Schlappohren im Trümmerfeld. Pikachu soll an die Kindheit erinnern, die syrischen Kindern genommen wurde. Fotomontage: Khaled Akil (mit AFP)

Pokémon in Aleppo

Wie würde Pokémon Go eigentlich in Syrien aussehen, fragt der Künstler Khaled Akil. In anderen Arbeiten vergleicht er Donald Trump und den Islamischen Staat.

Klein, gelb, mit gesenktem Köpfchen und hängenden Schlappohren sitzt Pikachu in einem Trümmerfeld. Noch trauriger als das Pokémon schaut nur der Junge drein, der auf dem Foto über das klettert, was Bomben, Terror und Bürgerkrieg von der einst pulsierenden Stadt Aleppo übrig gelassen haben. In einem anderen Foto hockt ein blaues Pokémon neben einem Kind, als habe sich die Comicfigur neben den Jungen gestellt, um ihn zu beschützen. Der Künstler Khaled Akil hat die Pokémon im Nachhinein in die Fotos montiert. Die Bilder sollen zeigen, was sich der Syrer für seine Heimat wünscht: Normalität, repräsentiert durch ein Spiel, das manchem in Deutschland schon wieder auf die Nerven geht.

Fotomontagen gegen das Vergessen

Andeutungen einer normalen Welt. Inmitten von Aleppo wirken die bunten Pokémon deplatziert. Fotomontage: Khaled Akil (mit AFP)

„Die Menschen sind müde von den ganzen Kriegsbildern“, sagt der aus Aleppo stammende Künstler. Also hat er versucht, sich vorzustellen, wie das Spiel in Syrien aussehen würde. Seit 2012 lebt Akil in Istanbul. Der 30-Jährige war eigentlich nur für eine Vernissage in die türkische Hauptstadt gereist. Als dann unvermittelt die Kämpfe um seine Heimatstadt immer heftiger wurden, entschloss er sich, in der Türkei zu bleiben. Seither kommentiert er die syrische Tragödie von dort aus mit seinen künstlerischen Mitteln. „Ich glaube, die Weltöffentlichkeit will immer noch sehen, was in Syrien passiert und meine Bilder sind die Chance, das mit den Augen der Kunst zu tun“, sagt Akil. Dort, wo die Jüngsten nicht mehr aussehen, als würden sie jemals wieder spielen, werden die Monster zu Symbolen einer bunteren, glücklicheren Welt.

In den vergangenen Tagen erlebte der Syrer die Absurdität des globalisierten Internets. Vor knapp zwei Wochen begannen einige Syrer unter dem Hashtag #PokémonInSyria Fotos syrischer Kinder zu veröffentlichen, die Zeichnungen von Pikachus und Schiggys in die Kamera halten. Das griff Akil auf. Seitdem meldeten sich unzählige internationale Medien bei dem Künstler - alle wollten die Pokémon-Montagen zeigen. Dabei umfasst die Serie “Pokémon Go In Syria - Part 1” gerade einmal fünf Bilder. Und sie ist vielleicht nicht das spannendste Projekt des Syrers. Die Kriegsaufnahmen für die Pokémon-Reihe stammen nicht von ihm, sondern von der französischen Nachrichtenagentur AFP. Akil hat lediglich die Comic-Figuren in die Bilder montiert.

Wessen Körper? In dieser Serie beschäftigt sich Akil mit der syrischen Sexaulmoral. Bild: Khaled Akil

»Unter Assad war die Kunst freier«

Frühere Werke des Künstlers, der in Beirut Jura und Politik studiert hat, erzählen von einer Zeit vor dem Krieg. Und davon, dass Künstler unter dem Assad-Regime deutlich mehr Möglichkeiten hatten, als es sich viele in Deutschland vorstellen können. Vor einigen Jahren zeigte Akil in Aleppo seine Serie „The Unmentioned“. Zwei der Bilder zeigen eine Frau, die nichts trägt außer einem Kopftuch samt Gesichtsverschleierung. Viel nackte Haut zeigt das Foto zwar nicht. Aber schon der Brustansatz der Verschleierten habe bei den konservativeren Syrern für Unmut gesorgt. Das war auch die Absicht hinter der Provokation: Akil wollte die Betrachter auffordern, sich kritischer mit der in Syrien herrschenden Sexualmoral auseinanderzusetzen. Trotzdem konnte er die Bilder in seiner Heimatstadt Aleppo ausstellen. „Früher hing es immer davon ab, wie offen einzelne Galerien waren“, sagt Akil. Es sei zwar nie einfach gewesen, diese Kunst zu zeigen. Aber gefährlich war es nicht, sagt er.

Eigentlich müssten die Werke, die Akil auf seinen Blog gestellt hat, ihn als liberal und kritisch ausweisen. Trotzdem bekam er mehrfach kein Visum für die USA und die EU. „Ich hatte drei Ausstellungen in den USA und ein paar in Europa – bei keiner Eröffnung durfte ich sein“, ärgert er sich.

Donald Trump und der Islamische Staat

Vereint im Hass? Akil zieht Parallelen zwischen IS und dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Bild: Khaled Akil

Sollte der nächste Präsident der USA Donald Trump heißen, könnte sich das noch verschärfen. Den Präsidentschaftskandidaten hat der Syrer in einem seiner jüngsten Werke besonders kräftig durch den Kakao gezogen. In der Bilderserie „Hate Loves Hate“ werden IS-Kämpfer zu Trump-Anhängern, umgekehrt mischt sich Trump unter die Dschihadisten. Was wie ein schlechter Scherz klingt, meint Akil ernst: „Ich habe mich von Anfang an mit diesem Mann beschäftigt und sehe viele Parallelen zu anderen Fundamentalisten – auch zum IS“, sagt der Syrer. „Es ist egal, ob du Christ oder Muslim bist, wenn du denselben Hass teilst, hast du viel gemeinsam.“ Außerdem glaubt er, dass der IS von Menschen wie Trump stark profitiert: „Trump schürt Hass gegen Muslime und das ist genau das, was der IS unter seinen Anhängern verbreitet: Die ganze Welt hasst euch, also kommt zu uns.“

Derzeit widmet sich Akil einer anderen Gruppe der Vergessenen, mit denen er sich schon mehrfach beschäftigt hat: Den jesidischen Frauen, die im Syrienkonflikt vergewaltigt, versklavt und oft getötet wurden. Für die Bilder dieser Serie würde er gern bald eine Galerie finden. Vielleicht sogar in Deutschland, sagt er. Und dieses Mal wünscht er sich, endlich bei der Eröffnung dabei sein zu dürfen.