Zwischen Internetriesen und Startups
Wenn Andreas Mundt mit seinem großen schwarzen Rucksack auftaucht, könnte man ihn für alles Mögliche halten. Für einen Touristen, für den netten Nachbarn von nebenan oder vielleicht auch für einen Lehrer. Ganz bestimmt aber nicht für den Chef einer der mächtigsten Behörden Deutschlands, des Bundeskartellamts. Das liegt nicht nur am Rucksack, in dem Mundt seine Akten herumträgt, sondern auch an der offenen Art, die dem 55-Jährigen schon durch seinen Geburtsort Bonn in die Wiege gelegt worden ist. Doch Outfit und Gestus können leicht darüber hinwegtäuschen, dass Mundt in der Sache knallhart ist. Wenn es darum geht, den Wettbewerb zu verteidigen, legt sich der Jurist gerne auch mit den ganz Großen an. Seine Lieblingsgegner derzeit: Internetriesen wie Facebook, Google, Amazon und Co.
Denen will Mundt mit einem neuen Gesetz das Leben schwerer machen. Und er hat dabei einen gewichtigen Verbündeten – Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Auch Gabriel ist die Macht der Internetkonzerne, die aus den USA kommen und die europäische Internetwirtschaft dominieren, nicht geheuer. Spätestens seit der Übernahme von Whatsapp durch Facebook sehen Gabriel und Mundt Handlungsbedarf. Denn obwohl Facebook-Chef Mark Zuckerberg beeindruckende 19 Milliarden US-Dollar für den Nachrichtendienst auf den Tisch gelegt hatte, wäre der Deal beinahe an den Wettbewerbsbehörden vorbeigelaufen. Denn die richten sich bei ihrer Prüfung bislang nicht nach dem Kaufpreis, sondern nur nach den Umsätzen der beteiligten Firmen, und der ist bei Whatsapp zu vernachlässigen. Schließlich landete der Fall zwar doch noch bei der EU-Kommission, doch Brüssel winkte die Milliardenübernahme durch – sehr zum Ärger der Deutschen.
Macht der Netzwerke soll begrenzt werden
Das ist zwei Jahre her. Seitdem wird in Bonn und Brüssel überlegt, wie die Wettbewerbsbehörden schlagfertiger werden können. Jetzt ist die Bedenkzeit vorbei. Vor zwei Wochen präsentierte Wirtschaftsstaatssekretär Rainer Sontowski (SPD) den Entwurf für eine Reform des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Darin gibt es neben zahlreichen anderen Vorschriften Regelungen, die der Internetwirtschaft Fesseln anlegen können. „Grundsätzlich hat sich das GWB bewährt, doch angesichts der zunehmenden Digitalisierung der Märkte ist jetzt eine Anpassung erforderlich“, sagt Sontowski.
Punkt eins: Auch Märkte, in denen nicht mit Euro und Cent, sondern mit Daten bezahlt wird, sollen künftig der Kontrolle des Kartellamts unterliegen, heißt es in dem Entwurf. Zwar geht die Wettbewerbsbehörde schon heute gegen Facebook vor, bewegt sich damit aber auf juristischem Neuland. Das aktuelle Verfahren, das sich um die Marktmacht des Netzwerks und die Frage dreht, ob die Nutzer nicht wohl auch mangels alternativer Anbieter Facebook so viele ihrer Daten preisgeben, halten in der Internetszene viele für eine abenteuerliche Rechtsfortbildung. Mit einem Gesetz im Rücken ließen sich solche Verfahren über den Missbrauch von Marktmacht für die Wettbewerbswächter deutlich leichter führen.
Punkt zwei: Bundeswirtschaftsminister Gabriel will in der Novelle künftig auch den Kaufpreis als ein weiteres Kriterium für eine Fusionskontrolle der Wettbewerbsbehörde einführen. Liegt der über 350 Millionen Euro, soll das Bundeskartellamt den Zusammenschluss prüfen können, eine unmittelbare Reaktion auf Facebook/Whatsapp.
Was passiert, wenn Start-ups nur noch schwer verkauft werden können?
Der Einfluss der Wettbewerbshüter auf die Gesetzgebung ist nicht zu übersehen. „In den Referentenentwurf sind offensichtlich das Arbeitspapier des Bundeskartellamts und das Sondergutachten der Monopolkommission eingeflossen“, sagt Achim Wambach. Er leitet das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und ist Chef der Monopolkommission. Das Beratergremium hatte sich im vergangenen Jahr für bessere Eingriffsmöglichkeiten des Kartellamts bei Fusionen im Internetbereich ausgesprochen. Das Wort der Wettbewerbsexperten scheint im Bundeswirtschaftsministerium größeres Gewicht zu haben als das der Internetökonomie. „In Deutschland wird das Lobbying von Internetkonzernen wie Google und Facebook nicht so stark wahrgenommen“, weiß Wambach. „Die Konzerne bewegen sich eher auf europäischer Ebene.“ Das könnte sich jetzt als Fehler erweisen. Denn Deutschland will sein verschärftes Wettbewerbsrecht als Blaupause für eine Neuregelung auf EU-Ebene nutzen. Zur GWB-Novelle wollen sich weder Facebook noch Google äußern.
„Meines Wissens werden wir das erste Land sein, das bald solche gesetzlichen Regelungen für die Internetwirtschaft hat“, freute sich Kartellamtschef Andreas Mundt kürzlich im Tagesspiegel-Interview. Für Florian Nöll, Sprecher der Start-up-Gemeinde Deutschlands, ist das eine Horrorvorstellung. Der Vorsitzende des Start-up-Verbands warnt vor nationalen Sonderschranken. „Eine nationale Lösung macht für europäische und internationale Unternehmen keinen Sinn“, sagt Nöll. Im Gegenteil: Wenn Investoren damit rechnen müssten, dass sie erfolgreiche Start-ups künftig nicht mehr verkaufen können, ohne Ärger mit dem Bundeskartellamt zu bekommen, würden die Geldgeber vielleicht künftig nicht mehr in Berlin investieren, sondern in Dublin oder Paris.
Michael Fuchs teilt diese Bedenken. „Das Kartellrecht muss sich den neuen digitalen Wirklichkeiten und Geschäftsmodellen stellen“, erklärt der CDU-Fraktionsvize. „Gleichzeitig brauchen wir Rückenwind für Gründungen und junge Unternehmen“, mahnt Fuchs. „Im Bundestag werden wir uns genau anschauen, ob der Entwurf unvertretbare Nebenwirkungen für den Gründungsstandort Deutschland hat.“
#Lob von Verbraucherschützern
In der SPD ist man dagegen auf der Linie des Parteivorsitzenden. Der Entwurf geht in die „richtige Richtung“, lobt Markus Held. Er ist Berichterstatter seiner Fraktion für die GWB-Novelle und sieht wie Gabriel Handlungsbedarf in der digitalen Wirtschaft. Bedenken, Übernahmen könnten künftig an der 350-Millionen-Euro-Schwelle scheitern, begegnet der Abgeordnete aus Worms eher mit Spott. „Ich würde mich freuen, wenn es solche Erfolge gäbe“, sagt der SPD-Politiker mit Blick auf die eher kleinteilige deutsche Start-up-Branche. Wenn es so weit sei, könne man die Schwelle dann ja entsprechend heraufsetzen.
Lob für Gabriel gibt es auch von Verbraucherschützern. Denen geht die Datensammelwut von Facebook und Co. ohnedies zu weit. Gegen Facebooks neue Geschäftsbedingungen hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) Klage eingereicht, die Flankierung durch das Kartellamt kommt da gerade recht. Kein Wunder, dass Verbraucher- und Wettbewerbsschützer in ihrer Analyse einig sind. „Facebook ist so groß, dass Verbraucher, selbst wenn sie wollten, nicht auf ein anderes Netzwerk ausweichen können“, sagt Lina Ehrig, Datenschutzexpertin des VZBV. Und der Konzern wird immer größer. Ein Jahr nach dem Deal habe Facebook begonnen, Daten mit Whatsapp auszutauschen, gibt Ehrig zu bedenken. Auch Googles Expansion sieht sie kritisch: Indem Google seine wichtigsten Apps auf alle Handys mit dem Google-Betriebssystem Android per Voreinstellung platziert, werden die Dienste immer wichtiger und größer. Die GWB-Novelle, meint die Verbraucherschützerin daher, „ist absolut richtig“.
Bis Ende dieser Woche müssen die beteiligten Ministerien, Verbände und Länder Stellung nehmen. 111 Seiten umfassen Gesetzestext und Begründung. „Sehr sportlich“ sei die Fristsetzung, heißt es in der Internetszene. Eigentlich wollte das Kabinett die Reform schon Ende August verabschieden, im September hätten Bundestag und Bundesrat sich in erster Lesung mit dem Vorhaben beschäftigen sollen. In den Fraktionen hatte das verständlicherweise für Gemurre gesorgt. Denn seit dieser Woche ist Sommerpause im Berliner Politikbetrieb, erst in der ersten Septemberwoche nehmen die Parlamentarier ihre Arbeit wieder auf. Große Mitsprachemöglichkeiten hätte es beim ursprünglichen Zeitplan also nicht gegeben. Die Fraktionen haben interveniert und mehr Zeit herausgeschlagen. Nun wird sich das Kabinett erst Ende September, Anfang Oktober mit der Novelle beschäftigen, sagt Held. „Wir wollen erst einmal alle Stellungnahmen lesen.“ Wirtschaftsstaatssekretär Sontowski ist dennoch zuversichtlich, dass die Novelle bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein wird: „Wir sind guten Mutes, dass wir das schaffen.“
Mitarbeit: Sonja Álvarez