Wie ein Berliner den Kunstmarkt digitalisieren will
Die Klimaanlage surrt leise, ansonsten ist es an diesem Sonntagmorgen in der Galerie Perrotin in New Yorks Lower Eastside so still, dass man nur flüsternd über die spektakuläre Installation zu sprechen wagt: Eine gigantische Perlenkette, die sich wie ein Wirbelsturm hoch zur Decke schlängelt. „Dark Matters“ heißt die Ausstellung, zu sehen sind Werke des französischen Bildhauers Jean-Michel Othoniel. Neben der Perlen-Skulptur werden Perlen-Bilder auf goldschimmerndem Papier gezeigt. Hübsch – was sie wohl kosten? Kein Preisschild zu sehen. Also muss die „Gallerina“ gefragt werden, die gut gekleidete Frau am Empfang, die die Besucher kurz mustert und nun im Hinterzimmer verschwindet, um wiederum ihren Chef zu fragen. Leises Tuscheln, eine unangenehme Situation.
„Warum hat man das Gefühl, in vielen Galerien erst einen Schönheitswettbewerb bestehen zu müssen, bevor man eine relevante Information bekommt?“, sagt Magnus Resch. Der Startup-Gründer aus Berlin will zeigen, dass es auch anders geht und hat dafür eine App entwickelt, die den Kunstmarkt grundlegend verändern soll. Das Prinzip ist einfach und erinnert an die App Shazam, die laufende Musik in Sekunden analysiert, Titel und Interpret nennt.
Preissuche per Handybild
Bei Reschs’ App fotografiert der Nutzer mit seinem Smartphone ein Kunstwerk, das er in einer Galerie oder einem Museum sieht. In diesem Fall das Perlen-Bild von Othoniel. In Sekundenschnelle wird eine Datenbank durchforstet, um alle wichtigen Informationen zum Werk anzuzeigen: Wie es heißt, wer der Künstler ist, wann es geschaffen wurde, was es kostet. In diesem Fall: „Black Lotus“, 2016, 55.000 Dollar .
Keine unangenehmen Nachfragen mehr, kein peinliches gemustert werden, alle relevanten Informationen sind sofort verfügbar. „Wie im Autohaus“, sagt Resch. Dort stehe doch auch neben jedem Wagen, wie viel er kostet, von welcher Marke er ist, was er leistet und wann er gebaut wurde. „Warum gibt der Kunstmarkt sich so elitär?“, kritisiert Resch. „Ich will erreichen, dass er transparenter wird und sich für mehr Menschen öffnet, denn davon profitieren am Ende alle Beteiligten: Die Käufer, die Galerien, vor allem aber auch die Künstler selbst.“ Wie überzeugt er von sich und seiner Idee ist, zeigt allein der Name der App: „Magnus“ heißt sie, so wie er selbst.
Ein prominenter Türöffner
Für sein Startup bekommt Resch seit Kurzem auch prominente Unterstützung: Hollywoodstar Leonardo DiCaprio. Er sei „stolz“, in die App zu investieren, schreibt der Oscarpreisträger auf seiner Facebookseite, denn „Magnus“ bringe die Menschen zur Kunst. Ob er nur einen symbolischen Dollar investiert hat oder eine Million, teilt DiCaprio nicht mit.
Auch Resch schweigt dazu, aber allein DiCaprios Name öffnet Türen, hilfreich in der New Yorker Kunstszene, in der jeder wichtiger als der andere ist. Lisa Schiff ist hier tatsächlich eine Größe, die Kunstberaterin hilft Promis wie DiCaprio, ihre Sammlungen aufzubauen. Schiff dürfte den Schauspieler auch auf „Magnus“ aufmerksam gemacht haben, zumindest nennt sie die App in der „New York Times“ einen „Game Changer“, weil sie Nutzern helfe, informierter zu sein und sich damit wohler zu fühlen beim Besuch einer Galerie.
Kunsthandel auf dem Schulhof
Resch, 33, kinnlange Haare, runde Brille und so freundlich, dass jede Oma von ihm sofort über die Straße geführt werden will, hat selbst natürlich gar kein Problem damit, in Galerien nach Preisen zu fragen oder über Kunst zu plaudern – nicht, weil er als „rich kid“ mit einem Kandinsky überm Kinderbett aufgewachsen ist, sondern weil er schon auf dem Schulhof merkte, wie reizvoll das Geschäft mit der Kunst sein kann. Sein Gymnasium in Düsseldorf lag gegenüber der renommierten Kunstakademie, ein Student überließ ihm ein Werk auf Kommission, das er für 1000 Euro an den Freund seines Bruders verkaufte, wie er erzählt. Während seines Studiums gründete Resch eine Galerie, er promovierte über Galerie-Management an der Hochschule St. Gallen, schrieb dazu ein Buch und unterrichtet heute an der Columbia University in New York, wo er auch seit vier Jahren lebt.
Dabei ist Reschs’ Gründerkarriere bisher nicht nur von Erfolgen gekrönt, was in den USA kein Nachteil ist. Mache Fehler - und lerne daraus, ist hier das Motto. Oder wie Resch im schönsten Denglisch sagt: „Lieber mal was machen und failen, als gar nichts machen“. 2012 ging Reschs’ Berliner Tischreservierungsportal Gourmeo pleite, da hatte er aber schon wieder die nächsten Ideen. Ein Schmuckportal, eine Fitnessplattform, Resch gründete Firmen „wie andere Leuten WhatsApp-Gruppen“, schrieb die „FAS“ einmal.
Er war Geschäftsführer des Berliner Inkubators Springstar, wurde zwischendurch zum Gespött im Netz mit einem Youtube-Video. 2013 versetzte er dann schon einmal die Kunstszene mit einer Geschäftsidee in Aufruhr: Larryslist. Das Online-Verzeichnis soll zeigen, wer welche Künstler sammelt, wie viele seiner Werke und wo – ein Thema, über das die Szene nur ungern so offen spricht, wohl aus Sorge, dass zu viel Transparenz die Preise verdirbt.
Kleinkrieg auf dem Online-Kunstmarkt
„Aber das Gegenteil ist der Fall“, ist Resch überzeugt. Es würden sich viel mehr Leute für Kunst interessieren, als Leute Kunst kaufen. Und diese will er nun mit „Magnus“ erreichen. Es geht ihm nicht um die Superreichen, die ohnehin Berater an ihrer Seite haben, sondern um die anderen 99,9 Prozent.
Der Markt boomt: 63,7 Milliarden Dollar wurden nach Angaben des Statistikportals Statista weltweit 2017 mit Kunst umgesetzt, das sind fast zehn Milliarden Dollar mehr als im Vorjahr. Dazu beigetragen hat auch der Online-Markt für Kunst, der immer stärker wächst, 2017 um zwölf Prozent auf 4,2 Milliarden Dollar.
Doch nicht alle Teilnehmer sind begeistert, wenn neue Mitspieler wie Resch in den Markt drängen. Denn je intransparenter der ist, desto größer die Chance, mit Beratung Geld zu verdienen. Kunstdatenbanken wie Artprice und Artnet informieren detailliert über Künstler, Werke und den Markt – kostenpflichtig.
Kurz vorm Launch von „Magnus“ 2016 gab’s deshalb Ärger für Resch. Die App nutze unbefugt Informationen aus fremden Datenbanken, lautete der Vorwurf. Der in Berlin ansässige Bundesverband deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) rief dazu auf, Beschwerde bei Apple einzulegen - zumindest kurzzeitig mit Erfolg. Der US-Konzern entfernte die App aus seinem Store, bald darauf war „Magnus“ wieder verfügbar.
Der Katalog der Crowd
Doch Silvia Zörner vom BVDG ärgert auch Reschs’ Versprechen, den Kunstmarkt demokratisieren zu wollen. „Der Markt ist bereits transparent. Jeder Mensch kann in eine Galerie gehen, sich umschauen und informieren“, betont sie.
Ob sich „Magnus“ tatsächlich zur ernstzunehmenden Konkurrenz für die etablierten Datenbanken entwickeln wird, bezweifelt sie. Tatsächlich beschweren sich Nutzer im Netz, dass die App unzuverlässig arbeite und nicht immer die gewünschten Informationen liefere. Aber genau das ist auch nicht Reschs’ Anspruch. Er setzt aufs Crowdsourcing: Findet ein Nutzer nicht das fotografierte Bild in der Datenbank, kann er die Informationen selber in der Galerie erfragen und eintragen. 40 freie Mitarbeiter, unter anderem in den USA, in Deutschland, Hongkong oder Sydney, würden die Datenbank pflegen, die inzwischen mehr als zehn Millionen Bilder umfasse. Das Tech-Team besteht wiederum aus fünf festangestellten Mitarbeitern in Berlin.
Bisher ist „Magnus“ kostenlos, Geld verdienen will Resch, in dem er eine Premium-Version anbietet, die auch Vergleichspreise anzeigt. Eine Million Downloads will er bis Ende 2018 erreichen – ein ambitioniertes Ziel, bei Google Play ist noch nicht einmal die 100.000er-Marke geknackt. Helfen dürfte Resch jedoch, dass heute ohnehin viele Leute mit dem Smartphone vor der Nase durch Galerien und Museen gehen. Auch er hat sein Smartphone immer griffbereit, beim Rundgang durch die Shin-Galerie, nur wenige Meter von Perrotin entfernt, entdeckt er ein Bild, das ihm gefällt: Ein „Subway Drawing“ von Keith Haring, ein schneller Klick auf „Magnus“ zeigt den geschätzten Preis: 400.000 Dollar – das liegt über dem Budget. Gut zu wissen.