In vielen Städten Europas wie Madrid kann man die E-Roller schon leihen. Bald auch in Deutschland. Foto: Paul Hanna/Reuters

Die Invasion der Tretroller

Nach Leihfahrrädern erobern E-Roller die Städte. Berliner Gründer konkurrieren mit Uber und Google. Doch der Spaß ist nicht billig.

Toby Sun freut sich wie ein Kind über ein Geburtstagsgeschenk. Er springt auf seinen grünen Tretroller. „Tolle Federung“, schwärmt der Chef der Firma Lime. Dann stößt er sich mit dem Fuß ab, drückt einen Hebel am Lenker und saust den langen Flur des Großraumbüros entlang.

Solche Tretroller mit Elektroantrieb sind gerade schwer in Mode. Toby Sun ist dafür maßgeblich mitverantwortlich. In Dutzenden Städten der USA stehen schon riesige Rollerflotten auf den Gehwegen. Mit dem Smartphone kann man sie freischalten, ausleihen und losfahren. Auch in Europa breitet sich das Phänomen rasch aus: In Wien, Paris, Zürich, Prag oder Madrid gehören die Elektroroller längst zum Stadtbild.

E-Roller könnten bis Jahresende erlaubt werden

Auch in Deutschland sollen sie bald eine Alternative zu Bus, Bahn oder Fahrrad werden. „Wir wollen sobald wie möglich loslegen“, sagt Sun. Allerdings wird er derzeit noch vom deutschen Verkehrsrecht ausgebremst, das ist für die neumodischen E-Scooter nicht ausgelegt. Allein die Berliner Polizei hat in diesem Jahr schon mehr als 60 der nicht erlaubten Elektrofahrzeuge von Privatnutzern beschlagnahmt. Das soll sich jedoch bald ändern: Das Bundesverkehrsministerium hat eine Verordnung entworfen, über die derzeit mit den Ländern beraten wird.

Nach der Invasion der Leihfahrräder werden daher auch in deutschen Städten bald Elektroroller aufgefahren. Denn auch einige Berliner Unternehmer haben das vielversprechende Geschäftsfeld für sich entdeckt. Am weitesten ist dabei Lawrence Leuschner. Mit seiner Firma Tier Mobility hat er sich im Hubraum, dem Start-up-Inkubator der Telekom in Schöneberg, eingemietet. Einige der Roller stehen herum, eine größere Lieferung wird gerade im Keller für den Einsatz vorbereitet. „Die gehen nach Südeuropa“, sagt Leuschner. Mit drei verschiedenen Städten verhandelt er gerade.

15 Cent pro Minute

Vor gut zwei Wochen ist das Start-up mit 200 Rollern in Wien gestartet. Sie können auf bis zu 25 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Der Spaß kostet 15 Cent pro Minute. Abgerechnet wird über die App. „In diesem Jahr wollen wir noch in einigen anderen Städten starten“, sagt Leuschner. Das nötige Kapital dafür hat er: In dieser Woche haben ihm Investoren einen Scheck über 25 Millionen Euro geschrieben. Unter den Geldgebern ist auch Northzone, die Skandinavier haben zuvor schon den Siegeszug von Spotify mitfinanziert.

Dabei dürfte auch die Erfahrung des Teams eine Rolle gespielt haben. Lawrence Leuschner selbst hat die Gebrauchtwarenplattform Rebuy aufgebaut und fast zehn Jahre geleitet. Dann nahm er eine Auszeit, reiste im VW-Bus von Feuerland bis nach Kalifornien und kam mit langen Haaren, Vollbart sowie einer Geschäftsidee zurück: „Ich hab in Kalifornien die Scooter gesehen und fand das sofort ultraspannend.“ Er suchte sich zwei erfahrene Mitgründer. Den früheren Technikchef des Essensbestelldienstes Lieferando, Mathias Laug, und Julian Blessin, der für Bosch den Elektromoped-Sharingdienst Coup aufgebaut hat. „Wir wollen Marktführer in Europa werden“, sagt Leuschner.

Auch Mytaxi und Lukasz Gadowski steigen ein

Doch nicht nur er. Auch Lukasz Gadowski setzt auf den Rollerhype. Er gehört zu den erfolgreichsten Berliner Gründern, war der erste Geldgeber bei StudiVZ und baute dann Lieferheld zur Delivery-Hero-Gruppe aus. Nun ist er Geschäftsführer der frisch gegründeten LMTS Germany Gmbh und will unter der Marke GoFlash Elektroroller vermieten. Erstes Ziel ist offenbar Zürich, dort rekrutiert das Start-up schon Personal. Zudem sammelt Gadowski Geld für sein Unterfangen. Erste Anlaufstelle dürfte dabei Target Global sein, schließlich arbeitet Gadowski seit einiger Zeit für den Wagniskapitalgeber, und seine Scooter-Firma ist unter der gleichen Adresse am Schinkelplatz registriert. Target Global ist einer der größten Investoren in Deutschland und hat erst im Sommer einen 100-Millionen-Dollar schweren Fonds für Mobilitäts-Start-ups aufgelegt. Und auch Mytaxi steigt in das Geschäft ein. Noch in diesem Jahr soll in einem europäischen Markt ein Pilotprojekt starten, kündigte der Taxi-Vermittler an. „E-Scooter sind effiziente und umweltfreundliche Fortbewegungsmittel, die sich insbesondere für Kurzstrecken von ein bis zwei Kilometern eignen“, sagt Mytaxi-Chef Eckart Diepenhorst. Der Dienst soll unter einer eigenen Marke starten, aber auch über Kombinationen mit der Taxi-App denkt die Daimler-Tochter nach. Zudem hat Mytaxi für seine Roller natürlich auch Deutschland im Visier. „Wir hoffen aber, dass es hier bald zu einem Fortschritt kommt“, sagt Diepenhorst.

Roller stammen meist von Segway-Firma

Wer in das Rollergeschäft einsteigt, der braucht auch viel Kapital. Die batteriegetriebenen Gefährte beziehen fast alle Anbieter von der chinesischen Firma Ninebot, der inzwischen auch Segway gehört. Im Einzelverkauf kosten die Scooter mehr als 600 Euro. Auch der Flottenbetrieb ist aufwendig. Schließlich müssen die Roller am Abend eingesammelt, wieder aufgeladen und am nächsten Morgen erneut in der Stadt verteilt werden.

Um den Personalaufwand zu reduzieren, versucht Lime diese Aufgabe an Privatpersonen auszulagern. Wer Roller einsammelt und auflädt, kann sich etwas dazuverdienen. „Wir zahlen pro Scooter fünf bis zehn Dollar“, sagt Sun. 30 000 Personen hätten sich dafür schon angemeldet und würden 85 bis 90 Prozent der Rollerlogistik übernehmen.

Roller sind toller. Lime-Gründer Toby Sun ist von E-Bikes auf Elektroroller umgeschwenkt. Foto: promo/Lime

Damit all das bezahlt werden kann und die jeweiligen Anbieter ihre Scooter möglichst schnell, möglichst global verfügbar machen, gibt es ein finanzielles Wettrüsten. So haben Investoren jeweils schon fast eine halbe Milliarde Dollar in Lime und dessen ärgsten Konkurrenten Bird gepumpt. An Lime haben sich zuletzt auch Google und Uber beteiligt. Der Fahrdienstleister steigt aber nicht nur finanziell in das neue Segment ein. Sun bezeichnet Uber als „strategischen Partner“. Das passt zur Strategie des Mobilitätskonzerns, der zuletzt auch ins Geschäft mit elektrischen Leihfahrrädern eingestiegen war.

Viele der neuen Roller-Firmen haben es erst mit Leihrädern probiert oder bieten beides an. So verteilt der Berliner Fahrradverleiher Byke nun unter der Marke Wind ebenfalls E-Scooter. Und Lime ist in Berlin bislang auch nur mit seinen grünen E-Bikes präsent. „Die Roller sind jetzt aber unser Fokus“, sagt Sun. Den Firmennamen hat er von Limebike in Lime geändert. Wohl auch, weil der Leihradboom so schnell abgeebt ist, wie er kam. Anbieter wie Obike oder Ofo, die über Nacht Städte mit ihren Rädern voll- stellten, waren von einem auf den anderen Tag nicht mehr erreichbar.

Rechnet sich das Geschäft?

Die große Frage ist freilich, ob das Rollergeschäft so viel besser laufen wird. „Fast jeder hat selbst ein Fahrrad, daher kommt es für viele nicht infrage, eins auszuleihen“, sagt Tier-Chef Leuschner. Doch warum sollten die dann das Rad gegen seine Roller tauschen? „Man kommt dann nicht verschwitzt zum Termin“, sagt der Gründer. Zudem setzt er auf den Spaßfaktor.

Er hofft daher, dass die geplante Regulierung den Gefährten keine zu engen Grenzen setzt. „Eine Geschwindigkeit von 25 km/h ist optimal, da macht es richtig Spaß“, sagt Leuschner. Der aktuelle Entwurf des Verkehrsministeriums sieht allerdings eine Begrenzung auf 20 km/h vor. Sie sollen vorzugsweise auf Radwegen fahren; gibt es die nicht, müssen sie auf die Straße ausweichen. Die Fahrer müssen mindestens 15 Jahre alt sein und einen Mofa-Führerschein oder eine andere Fahrerlaubnis besitzen. Eine Helmpflicht gibt es nicht, auch wenn die Anbieter dies empfehlen. Über die Details wird derzeit noch beraten. Wenn es schnell geht, könnte die „Verordnung zur Genehmigung von Elektrokleinstfahrzeugen“ noch in diesem Jahr in Kraft treten.

In den USA herrscht allerdings auch keine totale Rollerfreiheit, wie ein Blick auf das Smartphone des Lime-Chefs zeigt. Auf der Karte zoomt er auf das Silicon Valley, überall leuchtet das runde Limettensymbol - bis auf San Francisco. Ausgerechnet in seiner Heimatstadt dürfen die Roller nicht fahren. Nachdem im Frühjahr plötzlich tausende Fahrzeuge herumstanden, schritt die Stadt ein. Nun haben zwei kleinere Konkurrenten die Erlaubnis bekommen, im Rahmen eines einjährigen Tests jeweils gut 600 Roller anzubieten. „Das Verfahren war intransparent und unfair“, schimpft Sun. Vor Gericht streitet er um eine Zulassung. Bis entscheiden ist, erobert Lime schon die nächsten Städte. Womöglich auch Berlin.