Mein Freund, der Smombie
Der Handywecker hört endlich auf zu klingeln. Ich schlage die Augen auf, weil sich mein Arm leer anfühlt. Mein Freund, der gerade noch neben mir lag, ist verschwunden. In Unterhose kniet er vor dem Bett. Das Smartphone noch am Ladekabel in seiner Hand, ist er in sein Handy hinein verschwunden. Ich versuche, ihn zurückzurufen. Doch seine Erreichbarkeit hat bereits den Ort gewechselt.
Mein Freund ist ein Smombie, ein Smartphone-Zombie. Das Jugendwort 2015 beschreibt Menschen, die auf ihre Smartphones starrend durch die Gegend irren wie Halbtote. Blind für ihre Umgebung stehen sie ihren Mitmenschen im Weg herum, laufen in sie hinein oder blockieren – dabei soziale Unruhe stiftend – für fraglich lange Zeit die WG-Toilette. Ein Smombie hat seine Umwelt auf lautlos gestellt, manchmal sogar komplett geblockt.
Ich habe auch ein Smartphone. Auch ich erwische mich beim smombeln. Zum Beispiel, wenn ich auf die U-Bahn warte (@bvg #weilwirdichlieben) oder sich meine Café-Begleitung auf die Toilette entschuldigt hat und meine Hand wie von alleine nach meinem Handy greift – auf der Suche nach Ansprache.
Ein Großraumbüro in der Hand
Die Anti-Smartphone-Fraktion wird jetzt schadenfroh „Ihr Smombie-Opfer!“ rufen und liebevoll fest die Tasten auf ihrem Knochenhandy drücken, bis der Schwarz-Weiß-Bildschirm grünlich aufleuchtet. Und ja, ihr habt Recht: Wir Opfer! Und doch werdet ihr auch das nächste Mal, wenn wir nach einer Party auf der Straße im Regen stehen, geduldig warten, bis eins von uns Opfern herausgefunden hat wie wir alle am schnellsten nach Hause kommen.
Sein Telefon noch in der Hand, taucht mein Smombie nun kurz im Hier und Jetzt wieder auf – um sich ins Büro zu verabschieden. Das Smartphone ist für ihn die wichtigste Schnittstelle zwischen Beruf und Privatem. Fast die ganze Kommunikation läuft darüber, wodurch die Grenze dazwischen ins Unkenntliche verschwimmt. Es ist dann schwer zu sagen wo Arbeit aufhört und Zuhause beginnt. Er muss posten, retweeten, Follower- und Freundschaftslisten checken, adden, liken, blocken, sharen, abonnieren, kommentieren, gemeinschaftliche, digitale To-Do-Listen führen. E-Mail und Nachrichten auf Signal, iMessage, Slack, Twitter, Facebook müssen beantwortet werden. Terminabsprachen finden im Gruppenfacebookchat statt und werden vom Chef mit dem neuen Häschen-GIF beantwortet, darunter postet ein Kollege noch das lustige Video, das er gerade von seinem Kind gemacht hat. Haha! Smiley-Zwinker. Like. Like.
Fröhliches Großraumbüro eben, doch dieses hält man in der Hand und trägt es den ganzen Tag mit sich herum.
Die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs
Auf dem Weg zu meiner Arbeit, die noch ungewöhnlich viel auf Papier stattfindet, sitze ich in der U-Bahn. Eine Frau sitzt mir gegenüber. Auf ihrem Smartphonebildschirm schiebt sie bunte Kästchen in Obstform zusammen. Neben ihr ihre kleine Tochter, die zwei Stationen gelangweilt wartet und dann doch mit einem entrüsteten „Mama!“ ihrer Mutter das Handy entreißt, um selbst Obst zusammen zu führen. Zwei Stationen weiter hat sie den Highscore der Mutter geknackt.
2015 wurde nicht nur der Neologismus Smombie gekürt, es erschien auch eine Studie von der Werbeabteilung des Softwareunternehmens Microsoft. Die Studie besagt unter anderem, dass die Fähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren, sich bei Mediennutzern seit dem Jahr 2000, als die „Mobile Revolution“ begann, bis 2013 im Durchschnitt von 12 auf 8 Sekunden verringert hat. Ein Goldfisch hat eine Aufmerksamkeitsspanne von 9 Sekunden.
Erziehung & Bowling
Im Bus auf dem Rückweg von der Arbeit betrachte ich auf meinem Smartphone mindestens 11 Sekunden lang ein Bild eines Goldfischs. Verschiedene Messenger sagen mir, dass mein Freund seit 32 Minuten nicht mehr online war. Ich bemerke, wie ich automatisch mein Handy zurück in meine Tasche lege. Ich weiß: Sein Handy ist aus. Er ist in einer offiziellen Besprechung oder, noch wahrscheinlicher, sein Akku ist leer, der portable Extra-Akku auch und kein Ladekabel zur Hand.
Wir schaffen es trotzdem, uns zu treffen. In einem kleinen Restaurant sitzt uns eine vierköpfige Ikea-Katalog-Familie gegenüber. Sobald er aufgegessen hat schiebt der Vater seinen Teller beiseite und nimmt sein Handy in die Hand. Das Gespräch am Tisch verstummt kurz. Die Blicke der Kinder gehen, den Familienkrach erwartend, zur Mutter. Der Vater scrollt grinsend auf seinem Handybildschirm hin und her. Die Mutter räuspert sich pikiert, eins der Kinder versucht, seine vereinbarte halbe Stunde Medienzeit einzufordern. Wie ertappt taucht der Smombie jetzt wieder auf und sagt etwas zu laut: „So! Und ich find jetzt mal für uns alle raus, wo das nächste Bowlingcenter ist.“