Niedrige Drehzahl – Warum Frauen so wenig Filme machen
Mitten im Sommer 2016 weiß natürlich noch niemand, dass in diesem Jahr Maren Ade als erste Frau den Europäischen Filmpreis gewinnen wird. Dass das so erleichtert aufgenommen werden wird, wie ein Regenguss nach langer Dürre. Wenn einer hineinzoomt in dieses sommerliche Land, wie eine Kamerafahrt im Film, hineinzoomt nach München, Ismaning, in den Medienpark, dort auf das Studiogelände Agrob, wo eine Folge der Soko-München produziert wird, trifft man auf Konzentration, Dutzende Mitarbeiter am Set verstummen, von 45 Minuten werden heute neun gedreht. „Und bitte“, ruft die Regisseurin.
Sie arbeitet gegen die Statistik: Homöopathische 11,9 Prozent der Erstausstrahlungen im ZDF am Abend wurden 2015 von Frauen inszeniert. Im Kino, das sich gerade wieder auf der Berlinale feiert, ist es kaum anders. Männerparty, Frauenanteil 15,7 Prozent.
Sicher können auch Frauen entscheiden, wie viel man von einer Leiche sehen soll, sie haben nur so selten Gelegenheit. 2015 haben bei 20 Prozent der Soko-München-Folgen Frauen Regie geführt. Frauenquote bei der Soko Leipzig, Soko Stuttgart, Soko Wien: null Prozent.
Kein Geld, keine Filme
Dass man das inzwischen überhaupt weiß, ist das Verdienst einiger Frauen, die sich vor vier Jahren sagten, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Sie taten dann mit viel Aufwand etwas sehr Einfaches: Sie zählten nach. So erschien 2014 der erste Diversitätsbericht, weil man beim Bundesverband Regie wissen wollte, ob die Unwucht der Geschlechter im Filmbusiness so schlimm ist, wie sie sich anfühlte. Seither weiß man: Nein, noch schlimmer. Seitdem ist das Thema in Deutschland auf dem Tisch.
Zum ersten Mal hat der Tagesspiegel deshalb alle verfügbaren Daten öffentlicher Förderungen erhoben und ausgewertet. Das Ergebnis ist eklatant: Im Jahr 2015 gab es 176,1 Millionen Euro Filmförderung für 633 Filme von Männern, 42,5 Millionen für 223 Filme von Frauen.
Bekommen Frauen einfach weniger Geld? Liegt da das Problem? Erfolgsentscheidend sind auch die Filmkritiker. Und die, auch das hat der Tagesspiegel erstmals erhoben, bevorzugen Filme von Männern (s.u.).
Es tut sich was
Diskutiert wird über das Thema heiß, doch das reicht nicht. Man muss die Menschen treffen, die seit Jahren daran arbeiten, dass sich etwas ändert. Inzwischen bekommt man zumindest einen Termin, um sich bei Sendern vorzustellen, heißt es. Regisseurinnen und Autorinnen werden manchmal sogar gesucht. Das ZDF, das im Bericht noch am schlechtesten wegkam, schreibt zur aktuellen Soko-Staffel: „Eine weitere Besonderheit der neuen Folgen ist, dass etwa die Hälfte der Staffel von Frauen geschrieben und von Frauen inszeniert wurde.“ Ist also irgendetwas anders hier am Set in München?
Die Soko-Ermittlerin Toni Bischoff, alias Amanda da Gloria, Frau und Männertraum, sagt, ihre Regisseurin sei vielleicht sogar etwas mutiger, als sie es von deren männlichen Kollegen kennt. Die Soko hat ja wechselnde Regisseure, unter denen ihre Rolle konstant glaubhaft bleiben muss. Die jetzige habe aber weniger Angst, Einzelheiten der Rolle zur Diskussion zu stellen. Der Schauspieler Jörg Witte sagt, er arbeite seit 17 Jahren beim Film, er hat vorher sogar mal ein eigenes Theater gehabt, aber dass eine Frau Regie führt, erlebe er zum ersten Mal.
Dann Wurstbrötchen, Kaffee, frische Ananas und Snickers. Jörg Witte wird drehfertig gemacht. „Kriegt der Jörg etwas mehr Augenlicht?“, fragt die Regie.
»Geschäftsschädigend«
Gender ist für viele Betroffene noch immer ein bedrohliches Thema. Für das Remake des Films „Ghostbusters“ mit weiblichen Helden, erhielt schon der Trailer die meisten Dislikes in der Geschichte von Youtube, Sexismus-Debatte inklusive. Es scheint noch immer gefährlich, auf Missstände persönlich hinzuweisen. Eine Regisseurin, die erst bereitwillig mit dem Tagesspiegel sprach, hält es danach plötzlich für „geschäftsschädigend“, wenn man sie mit ihrem Engagement für Frauen „in Zusammenhang bringt“. Als würde der Zusammenhang nicht schon bestehen. Sie zieht ihre Zitate an dem Tag zurück, an dem vor Gericht das Ansinnen einer ZDF-Reporterin abgewiesen wird, die auf gleiches Gehalt geklagt hatte. Das Adjektiv, das deren Aktion am häufigsten beschrieb, war: „mutig“. Darauf konnten sich alle einigen. Wer „traut“ sich schon, sich so zu exponieren? Statt mehr Gehalt, hatte man ihr eine Abfindung angeboten.
Regisseurinnen berichten deshalb nur anonym, wie sie sich 15 Jahre erfolglos für eine Krimiserie beworben haben. Man hört erklärende Sätze wie: „Frauen, die es nach oben schaffen, sind dafür so dankbar, dass sie dafür auch weniger Geld verlangen.“ „Man darf die Dinge nicht persönlich nehmen“, heißt es auch. Oft richteten sie sich nicht einmal explizit gegen die Frauen. Produzenten wählen schließlich diejenigen, mit denen sie schon immer gut zusammen gearbeitet haben. Leider entsteht dadurch auch immer ähnliches Fernsehen.
Zahlen können nicht ihren Job verlieren
In der Hoffnung, dass die Zahlen schon für sich selbst sprechen werden, erscheinen also unentwegt Studien. Zahlen dürfen alles aussagen. Zahlen können nicht ihren Job verlieren. Vor und hinter der Kamera, in Sachen Leinwandpräsenz, Sprechzeiten, Rollen, in der Aufschlüsselung nach Gewerken und Sendern, sprechen die Zahlen in der ihnen eigenen Unbestechlichkeit von den fehlenden Frauen. Eine groß angelegte Studie des Kulturrats zu „Frauen in Kultur und Medien“ erschien dazu im Sommer. „If you can see it, you can be it“, schreibt das amerikanische Geena Davis Institut. Wenn man es sehen kann, kann man es auch werden. Nur: Frauen sind in den Filmen gar nicht sichtbar. Das Institut hat das erste Software-Tool entwickelt, das automatisch Leinwandpräsenz und Sprechzeiten misst. Den Bericht gab es 2016 zum dritten Mal.
In Deutschland hat die Schauspielerin Belinde Ruth Stieve einen Lösungsvorschlag entwickelt, wie diejenigen Nebenrollen in der Masse ausgewogener besetzt werden können, bei denen es nicht wesentlich ist, ob sie von einem Mann oder einer Frau verkörpert werden. Nachdem sie vor einigen Jahren angefangen hatte, händisch die Rollen auszuzählen, stellte sie fest: Auch für Nebenrollen werden hauptsächlich Männer genommen: Der Postbote, der kurz im Bild ist, der Apotheker, der Bäcker. Warum muss der Postbote, der an der Tür klingelt, ein Mann sein? Warum kann der Kioskverkäufer keine Verkäuferin sein? Neropa nennt sie ihr Instrument, abgekürzt für „Neutrale Rollenparität“. Danach werden alle Rollen identifiziert, die nicht zwingend männlich oder weiblich sein müssen und dann 50 zu 50 besetzt.
Die andere Hälfte der Menschheit hat auch Ideen
„Mehr Frauenrollen bedeuten mehr Vielfalt, mehr Identifikationsmöglichkeiten und ein interessanteres Fernsehen. Für Frauen und Männer“, schreibt Belinde Ruth Stieve. Schließlich beinhalte es die Perspektive und die Ideen der Hälfte der Menschheit. Möglicherweise ließe sich sogar die Vergreisung des Fernsehpublikums aufhalten, wenn dort andere, buntere Lebenswelten gezeigt würden. Stieve hat zunächst einmal rosa-blaue Karten drucken lassen, die auf ihr Modell und ihre Website hinweisen.
Eine dieser Karten taucht in einem bodentief verglasten Büro am Hackeschen Markt wieder auf. Manchmal zückt Christine Berg von der FFA Filmförderungsanstalt so eine Karte und reicht sie als Anregung den Produzenten und Regisseuren über den Tisch, die gerne eine Förderung wollen. Die FFA gehört neben dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien zu den mächtigsten Filmförderern der Republik mit einem jährlichen Etat von rund 76 Millionen Euro.
Die Tonlage habe sich verändert, seitdem der erste Diversitätsbericht 2014 der emotionalen Diskussion ein Fundament aus Fakten gegeben hat. „Es wird nun eine sachliche Debatte geführt, die uns Frauen auch steht“, sagt Berg. Es geht heute darum, dass man die Inhalte, die von Frauen kommen, in den Filmen sehen will, die Vielfalt der Perspektiven, und dass man nun statt wütender Anklagen kühl nachsehen könne, an welchen Stellschrauben für die Umsetzung zu drehen ist. Alle seien an fundiertem, statistischem Material interessiert, auch die Sender. Bisher ist da systematisch nur die Regie angeschaut worden, was auch dem Verein „Pro Quote Regie“ zu verdanken ist. Für die Autoren und den Schnitt gibt es aber noch keine belastbaren Zahlen über einen längeren Zeitraum.
»Wir würden ja gerne«
„Warum nehmen Sie für das Drehbuch keine Frau?“, fragt Berg manchen Produzenten. Ein Teil sagt dann erstaunt, ganz ehrlich, stimmt, da hätten sie noch nie drüber nachgedacht. Vor ihr sitzen Männer, die sagen: Sie würden ja gerne Frauen beschäftigen, aber wo gebe es die denn? Christine Berg holt dann eine lange Liste mit den Namen vielversprechender Kandidatinnen hervor.
„Mir hat man beigebracht, ein Mann arbeitet besser als eine Frau. Warum eigentlich?“, fragt Berg. Das Ziel müsse sein, nicht andere anzugreifen, sondern sich selbst zu hinterfragen. Dann mache man interessante Beobachtungen. Christine Berg ist nicht für die Quote. „Aber man kann verlangen, dass es Frauen genauso schwer oder leicht haben wie Männer.“
Filmförderungen machen einen Großteil des Budgets deutscher Filmemacher aus. Insgesamt vergeben die FFA, der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien und unzählige Landesförderanstalten mehr als 300 Millionen Euro jährlich. Im Sommer 2016 hat die FFA plötzlich festgestellt, dass genau die Hälfte ihrer Förderungen für die kommenden zwölf Filme an Frauen gehen würde. Das war dann eine Pressemitteilung wert.
Vielleicht muss man mit der Sensibilisierung noch früher ansetzen. Was, wenn schon die Ausbildung anders liefe?
Ein anderer Schnitt
Susanne Foidl ist seit 2013 Gleichstellungsbeauftragte an der Filmuni Babelsberg. Ein Posten, um den sich niemand reiße, denn man sitze zugleich in einer Ecke, zwischen allen Stühlen, „und immer ein blöder Witz im Fahrstuhl“. Foidl sieht ihren Arbeitsauftrag auch darin, „Humor in eine völlig humorlose Debatte“ zu bringen. Sie muss in ihrer Arbeit noch tiefer ins Detail.
„Rosa und blau springen uns allen sofort ins Auge“, sagt Foidl. Doch das Problem liegt tiefer: Wir sind alle durchdrungen von gesellschaftlichen Geschlechterbildern, die kulturell tief verankert sind. Sie sind Folge von Erziehung.
Möglich, dass Filme deshalb so werden, weil Filme schon immer so waren. Weil sie alles sind, was die Menschen gesehen haben. Weil eben diese Filme das Weltbild formen, auch wenn die reale Welt von diesem Bild gehörig abweicht.
Selten sind im Film zum Beispiel Frauen alleine zu sehen, „meistens gibt es noch einen Mann im Anschnitt.“ Wenn zwei Frauen miteinander reden, dann häufig über Männer. Außerdem sei die Wahrnehmung gefärbt, sagt Foidl. Wenn in einem Film zum Beispiel nur eine Frau dabei ist, hat man subjektiv das Gefühl, alle Frauen wären repräsentiert. Vielleicht glauben deshalb manche, das Problem fehlender Regisseurinnen sei schon gelöst, nur weil es Doris Dörrie und jetzt Maren Ade gibt.
Foidl ist Diplom-Schnittmeisterin, ein Schlüssel-Gewerk. „Die Butler’sche Konstruktion von Geschlecht kann man an der Montage sehr gut sehen.“ „Editing Gender“ heißt eines ihrer Seminare, in dem es darum geht, dass man im Schneideraum dem gedrehten Material noch jegliche Bedeutung geben kann. Es geht dort zum Beispiel um die paar Sekunden, die einer wartet, um eine Bemerkung als ernst oder als Witz erscheinen zu lassen. Solche Details formen die Aussage. Wirkt die flirtende Frau im Tatort als Frischfleisch oder souverän?
Mit Rollen spielen
Es ist eine mühsame Arbeit, die Generationen dauert. Immerhin hat Foidl etwas Macht, einen Beschleuniger in Form von Fördergeldern, sieben Prozent der Haushaltsmittel. Seitdem es dieses Geld gibt, bewerben sich auch Männer darum. Einmal kam ein Regiestudent, der wollte Förderung, weil sein Cast nur aus Frauen bestand. Dem musste sie sagen: „Frau sein alleine reicht nicht.“ Und wenn nur Frauen für einen Mann arbeiten, zementiere das eher die alten Geschlechterrollen. Was denn die Aussage seines Films sei?
Foidl muss in die Details gehen, die Botschaft des Films verstehen, mit den Autoren sprechen. Sie hat als Konsequenz daraus schon einen Porno gefördert, weil er den weiblichen Blick auf die Lust zeige. Der habe bislang gefehlt. In ihren Lehrveranstaltungen zur Montage stellt sie gerne die Aufgabe: Macht das Material witzig. So kann man mit Geschlechterbildern spielen. Dann muss der Zuschauer selbst auf den Trichter kommen.
Die Daten
Um auszuwerten, mit wie viel Geld die Filme von Regisseuren, bzw. Regisseurinnen insgesamt gefördert wurden, haben wir alle verfügbaren Jahresberichte und Fördermitteilungen der nationalen und regionalen deutschen Filmfördertöpfe zusammengefasst. Dabei wurde jede Förderart berücksichtigt, die auf einen Regisseur, bzw. auf eine Regisseurin zurückgeführt werden kann, egal ob Produktionsförderung, Verleihförderung, oder Präsentationszuschüsse. Nicht einbezogen wurden Drehbuchförderungen und Treatmentförderungen, da hier oft noch nicht feststeht, wer der/die Regisseur/in sein wird. Ebenfalls nicht mitgerechnet wurden Referenzfilmförderungen und Darlehen. Denn Referenzfilmförderung wird automatisch nach dem Erfolg vorangegangener Filme vergeben, somit kann kein Gremium darüber entscheiden. Zu beachten ist auch, dass sowohl Serien, als auch Dokumentar- und Spielfilme berücksichtigt wurden.
Die volle Tabelle mit allen erhoben Förderdaten für 2015 stellen wir hier unter einer Creative Commons Lizenz mit Namensnennung (CC BY 3.0 DE) zur Verfügung. Sollten Sie darin Fehler entdecken, freuen wir uns über Hinweise an digital@tagesspiegel.de.
Für die Besucherzahlen und die Analyse der Medienpräsenz von Filmen, sind wir von der Top 100 Liste der meistbesuchten deutschen Filme und Koproduktionen der Filmförderanstalt ausgegangen. Anschließend wurde über die Pressedatenbank GENIOS ermittelt, wie viele Erwähnungen es pro Film in überregionalen Zeitungen und Magazinen gab. Das konnten sowohl Ankündigungen als auch Festivalberichte oder Filmrezensionen sein. Die Ergebnisliste steht ebenfalls unter der Lizenz CC BY 3.0 DE als Open Data zur Verfügung.
Nachträglicher Hinweis: Nicht erhoben haben wir in unserer Recherche die Zahl der Anträge auf Filmförderung nach Geschlecht. Wir haben den Hinweis bekommen, dass auch hier ein großes Ungleichgewicht herrscht, zumindest bei den Anträgen an die FFA. Dies ergab eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Tabea Rößner, Sprecherin für Medien, Kreativwirtschaft, digitale Infrastruktur bei den Grünen im Bundestag.