf das realistische Wehen von Haaren oder das Fließen von Wasser. Doch es gibt immer noch Grenzen: „Das Animieren von Gesichtern ist extrem schwer“, sagt Braun. Unterbewusst erkennt der Mensch feinste Unterschiede und die Züge der Animierten sind oft zu glatt.
Der Film war nicht für die Freiheit gemacht
Dazu kommt das gleiche Problem wie bei den ausgedachten Landschaften, die Düwel in seinen Hallen baut: Je echter es scheinen soll, desto teurer wird es. Gleichzeitig haben aber die Fernsehsender aufgrund sinkender Werbeeinnahmen immer weniger Geld. Der gesamte Markt ordnet sich neu. Brauns Studio setzt deshalb vermehrt auf eigene Produktionen. Und auf „Edutainment“. Das bedeutet, dass beispielsweise Kindern durch Virtual-Reality-Brillen ermöglicht wird, mit animierten Begleitern in das Innere des Körpers zu reisen anstatt sie vor Bücher und Tafeln zu setzen.
„Das Tolle an Virtual Reality ist, dass es noch keine Erzählregeln gibt“, sagt Braun, „wir können sie erfinden.“ Denn Filme, in denen der Betrachter umherlaufen kann, die haben nicht einen Handlungsstrang, sondern Dutzende bis Tausende, je nachdem, welchen Charakter man anschaut, wohin man läuft oder was man fragt. Film war nie dafür gemacht, dass der Zuschauer frei ist. Bisher wurden wir radikal von vorne mit flachen Bildern beballert. Wie solche Experimente beim Publikum ankommen, ist offen. Und Freiheit hin oder her: Wer soll eigentlich die Drehbücher für solche Filme schreiben? Oder den Ton dafür machen?
Radikale Experimente
Stephan Koethe machen solche Fragen noch aufgedrehter als er sowieso schon ist. Er ist Dozent an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf einige hundert Meter weiter. Sein Fachgebiet: Musikaufnahme und -produktion. Er müsse sich für die Lehre ganz dringend überlegen, welche neuen Berufsbilder gerade entstehen. „Die Industrie wirft gerade in wahnsinnigem Tempo völlig neue Gestaltungsmittel auf den Markt“, sagt Koethe. „ Wir müssen die ausprobieren und selber feststellen, welche davon Mist sind – und welche richtig geile neue Erzählmöglichkeiten bieten.“ Die Filmuni ist der Ort, wo man das radikal ausprobieren kann.
In einem ersten Projekt hat er das selber mit Studierenden getan. Koethe hat das Filmorchester Babelsberg in 360-Grad aufgenommen. Aber nicht nur wie sonst üblich mit Rundum-Kamera. Sondern so, dass die Zuschauer an verschiedene Orte im Orchesterraum springen können und dort auch den Klang genauso hören, als würden sie an genau diesem Ort stehen. Mit herkömmlichen Audio-Produktionsverfahren geht das nicht. Stattdessen musste Software benutzt werden, die früher hauptsächlich in Computerspielen Anwendung fand.
Vor dem Film der Zukunft kommt die Werbung der Zukunft
Dreidimensionaler Sound, Animationen und immer aufwendigere Produktionsverfahren. Worin das alles münden könnte, weiß Ernst Feiler, Technischer Direktor bei der Ufa, einer der ältesten europäischen Filmproduktionsfirmen. Er hat selber einmal Regie und Dramaturgie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin studiert. Und er war einer der Mitinitiatoren des MediaTech Hubs. Für ihn ist die logische nächste Entwicklungsstufe des Films der „volumetrische Film“. Das bedeutet, dass Szenen mit Kameras aufgenommen werden, die rund herum aufgebaut sind. So viele, dass hinterher ein vollständiges dreidimensionales Abbild der Szenen besteht. Es wird also nicht animiert, sondern eingescannt.
„Der Unterschied zu 360-Grad-Aufnahmen ist dabei, dass man sich völlig frei in der Szenerie bewegen kann“, sagt Feiler. Die Ufa hat gemeinsam mit Microsoft und dem Fraunhofer Heinrich Hertz Institut in Berlin bereits so einen begehbaren Film entwickelt, bei dem die Zuschauer mit einer VR-Brille um die Schauspieler herumgehen und sie von allen Seiten betrachten können.
Feiler glaubt, dass es schon immer das Bestreben des Films war, Abbilder der Realität zu schaffen, die so echt wie möglich sind. Dass es aber noch lange dauern wird, bis sich für solche Technik überhaupt geeignete Erzählungen finden werden, findet er ganz normal. Es gäbe aber gute Anknüpfungspunkte. „Vielleicht können wir in solchen Filmformaten auf die Erzähltechniken des Theaters zurückgreifen“, sagt er. Dort habe man schließlich lange Erfahrung, wie man die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die wichtigste Szene lenkt. Bis die Techniken in Spielfilmen einziehen, sei es aber noch ein weiter Weg. „Vorher werden wir so etwas womöglich in der Werbung sehen“, sagt Feiler, „beispielsweise könnte ich dann im Laden von Adidas virtuell Manuel Neuer gegenüberstehen“. Das bringt Nähe. Und das werde irgendwann auch für den Erfolg im breiteren Film sorgen. „Je näher man an die Wahrnehmung im normalen Leben kommt, desto mehr Emotionen kann man transportieren.“ Und das sei schließlich der Kern von Film.