Sex? Nur zum Spaß
Es riecht nach C13H18O, einem aromatischen Aldehyd, das an Maiglöckchen erinnert, bei künstlicher Befruchtung als Lockstoff für Spermien eingesetzt wird – und nun der Duft der Berliner Digitalszene sein soll. Zumindest an diesem Mittwochnachmittag im alten Funkhaus an der Nalepastraße in der Rummelsburger Bucht, wo beim Tech Open Air (TOA) zwei Tage lang über die Trends der Tech-Szene diskutiert wird. Im Vergleich zu anderen Berliner Konferenzen wie der Noah geht es hier in erster Linie nicht um das beste Geschäftsmodell oder die erfolgreichste Exit-Strategie, sondern eher um Fragen auf der Metaebene: Was macht die Technik mit uns? Was machen wir mit der Technik?
Vor allem viel Scrollen, Wischen und Klicken, sagt Fritz Strempel. Während Seh- und Tastsinn im mobilen Zeitalter permanent gefordert seien, werde der wichtigste menschliche Datensammler, die Nase, vernachlässigt. „24.000 Mal am Tag atmen wir ein und aus, dabei werden Informationen gesammelt, die von hohem emotionalen Wert sind und uns wie ein Navigationssystem unbewusst durchs Leben leiten“, erklärt Strempel, der zusammen mit Sissel Tolaas in ihrem Berliner Labor an „Sense und Sensores“ forscht, dem Zusammenspiel zwischen Sinnen und Sensoren.
Menschen lassen sich durch Gerüche programmieren
Während jeder Mensch bestimmte Gerüche mit bestimmten Situationen verbinde, werde man von Amazons Assistentin keine befriedigende Antwort bekommen auf die Frage: „Alexa, wie roch das Haus meiner Großmutter?“ Noch nicht.
Wie Menschen mit einem Duft quasi programmiert werden können, will Strempel mit Proben von C13H18O beweisen, die er auf Papierstreifen unter den Konferenzteilnehmern verteilt. Wer den Geruch künftig rieche, soll sofort an das Digitalfestival denken.
So wie hier sein Vortrag soll auch Technik künftig deutlich enger mit Gerüchen verknüpft werden. Beispielsweise, indem selbstfahrende Autos im Innenraum einen Duft versprühen, der nicht bewusst wahrgenommen werde, aber eben das Bewusstsein des Fahrers so schärfe, dass er im Notfall doch schnell eingreifen könne.
Noch ist das eine Vision, doch Strempel ist überzeugt, dass die fortschreitende technische Entwicklung eine Rückbesinnung auf die menschlichen Sinne ermöglichen wird.
»Reproduktion den Profis überlassen«
Wer Martin Varsavsky zuhört, bekommt allerdings den gegenteiligen Eindruck. „Sex ist super, aber es gibt bessere Wege, um Babys zu machen“, provoziert der argentinische Unternehmer, der früher Telekommunikationsunternehmen gründete und sich nun auf die Produktion von Babys spezialisiert hat.
Prelude Fertility heißt seine Firma, die mit verschiedenen Kliniken und Zentren zusammenarbeitet. Varsavsky ist überzeugt, dass Sex künftig nur noch dem Spaß diene, die Reproduktion dagegen „Profis“ überlassen werden sollte. Mit Möglichkeiten wie dem Einfrieren von Eizellen und Spermien, Eizellenspenden, In-Vitro-Fertilisation und der genetischen Untersuchung von Embryonen könnten sie „das bessere Ergebnis“ erreichen als bei natürlicher Zeugung.
„In unserer fruchtbarsten Phase tun wir alles dafür, um eine Schwangerschaft zu vermeiden. Sind wir dann aber dafür bereit, macht unser Körper nicht mehr so mit wie gewünscht“, sagt Varsavsky, der selbst sieben Kinder hat, die zwei jüngsten dank künstlicher Befruchtung. „Deshalb ist es doch super, dass es neue technische und medizinische Möglichkeiten gibt.“
Das Leben neu schreiben?
Große Techfirmen wie Facebook oder Apple würden ihm Patientinnen vermitteln, die eben erst Karriere machen wollten, bevor sie schwanger werden. „Und nein, das hat nichts mit moderner Sklaverei zu tun, denn die Firmen bieten ja dann auch Elternzeitprogramme an“, betont Varsavsky – ohne jedoch weiter zu diskutieren, wie freiwillig solche Programme sind, auch im Hinblick darauf, dass manche Frauen und Männer vielleicht doch erst Kinder und dann die Karriere haben wollen.
Jamie Metzl geht sogar noch einen Schritt weiter als Varsavsky. Er ist überzeugt, dass sich künftig nicht nur ändern wird, wie Babys gemacht werden – sondern auch welche.
Während der Präimplantationsdiagnostik (PID), also der genetischen Untersuchung eines Embryos, in Deutschland sehr enge Grenzen gesetzt sind, sieht es Metzl als unabwendbar an, dass der Code des Lebens durch Gentechnik neu geschrieben werde. Dann würde nicht nur Einfluss darauf genommen, wie Menschen aussehen – sondern auch darauf, wie intelligent sie seien, erklärt Metzl, Autor und Mitglied der Denkfabrik Atlantic Council.
Homo Sapiens 2.0
Im Wettbewerb mit Ländern wie China gehe es deshalb um mehr als die führende Position in Künstlicher Intelligenz. Vielmehr sei der Wettbewerb um den Homo Sapiens 2.0. eröffnet. „Dass die Vorbehalte fallen werden, ist schon nicht mehr die Frage“, ist Metzl überzeugt. Wobei ihm bewusst sei, dass solche Gedanken gerade im Hinblick auf die deutsche Geschichte des Nationalsozialismus problematisch seien. Umso dringlicher sei es jedoch, über den Erhalt einer vielfältigen Gesellschaft zu diskutieren – und eben Grenzen zu setzen.
Dass Vielfalt nicht nur eine Frage der Ethik ist, sondern damit auch sehr gutes Geld verdient werden kann, weiß Arlan Hamilton, die mit ihrem Unternehmen Backstage Capital in solche Gründer investiert, die oft unterschätzt würden – wegen ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder anderer Kriterien, erzählt sie: „Und das ist die größte Chance, die das Silicon Valley verpasst.“ Hamilton hat sie genutzt. Sie ist Millionärin.