»Warum es schwer ist, Männern selbstfahrende Autos zu verkaufen«
Warum wollten Sie herausfinden, wie deutsche Medien das Thema autonomes Fahren darstellen?
Es ging um die Faszination für das autonome Fahren. Wenn man sich Vorstellungen von der Zukunft zum Beispiel in der Werbung ansieht, dann gehört neben 3D-Druck, Virtual Reality und Drohnen autonomes Fahren immer dazu. Da geht es nicht nur darum, dass dann vielleicht niemand mehr am Steuer sitzt. Vielleicht würde diese Technik auch Privatmobilität völlig obsolet machen. Autonome Fahrzeuge muss man ja nicht zwangsläufig abstellen. Sie könnten auch immer herumfahren und Menschen wie Taxis von A nach B bringen. Da gibt es ganz verschiedene Utopien.
Und was hat das mit den vermittelten Geschlechterrollen zu tun?
Autofahren macht einen großen Teil unserer Kultur aus. Deshalb würden autonome Fahrzeuge massiv unsere Gesellschaft verändern. Mein Ausgangspunkt war, dass unsere Automobilkultur stark von Geschlechterrollen geprägt ist und auch schon immer war. Autofahren galt seit jeher als Symbol für Männlichkeit. Durch das Aufkommen von autonomen Fahrzeugen, bei denen das aktive Fahren kein wesentliches Merkmal mehr ist, kam die Frage auf, was das mit den Geschlechterrollen in unserer Automobilkultur macht.
Woran machen Sie fest, dass Autofahren als männlich gilt?
Unsere Gesellschaft ist generell von der Vorstellung geprägt, dass es zwei – und nur zwei – Geschlechter gibt. Aufgrund des Geschlechts werden Menschen grundsätzlich viele unterschiedliche Eigenschaften zugewiesen. Zum Beispiel die Idee, dass Männer technikversiert seien und Frauen eher für soziale Berufe geeignet, dass Frauen kein räumliches Vorstellungsvermögen hätten, dass Männer gut in Mathe seien und so weiter. Ganz oft werden diejenigen Eigenschaften, die der Frau zugeordnet werden, abgewertet. Zurückgehend auf Theoretikerinnen wie Judith Butler gehen wir als Forschende hingegen nicht davon aus, dass Geschlecht etwas Angeborenes ist, sondern dass das alles Praktiken sind, die im täglichen Aushandlungsprozess hervorgebracht werden. Geschlecht ist etwas Soziales, um das herunter zu brechen. Und diese soziale Rolle Geschlecht wird beständig performiert.
Gespielt, sozusagen?
Ja. Es gibt da so einen Ausspruch des Soziologen Erving Goffman, der gesagt hat: “Wir alle spielen Theater.” darauf basiert unsere Forschung. Das Auto ist auf der Bühne des Alltags wie eine Requisite, die es ermöglicht, seine Männlichkeit zu spielen. Weil man damit rasen kann und dadurch Macht ausübt und weil man Kontrolle hat über die Technologie.
Frauen haben also eine andere Beziehung zum Auto?
Es gibt ja sogar Sprüche wie “Frau am Steuer – Ungeheuer”, die sehr deutlich machen, wie Frauen in diesem Kontext verortet werden. Frauen gelten entgegen aller Unfallstatistiken als schlechtere Autofahrerinnen, obwohl die meisten fatalen Unfälle von Männern verursacht werden. Wenn man an Motorsport denkt – das ist eine Männerdomäne. Das hat wenig damit zu tun, dass Frauen weniger dazu geeignet wären. Oder wenn eine Familie aus Mann und Frau und Kind zusammen im Auto sitzt, ist es meistens der Mann, der fährt. Der Beruf des Lkw-Fahrers – das machen ebenfalls überwiegend Männer und auch der Beruf des Taxifahrers ist männerdominiert. Das Gleiche gilt für Chauffeure… Allgemein kann man sagen: Der Beruf des Fahrers ist von Männern dominiert.
Also sind Autos auf der Bühne des Alltags ein Männerspielzeug. Wie haben Sie nun erforscht, wie sich das zu autonomen Autos verhält?
Ich habe erst einmal eine Diskursanalyse gemacht, also Medienartikel im deutschsprachigen Raum analysiert. Neben dem Spiegel oder der Zeit auch Auto-, Computer- und IT-Zeitschriften. Ich habe geschaut, in welchem Kontext autonome Fahrzeuge behandelt werden. Recht schnell ist klar geworden: Es geht immer um die gleichen Dinge. Sicherheit ist ein wiederkehrendes Thema, außerdem Fragen der Ethik und der technischen Umsetzbarkeit. Dann habe ich mir angesehen, wie über das Thema geschrieben wird. Einerseits sahen die Autorinnen und Autoren das autonome Auto als unabwendbare Entwicklung, die zwangsläufig auf uns zukommt. Das fanden die meisten gut. Andererseits gab es auch Zweifel an der Sicherheit der Technik.
Steht das nicht der Annahme entgegen, dass Männer beim Autofahren den Nervenkitzel suchen?
Genau! Und es war sogar noch paradoxer. Eine wiederkehrende Aussage war: Autofahren macht uns Spaß, deshalb wollen wir die autonomen Funktionen nur, wenn Autofahren gerade langweilig ist. Also, wenn man im Stau steht oder für den Feierabendverkehr. Aber auf der Landstraße und der Autobahn finden wir Selberfahren toll, so der Tenor der Artikel.
Aber gerade auf Landstraßen und Autobahnen passieren die meisten tödlichen Unfälle…
Das ist ja das Absurde. Das Sicherheitsargument, das die Autoindustrie ja auch oft als Argument für autonomes Fahren vorbringt, wird im Mediendiskurs sofort wieder aufgehoben. Der Sinn des autonomen Fahrens für gefährliche Situationen wird so ad absurdum geführt. Die Situationen, in denen das autonome Fahren abgelehnt wird, sind gleichzeitig jene, in denen Männlichkeit auf der Straße dargestellt wird. Zum Beispiel durch Raserei, riskante Manöver oder durch Austesten der Leistung des Autos.
Konnten Sie einen Unterschied feststellen zwischen Männern und Frauen, die über das Thema geschrieben haben?
Das konnte ich nicht, da fast keiner der Artikel von Autorinnen stammte. Ich habe 101 Texte ausgewertet, nur sechs waren von Frauen. Und auch zitiert wurden in den Texten insgesamt nur zwei Frauen. Bei über 100 Zitatgebern – Verkehrsexperten, Professoren, Industrievertretern – ist das schon eine eigene Aussage darüber, wer da über die Zukunft des Autofahrens diskutiert. Nämlich fast ausschließlich Männer.
Interessieren sich Autohersteller für Ihre Ergebnisse?
Ja, ich merke, dass das Thema in der Branche auf Interesse stößt und ich z.B. auf Workshops von Autoherstellern eingeladen werde. Die bisherigen Werbestrategien sind zum Teil recht interessant. Audi spricht beispielsweise nur vom pilotierten Fahren. Da sieht man an der Wortwahl, dass die Industrie versucht, ein mögliches Bedrohungsgefühl durch ein selbstfahrendes Auto abzumildern. „Ko-Pilot“ klingt ja eher nach einer Partnerschaft, während die Fahrer in anderen Szenarien komplett zu Passagieren degradiert werden. Viele Autohersteller behaupten auch, dass ihre Forschung nur dazu dient, Assistenzsysteme zu entwickeln.
Haben die Hersteller Angst, dass es ihre Einnahmen schmälern könnte, wenn sie Männer, also ihre größte Kundengruppe, nicht mehr emotional für ihre Fahrzeuge begeistern können?
Klar, denn die emotionale Bindung an Autos nimmt sowieso gerade ab. Junge Menschen machen seltener den Führerschein und besitzen weniger Autos als frühere Generationen. Auf dem Land, wo der öffentliche Nahverkehr weniger ausgeprägt ist, fahren noch viele mit dem Auto. Es gibt ja durchaus heute noch Jugendkulturen, in denen das Auto ganz maßgeblich für das Ausleben der eigenen Männlichkeit ist. Zum Beispiel die Tuning-Szene. Aber in Großstädten steigen mehr auf Carsharing oder öffentlichen Nahverkehr um. Dort ist Privatmobilität ein Auslaufmodell. Ich glaube, dass autonome Fahrzeuge da zukünftig eine Lücke schließen könnten. Gesetzt den Fall, dass sie wirklich autonom fahren und kontinuierlich innerhalb der Städte unterwegs sind. Aber diese Entwicklungen und Ideen zeigen, dass die Autohersteller sowieso umdenken müssen.
Könnte die Verbindung zwischen Autofahren und männlichem Selbstbild in Zukunft verschwinden?
Ich glaube nicht, dass wir das völlig überwinden werden. Heute sammeln manche Oldtimer. Irgendwann werden vielleicht die Autos gesammelt, die wir heute noch fahren. Möglich, dass man seinen alten Astra in der Garage stehen hat und den am Wochenende ausfährt und sich unter der Woche von seinem autonomen Fahrzeug durch die Gegend kutschieren lässt. In den Texten über autonomes Fahren, die ich mir angesehen habe, herrscht aber sowieso die Idee vor, dass man den Autopiloten auch ausschalten kann - quasi ein Hybrid aus selbst fahren und gefahren werden.